
Manchmal beschreibt Kunst Wirklichkeit. So etwa bei jenem Werk, mit dem der Aschaffenburger Bernd Liebisch den 12. Kunstpreis der Stadt Marktheidenfeld zum Thema "Aufbruch" gewonnen hat. Der Gewinner wurde am Sonntag ausgezeichnet.
Das im Vorjahr entstandene Ölgemälde "Gleiszugang" zeigt einen Jungen mit Schutzmaske, der uns scheinbar neugierig entgegenblickt und mit anderen schemenhaften Gestalten am Bahnhof in Aschaffenburg eine Treppe hinunter schreitet. Im Kulturzentrum Franck-Haus sieht das fast so aus, als ob er von der Eingangsebene in den offenen Kellerbereich möchte. Letztlich weiß aber keiner, wohin der Aufbruch den jungen Menschen führen wird.
Als sich zu Beginn des Jahres 2020 ein neues Organisationsteam daran machte, den Kunstpreis der Stadt Marktheidenfeld auszuschreiben, ahnte noch niemand, wie sehr die Corona-Pandemie und die mit ihr verbundenen Schutzmaßnahmen den Wettbewerb und unser ganzes Leben beeinflussen würde. So ist seit einem Jahr das kulturelle Leben beinahe zum Stillstand gekommen.
Dass man am Sonntag im kleinsten Kreis zur Verleihung des Kunstpreises 2020 in das Franck-Haus eingeladen hatte, sollte ein Signal des Aufbruchs für eine Fortsetzung der Auswahlausstellung sein. Daraus wird nun wegen der aktuellen Inzidenz-Zahlen im Landkreis Main-Spessart zunächst vermutlich nichts.
Insgesamt 140 Beiträge im Wettbewerb
140 Wettbewerbsbeiträge waren im Herbst 2020 von Künstlern aus Unter- und Tauberfranken eingereicht worden. Die Jury mit Dierk Berthel (BBK Bayern), Marlene Lauter (Kulturspeicher Würzburg), Monika Oetzel (VHS Marktheidenfeld), Ruth Roth (Kunstpreisträgerin 2018), Andi Schmitt (VKU Würzburg), Jan Soldin (Kunsthalle Schweinfurt) sowie Bürgermeister Thomas Stamm traf eine Auswahl von 35 Bildern für die Ausstellung und einigte sich auf das bis jetzt geheim gehaltene Werk von Bernd Liebisch als Gewinner. Ursprünglich hätte der Kunstpreis noch im Dezember 2020 verliehen werden sollen.
In seiner Begrüßung sprach Bürgermeister Thomas Stamm nun die außergewöhnliche Zeit der Jahre 2020 und 2021 direkt an, die vieles in Frage stellte und besondere Herausforderungen auf allen Ebenen mit sich brachte. Von Aufbrüchen sei seitdem immer wieder die Rede gewesen und am Ende werde man die Pandemie auch überwinden. Das Siegerbild von Bernd Liebisch wird seinen Platz im Marktheidenfelder Rathaus finden und dort auch künftig über diese besondere Episode in der Stadtgeschichte berichten.

Jury-Mitglied Jan Soldin (Kunsthalle Schweinfurt) stellte den künstlerischen Weg von Bernd Liebisch vor, der mit realistischen Zeichnungen im Bereich der Grautöne begann. Von Anfang an hätten den Künstler aber auch die surrealistischen Bildwelten seines Vaters beeinflusst, auch nachdem er sich nach einem Studium an der Freien-Kunst-Studienstätte Ottersberg der Malerei und Farbe zugewandt hatte.
Liebisch war schon 2008 Publikumsliebling
Soldin, einst Schüler am Balthasar-Neumann-Gymnasium, stellte fest, dass Liebisch in Marktheidenfeld kein Unbekannter sei. Mit seiner verzerrten Aquarell-Darstellung "Rund geblickt" des Alten Rathauses und der St. Laurentius Kirche sei der Aschaffenburger im Jahr 2008 zum Publikumsliebling schon beim 5. städtischen Kunstpreis "Runde Sache" avanciert und habe im folgenden Jahr im Franck-Haus ausstellen können.
Seinem jetzigen Siegerbild "Gleiszugang" liege ebenso eine perspektivische Verzerrung zugrunde, wie sie bei der Benutzung der Panoramafunktion in der digitalen Fotografie gerne entstehe. Die besondere Technik sei auch die Grundlage eines großformatigen Panoramas gewesen, die Liebisch in der Kunsthalle Jesuitenkirche seiner Heimatstadt Aschaffenburg gezeigt hatte. Liebisch bleibe seiner Heimatregion eng verbunden, so habe er in den letzten Jahren beispielsweise Werke in Marktheidenfeld oder Amorbach gemalt. Diese werde er in Kürze bei Ausstellungen präsentieren, machte Soldin neugierig.
Der Experte ordnete Liebigs "Gleiszugang" auf dessen ganz eigene Weise kunsthistorisch den Darstellungen eines Aufbruchs in das Idealland Arkadien zu. Letztlich sei dieses Ideal seit dem 16. Jahrhundert unerreichbar und trotzdem werde der Mensch dazu getrieben, immer wieder aufs Neue in das ländliche Paradies aufzubrechen. Liebigs Gemälde sei vielleicht als eine Momentaufnahme dieses Strebens nach Arkadien zu verstehen.
Nach der Laudatio überreichte Bürgermeister Thomas Stamm die Gewinnerurkunde. Es blieb dem Sponsor Markus Fleckenstein vom Büro Fleckenstein Landschaftsplanung und Stadtplanung aus Lohr vorbehalten, das damit verbundene Preisgeld von 2000 Euro persönlich zu übergeben. Er zeigte sich dabei von der Vielfalt der ausgewählten Werke in der Ausstellung überrascht und war mit der Auswahl des Siegerbildes auch aus seiner ganz persönlichen Sicht ausgesprochen glücklich.