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MARKTHEIDENFELD
Barbara Rütting: „Ich habe mich durchs Leben treiben lassen“
Die Schauspielerin, Autorin, Aktivistin und Politikerin Barbara Rütting aus Marktheidenfeld-Michelrieth feiert am 21. November ihren 90. Geburtstag.
Foto: Andreas Brachs | Die Schauspielerin, Autorin, Aktivistin und Politikerin Barbara Rütting aus Marktheidenfeld-Michelrieth feiert am 21. November ihren 90. Geburtstag.
Andreas Brachs
 |  aktualisiert: 08.02.2024 16:48 Uhr

Drei Eigenschaften prägen das Leben von Barbara Rütting, wie sie selbst sagt: Tollkühnheit, das Gefühl der Heimatlosigkeit und der Wille, etwas zu bewirken. Vielleicht deshalb hat sich der ehemalige Filmstar, der an diesem Dienstag 90. Geburtstag feiert, immer wieder neu erfunden: als Schauspielerin, Buchautorin, Gesundheitsratgeberin, Tierschutzaktivistin, Politikerin.

Vom Zweiten Weltkrieg geprägt

Der Zweite Weltkrieg hat Barbara Rüttings Jugend und ihr Weltbild geprägt: Als junges Mädel, südlich von Berlin aufgewachsen, wollte sie einen Traummann heiraten und fünf Kinder bekommen. Ein Ideal im damaligen Nazi-Deutschland. Es kam anders: Waltraut Goltz, wie Rütting mit Mädchennamen hieß, floh bei Kriegsende mit Hans Rütting, einem Freund der Familie, ins dänische Exil und heiratete ihn – eine Vernunftehe, die nicht lange hielt. Im Krieg hatte sie erfahren müssen, wie ihre beste Freundin unter Trümmern starb. Damals setzte sich in ihr die Überzeugung fest: „Alles kann sofort zu Ende sein.“

An niemanden dauerhaft das Herz gebunden

So hat Rütting nicht dauerhaft ihr Herz gebunden – weder an einen ihrer drei Partner noch an einen Beruf noch an einen Wohnsitz. „Ich habe mich durchs Leben treiben lassen“, sagt die Grande Dame heute. Und auch darum wählte sie einen anderen Vornamen: Barbara – „die Fremde“, die nirgends zu Hause ist. Nach den Kriegswirren arbeitete Rütting als Dienstmädchen, Fremdsprachenkorrespondentin und verkaufte sogar ihr Blut: Für einen halben Liter bekam sie 30 Mark und eine warme Mahlzeit. Weil sie sich aus der harten Realität träumte, wagte sie eine Bewerbung beim Film. „Ich hatte keine Ausbildung, aber beschloss: Ab jetzt bin ich Schauspielerin.“ 1952 erhielt sie ein Engagement für ihren ersten Streifen, „Postlagernd Turteltaube“, und damit 1500 Mark Gage. Von da an stand sie 30 Jahre lang auf der Bühne und in 45 Filmen vor der Kamera.

Talent zum Beeindrucken, Beeinflussen, Bewirken

Schon damals entdeckte Rütting ein Talent an sich, das sie bis heute begleitet: „Ich merkte, dass ich Menschen beeindrucken und beeinflussen kann.“ Junge Frauen wählten ihre Berufswünsche nach den Rollen, in denen Rütting auftrat. Oft spielte sie starke Frauen, wie in „Mutter Courage“. Das kam Rütting entgegen, denn „ich wollte mit meinen Rollen etwas bewirken“.

Doch auf dem Höhepunkt ihres filmischen Schaffens öffnete ihr ein Dreh mit Kirk Douglas die Augen: Die Rücksichtslosigkeit, der Ehrgeiz und die Oberflächlichkeit der Schauspielkollegen schreckten sie ab und sie zog sich aus dem Filmgeschäft zurück; Mitte der 1980er Jahre gab sie die Schauspielerei ganz auf.„Ich hing nie an meiner Karriere“, sagt Rütting dazu ohne Bedauern.

Engagement für Tierschutz, Frauen-, und Gesundheitsthemen

„Jetzt tue ich etwas, auch wenn sich mein ganzes Leben verändert“, beschloss sie damals und wandte sich dem Tierschutz, Frauen- und Gesundheitsthemen zu. Sie ging für ihre Überzeugungen auf die Straße, machte als politische Aktivistin von sich reden und trat früh den Grünen bei, mit denen sie die Gesellschaft verändern wollte. Ihr Marsch durch die Institutionen führte sie in den bayerischen Landtag, aber auch in heftige Konflikte mit ihrer eigenen Partei und schließlich in den Burnout. Die Grünen waren ihr nicht konsequent genug; Rütting litt unter den internen Auseinandersetzungen.

In einer privaten Klinik im Main-Spessart-Kreis fand sie wieder zu sich und gewann an Stärke. Schon als junges Mädchen hatte sie begeistert Tagebücher geschrieben. Später kamen Gesundheitsratgeber, vegetarische und vegane Kochbücher dazu. Aktuell erschien eine erweiterte Neuauflage eines solchen Kochbuchs für Kinder.

Galionsfigur der V-Partei³

Doch Rütting, die seit einigen Jahren in Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart) wohnt, hat sich nicht ins Private zurückgezogen. Erst dieses Jahr trat sie der V-Partei³ bei, die Tierschutz und eine vegetarisch-vegane Lebensweise propagiert. Ihren Promi-Status nutzte Rütting geschickt für die weitgehend unbekannte Gruppierung, als sie sich zur Bundestagskandidatin nominieren ließ. Diese symbolische Kandidatur brachte der V-Partei³ reichlich Schlagzeilen. 2020 will Rütting sogar noch einmal für die sogenannten Hellgrünen antreten – zur Europawahl. Dort, glaubt sie, gehören die Themen ihrer Parteifreunde hin.

Gnade für eine trächtige Kuh

Auch viele private Hilfegesuche lassen sie nicht kalt: Erst kürzlich hat sie für eine entlaufene, trächtige Kuh einen Gnadenhof gefunden und somit zwei Tiere vor dem Schlachter bewahrt. „Weil es getan werden muss“, lautete ihr Wahlkampf-Slogan, der zugleich ihr Lebensmotto geworden ist. Aber Rütting wünscht sich, dass andere es ihr gleichtun, für ihre Überzeugungen eintreten und sich nicht allein auf sie verlassen.

Denn mit 90 Jahren beschäftigt sich die prominente Vorkämpferin auch mit dem Tod: Sie unterstützt eine Petition, die das Sterbefasten gesetzlich verankern will – also das Recht jedes Menschen, durch Nahrungsverweigerung den eigenen Tod herbeizuführen.

Dennoch: So tatkräftig, agil und lebensfroh wie jetzt habe sie sich noch nie gefühlt, betont Rütting angesichts ihres 90. Geburtstags, den sie nicht groß feiern will. Mit Blick auf ihr Leben gefragt, ob sie alles wieder genauso machen würde, sagt sie spontan: „Nein, alles anders, denn das was war, hatte ich ja schon!“

Barbara Rütting

Die Schauspielerin, Autorin und Politikerin ist am 21. November 1927 in Wietstock, südlich von Berlin, als Waltraut Goltz in eine Lehrerfamilie hineingeboren worden. Sie wollte Ärztin werden, ging aber nach Kriegsende und noch vor dem Abitur mit ihrem ersten Mann nach Dänemark.

Anfang der 1950er Jahre bewarb sie sich beim Film. Schon für ihren zweiten Streifen, „Die Spur führt nach Berlin“, wurde sie mit dem Preis für die beste deutsche Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet. Es folgten Filme wie „Neues vom Hexer“ mit Klaus Kinski, „Operation Crossbow“ mit Sophia Loren und „Stadt ohne Mitleid“ mit Kirk Douglas. Bis 1984 stand Rütting in vielen starken Frauenrollen auf bedeutenden Theaterbühnen.

Als Autorin schrieb Rütting über 20 Bücher, einen Roman, vegetarische und vegane Kochbücher, Gesundheitsratgeber und Kinderbücher.

Für die Grünen zog sie 2003 in den bayerischen Landtag ein. Am 2. April 2009 legte sie nach parteiinternen Differenzen und gesundheitlichen Problemen ihr Mandat nieder. Kurz darauf quittierte sie ihre Parteimitgliedschaft, weil sie den Grünen eine Abkehr vom Pazifismus und mangelnden Tierschutz vorwarf. Anfang 2017 trat Rütting in die neue V-Partei³ ein. Diese definiert sich über die drei V wie Veränderung, Vegetarier und Veganer.

Die 90-Jährige war zweimal verheiratet und lebte anschließend viele Jahre in einer festen Beziehung. Heute wohnt Barbara Rütting in Marktheidenfeld. abra

Die Schauspielerin, Autorin, Aktivistin und Politikerin Barbara Rütting aus Marktheidenfeld-Michelrieth feiert am 21. November ihren 90. Geburtstag.
Foto: Andreas Brachs | Die Schauspielerin, Autorin, Aktivistin und Politikerin Barbara Rütting aus Marktheidenfeld-Michelrieth feiert am 21. November ihren 90. Geburtstag.
 
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