
Drei Stücke schwedischer Apfelkuchen stehen noch in der Theke des Kaffeehauses Franckstube in Marktheidenfeld – auf den ersten Blick ein Kuchen aus dem ganz normalen Sortiment der Konditorei. Das Besondere? Konditormeister Rainer Väth hat das süße Stück nach dem Rezept eines Backbuchs von 1872 gebacken. Der Kuchen ist sein erstes Werk aus der Rezeptsammlung, weitere sollen folgen.
Väth erzählt, wie er zu diesem außergewöhnlichen Backbuch gekommen ist. Ein Freund des Konditormeisters brachte ihm ein Geschenk und sagte: „Du, ich hab da ein Buch und ich weiß nicht, wem ich es sonst geben soll.“ Als Väth das Büchlein öffnete, ahnte er bereits, welchen Schatz er in den Händen hält: „Ich war total happy und habe mich riesig gefreut.“ Das Backbuch stammt aus dem Jahr 1872. „Es kommt von einem Marktheidenfelder, der selbst Konditor war, aber mehr weiß ich leider nicht“, berichtet Väth.
Rezepte auf 208 Seiten
Väth hat bereits fleißig Rezepte gelesen. „Die Vielfältigkeit ist echt stark“, findet er. Die Anleitungen sind in 29 Abteilungen aufgegliedert. Von Torten und Kuchen über Makronen, Pasteten, Lebkuchen bis hin zu Bonbons, Glasur und Farben enthält das Buch auf 208 Seiten eine riesige Vielfalt. „Der Konditor arbeitete bereits mit Kaviar oder Austern, aber auch mit Ananas und Schokolade“, erklärt Väth, „und das schon vor 1872.“ Das Buch gibt also auch Aufschluss darüber, welche Zutaten die Marktheidenfelder im 19. Jahrhundert schon zur Verfügung hatten. „Ich frage mich, wo die das alles herbekommen haben.“
Väth, der mit seiner Familie in Bischbrunn lebt, freut sich besonders über die verschiedenen Rezepte mit Schokolade. „Ich bin absoluter Schokoladen-Freak“, verrät er, „das ist meins.“ Was er beim Blättern durch das Buch feststellte, ist überraschend: „Die Rezepte haben sich über die Jahre eigentlich nicht geändert.“ 1872 verwendete man laut Väth „das Allergleiche wie heute.“ Nur Bezeichnungen oder Maßeinheiten seien teilweise unterschiedlich. Der Konditor zeigt auf ein Rezept: „Hier steht beispielsweise Weinbeere, heute nennen wir es Sultanine.“
Früher maß der Konditor in Loth, das liegt je nach Umrechnungswert zwischen 14 und 17 Gramm. „Die Bäcker verwendeten auch Schoppen, wie bei diesem Rezept: ein Schoppen süßer Rahm“. Einige Fachbegriffe werden heute noch verwendet: „Tablieren, Fondant herstellen – das habe ich auch noch gelernt“, erklärt er. Und geschmacklich? „Ich glaube, das gibt sich wirklich nicht viel“, erzählt Väth, „aber der Reiz, es auszuprobieren ist riesig.“
Keine Zeit- oder Gradangaben
Was ihn an diesem alten Backbuch herausfordert? Zu sehen, wie die Rezepte funktionieren und wie das Ergebnis schmeckt. „Man weiß nie, wie die Zutaten damals wirklich beschaffen waren“, erklärt er. Und bei einem ist er sich sicher: „Das kann heute besser werden, als es damals war.“ Denn den Rezepten fehlen genaue Zeit- und Gradangaben. „Der Kuchen wird kurz auf hoher Temperatur gebacken“, liest Väth vor. Heute könne er sowohl Grad als auch Zeit genau einstellen. „Insgesamt ist das alles ein interessantes Überraschungspaket“, sagt er mit einem Lachen.
Tatsächlich gibt es auch Rezepte, die den Konditor schmunzeln, aber auch staunen lassen. Er zeigt auf eine Seite des Buchs mit der Anleitung zum Herstellen von Krametsvögelpastetchen und liest vor: „Zu jedem Vogel macht man eine Pastete und in jede Pastete setzt man einen Vogelkopf.“ Ein Rezept, das Väth sicher nicht nachbacken wird. „Ich könnte Tage verbringen, um das Buch zu lesen“, erzählt er mit Vorfreude.
Im zweiten Teil des Buchs befinden sich Abbildungen. „Da muss ich teilweise noch rausfinden, was sie bedeuten.“ Zu sehen sind Garniervorschläge, Schriftarten und Kuchenverzierungen. „Hier gibt es eine Anleitung zur Erstellung eines Turms aus Schokolade“, zeigt er. Seitenteile, Eckteile und eine Turmspitze. „Das ist eine enorme Arbeit“, sagt der Konditor beeindruckt, „und das war alles möglich, obwohl wir ja 1872 angeblich noch keine Schokolade hatten.“ Am Ende des Buches findet Väth gesammelte Rezepte – mit Hand hinzugeschrieben. „Zimtstangen und verschiedene Plätzchen, vielleicht kann ich da noch etwas in mein Weihnachtssortiment aufnehmen“, freut er sich. Auch sein Sohn Adrian, der die dritte Klasse besucht, schaut interessiert über Papas Schulter. Welche Plätzchen er vor Weihnachten wohl noch probieren darf?
Da der Konditor momentan viele Backwaren für die Weihnachtszeit herstellen muss, hat er bisher nur ein einziges Rezept ausprobieren können: schwedischer Apfelkuchen. „Davon habe ich zwei Kuchen gebacken, aber jetzt sind nur noch drei Stücke übrig.“ Das Ergebnis kommt also an bei den Kunden. „Sie sind interessiert und neugierig“, stellt er fest. Sicher wird er einige in sein Programm aufnehmen – Kuchenliebhaber können sich also auf neue Kreationen freuen.