Der Stettener Albert Zink hat ein ziemlich ausgefallenes Hobby: Er sammelt. Aber nicht etwa Briefmarken, Bierdeckel oder Münzen – Zink sammelt Sterbebildchen. Das sind die kleinen Blättchen, einzeln oder gefaltet, die seit alters her bei Beerdigungen an die Trauergemeinde verteilt werden und weiterhin an den Verstorbenen erinnern sollen.
Vier dicke Ordner mit fast 1400 Sterbebildern aus drei Jahrhunderten hat der Stettener schon beisammen. Was auf den ersten Blick als reiner skurriler Spleen erscheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein gutes Stück Heimatgeschichte – erzählt an menschlichen Schicksalen.
Das älteste Bildchen ist von 1890
Schließlich stehen auf den Papieren nicht nur nüchterne Daten, vielmehr geben sie auch Nachricht über die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Verstorbenen und manchmal auch über deren Schicksal. Die älteste Karte spricht von dem „Oekonom zu Stetten Anton Lambrecht, geboren am 4. April 1816, gestorben am 5. August 1890 nach achteinhalb jährigem Krankenlager, wohlvorbereitet durch die Tröstungen unserer hl. Religion.“
Vor allem aber erzählen sie über den Wandel des Umgangs von Menschen mit dem Tod ihrer Angehörigen. Bis zur Zeit des ersten Weltkriegs sind recht sachliche Informationen zu finden. Da wird der Name mitgeteilt, Geburts- und Sterbetag und vielleicht noch der Beruf des Betreffenden, bei Frauen in der Regel der Beruf des Ehemannes.
Weiterhin wird fast immer größter Wert darauf gelegt, dass die Person in festem Glauben, versehen mit den vorgeschriebenen Sterbesakramenten verstorben ist und in zahlreichen rituellen Gebeten wird Gott angefleht, ihm die ewige Ruhe im Himmel zu geben.
Fotos ab den Weltkriegen
Bilder auf der Rückseite waren meist allgemein gehalten, Grafiken und Gemälde aus dem Fundus des Druckers. Fotos der Verstorbenen gab es nur sehr selten. Durch den sprunghaften Anstieg von Sterbefällen während des ersten Weltkriegs und die Fotografien des Militärs tauchen ab 1915 vermehrt Todesanzeigen mit Porträts auf.
Nachdem sich im Laufe des ersten Weltkriegs Bilder verstärkt durchgesetzt hatten, wurden die Verstorbenen der zweiten kriegerischen Katastrophe von 1939 bis 1945 dann fast ausnahmslos fotografisch festgehalten.
Zwar gibt es in Albert Zinks Sammlung auch Anzeigen, die von Heldentod oder vom „Altar des Vaterlands“ sprechen, aber viel erschütternder wirkt da die Erinnerung an den 34-jährigen „innigstgeliebten Gatten und Sohn“, der als Gefreiter in einem Infanterie-Regiment am 29. April 1945 – also gerademal elf Tage vor der Kapitulation der Wehrmacht in Kurland sinnlos sein Leben lassen musste.
Aufwendige Gestaltung
Zinks besonderes Geschichtsbuch zeigt aber weitere Entwicklungen: Ab den 1950er Jahren werden die Sterbebildchen bunter und aufwendiger – fast schon glaubt man das Bemühen der Hinterbliebenen zu erkennen, so die Bedeutung des Verstorbenen zu dokumentieren. Die Jahrtausendwende bringt dann noch eine gewisse Säkularisierung der Drucke.
Die flehentlichen Gebete um das ewige Seelenheil fallen fast gänzlich weg, gelegentlich sogar das Kreuz als das christliche Trost- und Hoffnungssymbol. Statt der oft stereotyp wirkenden Litanei-Gebete sind jetzt Sprüche aus Psalmen, den Evangelien oder Aphorismen bedeutender Persönlichkeiten zu sehen.
Stammbaum eines ganzen Dorfes
Doch Zink ordnet die Bildchen nicht nur in seine Mappen ein, er setzt sie vielmehr miteinander in Beziehung, schließlich kennt er durch seine fast 40-jährige Sammelleidenschaft fast schon alle verwandtschaftlichen Verhältnisse im Dorf.
Eine Besonderheit noch zum Schluss: Neben dem Sterbebild des eingangs erwähnten Oekonom Anton Lambrecht gibt es noch eines von seinem Ur-Ur-Enkel Erhard. Der ist im September 2010 verstorben – und sein letzteres Bild ist natürlich in Farbe.