Die letzte Fahrt mit einer Dampflok auf der auch landschaftlich reizvollen sogenannten Spessartrampe, dem steilen Stück zwischen Laufach und Heigenbrücken, wollte sich der Gemündener René Schiller nicht entgehen lassen. Am Vatertag, als andere mit einem Bollerwagen durch die Lande ziehen, zuckelt der 38-Jährige mit einer Dampflok aus dem Jahr 1934 vorn und der wegen ihres charakteristischen Aussehens „Deutsches Krokodil“ genannten E-Schublok aus den 40ern hinten von Frankfurt nach Lohr und wieder zurück – und das Ganze noch einmal.
Erinnerungen aus der Kindheit
Der Eisenbahnenthusiast, der selbst aus einer alten Eisenbahnerfamilie stammt, verbindet mit der Strecke und dem 930 Meter langen Schwarzkopftunnel liebe Kindheitserinnerungen. Um sich gegen den von der Dampflok verschleuderten Ruß zu schützen, der sich wie Flugsand anfühlt und bei vielen Fahrgästen für verkniffene Blicke sorgt, hat er über seine normale Brille beim Blick aus dem Zugfenster extra noch eine Snowboardbrille gezogen. Wie andere dampflokbegeisterte Passagiere, viele mit Kameras bewaffnet, wechselt er in den Kurven von der einen Waggonseite zur nächsten, um immer optimale Sicht auf die Lok zu haben. Sein rußgeschwärztes Gesicht zeugt von seinem Einsatz.
Wenn er am Abend seine Haare ausschüttelt, wird ein ganzes Häuflein Rußpartikel herausfallen.
Hunderte von Fotografen an der Spessartrampe
Hunderte und aberhunderte Fotografen standen an Christi Himmelfahrt entlang der Spessartrampe und versuchten von Brücken, Straßen oder Hügeln schöne Bilder von den letzten Dampflokfahrten zu erhaschen, viele winkten. Am 15. Juni ist endgültig Schluss auf der Rampe. Die Strecke, eine der steilsten Deutschlands und deshalb von schweren Güterzügen mit nur einer Lok kaum zu schaffen, wird genauso wie der urige, 162 Jahre alte Schwarzkopftunnel bei Heigenbrücken stillgelegt. Der Tunnel mit den Sandsteinportalen, bei der Durchfahrt mit der Dampflok durch ihn schließen viele die Fenster, wird verfüllt. Aus dem Rhein-Main-Gebiet werden dann keine von Dampfloks gezogenen Züge mehr Richtung Lohr fahren, weil sie auf der Neubaustrecke mit dem Schwarzbergtunnel nicht mehr fahren dürfen.
Da der neue Schwarzbergtunnel Rauchmelder hat, würde jede Fahrt mit einer Dampflok einen Feuerwehreinsatz auslösen, erklärt Björn Bohländer, 39. Er ist Zweiter Vorsitzender der Eisenbahnfreunde des „Historischen Eisenbahn Frankfurt e. V.“, die am Vatertag zwei Fahrten von Frankfurt Süd nach Lohr und zurück organisiert haben. Bei den Frankfurter Eisenbahnfreunden war die Nachfrage nach Tickets so groß, dass sie einen zusätzlichen fünften Waggon anhängten. So fuhren rund 250 Passagiere pro Fahrt mit und konnten sich im Bistrowagen verpflegen.
Fest am Bahnhof zur Verabschiedung
Gleichzeitig veranstalteten die Hanauer Eisenbahnfreunde Pendelfahrten mit einer Dampflok zwischen Aschaffenburg, Laufach und Heigenbrücken, und die Gemeinde Laufach verabschiedete sich mit einem Fest am Bahnhof vom Schwarzkopftunnel. Der Andrang war riesig. Der aus Hanau stammende Eisenbahnfreund Bohländer ist sichtlich stolz auf die Dampflok 01 118, die im Dezember 1934 in Dienst gestellt wurde. Die Lok mit der Spitzengeschwindigkeit 130 sei die einzige ihrer Baureihe, die ohne Unterbrechung gefahren sei. Der Verein kaufte sie in den 80ern aus der DDR, wo sie bis dahin durchgängig in Betrieb war.
Der Frankfurter Klaus Mühleisen, 72, Gründungsmitglied des Vereins und von seinem Einsatz auf der Dampflok rußgeschwärzt, erzählt, dass sie die Lok damals von Alexander Schalck-Golodkowski gekauft hätten, der für die DDR Devisen beschaffen sollte. Er selbst habe zwar Lokführer gelernt, aber dann im Büro gearbeitet. Nur bei Dienstfahrten habe er selbst Züge gefahren.
Hobby verschlingt viel Zeit
Vorsitzender Bohländer ist von Beruf Versicherungsmakler. Sein Hobby Eisenbahn verschlingt jedoch enorm viel Zeit, wie er erzählt. Am Wochenende gibt es weitere Dampflokfahrten, am Pfingstwochenende ebenfalls. Der Verein ist auf die Einnahmen angewiesen. Für die Fahrten über die Spessartrampe müssen sie pro Runde rund 600 Euro Trassengebühr bezahlen, für jeden Bahnhof ist zudem eine Stationsgebühr fällig. Alle sechs Jahre verschlinge die Hauptuntersuchung pro Dampflok 200 000 bis 250 000 Euro, die Loks müssen zudem dieselbe Sicherheits- und Funktechnik wie moderne Lokomotiven haben. Natürlich koste auch die Kohle, etwa vier bis fünf Tonnen werden für die beiden Runden benötigt, sagt der Heizer, der aus dem Tender Kohle in den Kessel schaufelt.
Alle Vereinsmitglieder arbeiten ehrenamtlich. Der Sonderzug am Vatertag ist mit 13 Mann besetzt. Darunter sind auch einige Pensionisten, wie Walter Frey, der früher Lehrer war und nun als Schaffner in blauer Uniform Fahrkarten kontrolliert, obwohl bei solchen Dampfzugfahrten niemand schwarz fahre. „Früher war reisen etwas anderes als heute“, sagt er. Um dieses Gefühl gehe es bei Dampflokfahrten, nicht darum, so schnell wie möglich von A nach B zu kommen.
Nette und entspannte Atmosphäre
Dieses Gefühl lieben auch Uwe Matthei, 75, der früher wie viele andere Lokführer werden wollte, und seine Lebensgefährtin Irmgard Timm. Mit einer weiteren Freundin teilen sie sich ein Abteil, die Damen trinken Sekt, er Bier. Ihnen gefielen die Atmosphäre und die stets netten Leute bei Dampfzugfahrten. Doch nicht alle sind so fröhlich und entspannt. Ein Herr von Mitte 50, Anfang 60 schimpft nach er Ankunft in Frankfurt, dass er leider keine Fotos habe machen können, weil ständig jemand aus dem Fenster vor ihm gehangen habe. „Für'n A. ist das.“
Die Waggons der Frankfurter Eisenbahnfreunde stammen aus den 60ern, bei der Bahn verkehrten sie bis in die 90er Jahre. Ordentlich was her mache es, wenn die Eisenbahnfreunde mit einer ihrer Dampfloks unter Dampf und mit „Tuuuu-ut“ am Mainufer durch Frankfurt und durch die Häuserschluchten führen, sagt Vorsitzender Björn Bohländer.
32 000 Liter Wasser und zwölf Tonnen Kohle
32 000 Liter fasst der Wassertank der 01-Dampflok, zudem kann sie zwölf Tonnen Kohle fassen. Da bei den Fahrten an Christi Himmelfahrt etwa 40 000 Liter Wasser gebraucht wurden, half vor der letzten Rückfahrt von Lohr nach Frankfurt die Lohrer Feuerwehr mit Wasser aus. Von einem Hydranten gegenüber vom Bahnhof pumpte die Feuerwehr etwa 7000 bis 10 000 Liter Wasser mit Schläuchen, die durch die Unterführung und am Bahnsteig bis hin zur Lok verlegt waren, in die Lok.