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GEMÜNDEN
Aufstieg und Niedergang Gemündens als Bahnzentrum
Mit Dampfkraft: Der Nachbau des historischen Zugs „Adler“ fuhr am 6. Mai 2012 im Hauptbahnhof in Nürnberg ein. Die Dampflokomotive war die erste in Deutschland eingesetzte Lokomotive. Die erste offizielle Eisenbahnfahrt mit Dampfkraft in Deutschland fand mit dem „Adler“ am 7. Dezember 1835 zwischen Nürnberg und Fürth statt.
Foto: Daniel Karmann, dpa | Mit Dampfkraft: Der Nachbau des historischen Zugs „Adler“ fuhr am 6. Mai 2012 im Hauptbahnhof in Nürnberg ein. Die Dampflokomotive war die erste in Deutschland eingesetzte Lokomotive.
Ferdinand Heilgenthal
 |  aktualisiert: 21.12.2015 14:33 Uhr

Die Volkshochschule Lohr-Gemünden und der Historische Verein Gemünden hatten zu einem Vortrag von Helge Seemann zum Thema „Gemünden und die Entwicklung des deutschen Eisenbahnnetzes“ eingeladen, zu dem etwa 20 Besucher in das Kulturhaus kamen.

Der pensionierte Gymnasiallehrer mit Wahlheimat Gemünden spannte in seinen Ausführungen den Bogen von der Dampfmaschine als Grundlage für die Eisenbahnentwicklung bis hin zur Bedeutung der Dreiflüssestadt als Eisenbahnknotenpunkt. Angefangen hat alles mit der Bändigung und Verwendung des Wasserdampfs als Antriebskraft. Die Erfindung der Dampfmaschine, die dem Engländer Thomas Newcomen 1712 gelang, aber oft dem Schotten James Watt zugeschrieben wird, zählt mit der Erfindung des Rads und des Computers zu den drei Ereignissen, die die Menschheit revolutionierten, stellte Seemann fest.

1814 baute George Stephenson die erste brauchbare Lokomotive, aus seiner Fabrik kam später auch die „Adler“, die 1835 die Wägen der ersten Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth zog. Das Eisenbahnfieber griff schnell um sich und schon drei Jahre später verließ mit der „Saxonia“ bei Dresden eine in Deutschland gebaute Lokomotive die Werkshallen.

Hindernis Kleinstaaterei

Das größte Hindernis, das der flächendeckenden Erschließung Deutschlands mit Eisenbahnnetzen im Wege stand, war nicht technischer Art, sagte der Referent. Vielmehr reiche ein Blick auf die politische Landkarte dieser Zeit, um am Flickenteppich der vielen deutschen Staaten und Kleinstaaten die bürokratischen Hemmnisse und Animositäten der fürstlichen Herrscher zu erahnen, die die Wegbereiter der Eisenbahn überwinden mussten. Einer von ihnen war Friedrich List, nach dem das staatliche Gymnasium in Gemünden benannt ist. Er hatte 1833 Pläne für ein deutsches Eisenbahnsystem erstellt, dessen Bedeutung die Kaufleute sogleich erkannten. Es spricht für die Weitsicht des Unternehmers List, dass seine Streckenpläne später nahezu ohne Änderungen verwirklicht wurden.

Mit der ersten 119 Kilometer langen Fernstrecke von Leipzig nach Dresden begann auch in Deutschland die Erfolgsgeschichte der Bahn. Allerdings setzte der bayerische Staat mit König Ludwig I. zunächst auf den Wasserweg. Der 1846 in Betrieb genommene Main-Donau-Kanal stellte sich als Fehlinvestition heraus und brachte für Gemünden lediglich eine geringe Aufwertung als Anlege- und Umschlagplatz.

Nach Ludwigs Abdankung 1848 fand der Eisenbahnbau in dessen Sohn Max II. einen Befürworter. Er ließ die von Sachsen nach Hof in Bayern verlängerte Strecke über Bamberg, Schweinfurt, Würzburg, Karlstadt nach Gemünden und von da aus über Hanau nach Frankfurt als Ludwigs-Westbahn weiterbauen. Zwischen Stadt und Main entstand 1854 der Bahndamm, dessen Höhe zwei bayerische Fuß, das waren etwa 60 Zentimeter, über der Hochwassermarke von 1848 betragen musste.

Den Bahnhof wollte man ursprünglich, eineinhalb Kilometer von der Kernstadt entfernt, in Richtung Langenprozelten errichten, wich aber wegen der Entfernung und der Hochwassergefahr davon ab und baute ihn am heutigen Standort. Als Folge des Krieges 1866 zwischen Bayern und Preußen und der Anbindung des Sinntals, auf jetzt preußischer Strecke, erhielten die siegreichen Preußen den Gemündener Bahnhof und der bayerische Bahnhof entstand etwas weiter östlich. Von beiden Bahnhofsgebäuden ist heute nichts mehr zu sehen.

Gemünden war zu einem wichtigen Knotenpunkt gewachsen, der 1879 durch die Werntalbahn nach Schweinfurt und 1924 durch die Saaletalbahn nach Bad Kissingen erweitert wurde. Die Kurgäste konnten im D-Zugwagen ohne Umsteigen von Frankfurt kommend in das Weltbad fahren. Dieser Luxus fand nur kurze Zeit Anklang, weil mittlerweile die betuchten Gäste mit dem eigenen Automobil anreisten.

Zerstörung im Zweiten Weltkrieg

Eine traurige Berühmtheit erlangte Gemünden gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Wegen der strategischen Bedeutung ihrer Bahnanlagen wurde die Kleinstadt stark zerstört. Das sei allerdings nicht der Auslöser für den Niedergang als Bahnzentrum und Verkehrsdrehscheibe gewesen, sagte der Referent. Die Bahn hat im Personenverkehr die Fahrzeiten verkürzt, um mit dem Flugverkehr konkurrieren zu können und die neuen, auf gerader Streckenführung die Großstädte verbindenden Schnellbahnen fahren an der ehemaligen Eisenbahnerstadt vorbei.

Was ist eine Eisenbahn?

Eine sehr bürokratische Definition des deutschen Reichsgerichts aus den 1920er Jahren zitierte Referent Helge Seemann am Schluss seines Vortrags im Kulturhaus:

„Eine Eisenbahn ist ein Unternehmen, gerichtet auf wiederholte Fortbewegung von Personen oder Sachen über nicht ganz unbedeutende Raumstrecken auf metallener Grundlage, welche durch ihre Konsistenz, Konstruktion und Glätte den Transport großer Gewichtsmassen bzw. die Erzielung einer verhältnismäßig bedeutenden Geschwindigkeit der Transportbewegung zu ermöglichen bestimmt ist, und durch diese Eigenart in Verbindung mit den außerdem zur Erzeugung der Transportbewegung benutzten Naturkräfte - Dampf, Elektrizität, tierische oder menschliche Muskeltätigkeit, bei geneigter Ebene der Bahn auch schon durch die eigene Schwere der Transportgefäße und deren Ladung …

bei dem Betriebe des Unternehmens auf derselben eine verhältnismäßig gewaltige, je nach den Umständen nur bezweckterweise nützliche oder auch Menschenleben vernichtende und menschliche Gesundheit verletzende Wirkung zu erzeugen fähig ist.“

 
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