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BILLINGSHAUSEN
Auf Augenhöhe mit der Industrie: Schreinerbetriebe in MSP
Dorothea Fischer
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:31 Uhr

Wer oder was ist ein „Löv“? Das schwedische Wort benennt weder eine afrikanische Raubkatze, noch ist dies ein englischer Ausdruck für die Liebe oder ein schwäbischer Fußballtrainer. Es bezeichnet ganz einfach das Blatt eines Baumes. Dieses Aussehen hat der Ikea-Couchtisch „Lövet“ aus dem Jahr 1956.

Vor 60 Jahren eröffnete Ingvar Kamprad das erste Möbelhaus in seiner Heimatstadt AAlmhult. Tische und Stühle selbst zusammenzubauen war damals auch in Schweden revolutionär. Doch Kamprad bewies, dass der Kunde dazu bereit war. Die Idee, Produkte flach zu verpacken, entstand zufällig. Eine Mitarbeiterin nahm die Beine des „Lövet“ ab, um ihn in ihr kleines Auto laden zu können.

Dasselbe Prinzip

Ein ganz ähnlicher Gedanke steckt auch hinter dem Möbel, das Anton Baumeister aus Lengfurt gerade fertigt: ein Ausstellungsregal, das sich zusammenlegen lässt. Der Kunde wollte eine individuelle Anfertigung vom Schreinermeister. Denn das Gestell wird den Verkaufsstand eines Imkers ergänzen. Es muss exakt in die Weihnachtsmarktbude passen. Und ein Regalbrett muss bis zu 200 Kilogramm tragen können.

Thomas Heußlein, Geschäftsführer einer Schreinerei und stellvertretender Innungsobermeister in Main-Spessart, arbeitet an einem ähnlichen Auftrag: Er stellt in der Werkstatt in Billingshausen die Ladeneinrichtung für einen Optiker her. Mit Massenproduktion nach dem Ikea-Konzept hat dies nichts zu tun.

Technisch auf der Höhe

Kunden beider Betriebe ist klar: Für Möbel vom Schreinerbetrieb muss man mehr Geld zahlen, als im Einrichtungshaus. „Dafür können die Leute nach 20 Jahren wieder kommen und kriegen ein Ersatzscharnier für ihre Küchenschranktür“, sagt Heußlein. Mit der Präzision industrieller Möbelfertigung können Betriebe wie seiner mithalten. Er deutet auf die CNC-Maschine und sagt: „Viele haben noch nicht verstanden, dass wir denen technisch in nichts nachstehen.“

Etwas anderes ist dies in der Werkstatt von Anton Baumeister. Der Ein-Mann-Betrieb bestellt fertig bearbeitete Bauteile wie Schubkästen, Türen und Fenster oder Arbeitsplatten auf Maß geliefert - wenn möglich von Betrieben in der näheren Umgebung. Holz und Furniere bezieht auch die Schreinerei Heußlein aus der Region.

Besondere Stücke

Und noch etwas haben die Handwerker gemeinsam: die Begeisterung für das, was sie tun. Vorzeigestücke für Baumeisters Arbeit finden sich in seiner Wohnung, so etwa die Küche mit gegossener Betonplatte, der massive Esstisch mit „Waldkante“ (wie gewachsen) oder passgenau Regale in den Nischen. Etwas Besonderes ist eine Sitzbank: „Ich habe die alte Werkbank meines Opas verarbeitet“, sagt der 38-Jährige. Risse, Ölflecken und Borlöcher darin erzählen eine Geschichte. Ob ein Ikea-Produkt das auch kann?

Thomas Heußlein hat sich selbstverständlich auch schon bei dem Möbelriesen umgesehen und ein klassisches Bücherregal nachgebaut – selbstverständlich aus hochwertigen Materialien. „Ich hinterfrage den Zweck, den ein Möbel erfüllen soll“, erklärt er. So könne er dem Kunden das Beste für dessen Bedürfnisse herstellen. „Einige Stücke bei Ikea sehen richtig gut aus, doch nur bei wenigen stimmt auch das Preis-Leistungs-Verhältnis“, sagt Baumeister. Er besitze sogar vier Klappstühle. „Sie klappen und haben nur zehn Euro gekostet, was will man mehr?“

Zwei Berufe

Apropos Geld: Baumeisters Leidenschaft ist nicht nur die Möbelfertigung. Nach der Ausbildung zum Schreiner studierte er Musik. Er verdiente sich etwas hinzu, indem er bei Kunden Böden verlegte oder Türen setzte. Erst nach und nach begann er, den ehemaligen Kuhstall des Familienhofes in eine Schreinerwerkstatt umzubauen. Vor vier Jahren schloss er dann noch einen Meisterkurs bei der Handwerkskammer in Würzburg an. Am Vormittag arbeitet er als Schreiner, am Nachmittag als Musiklehrer; eine Abwechslung, die er mag.

Der Weg des gleichaltrigen Thomas Heußlein aus Billingshausen indes war lange vorgegeben: Er lernte im Familienbetrieb das Handwerk, bildete sich 2003 in Garmisch-Partenkirchen zum Meister weiter und führt sein sechs Jahren die Geschäfte. Anders als Baumeister ist Heußlein für fünf weitere Beschäftigte verantwortlich.

In den zwei Wochen, in denen Anton Baumeister eine Operation auskurierte, stellte er einen Couchtisch her. Das Möbel ziert eine Platte mit Mustern aus Intarsien. „So etwas würde heute keiner mehr kaufen“, weiß Baumeister. Im Trend liegen massive Möbel, vor allem aus Eiche, mit geraden Linien und hoher Funktionalität. Oftmals werden Einbauschränke beim Schreiner bestellt.

Aufwendige Furnierarbeiten

Würde Baumeister das Tischchen „Lövet“ aus den 1960er Jahren als Einzelstück aus Massivholz anfertigen, könnte es schon 400 Euro kosten, schätzt er auf die Schnelle. Die gedrechselten Füße müsste er fertig hinzukaufen, die Furnierarbeiten des Tisches wären sehr aufwendig.

„Unter 300 Euro geht da gar nichts“, überschlägt Thomas Heußlein grob die Kosten für eine qualitativ hochwertige Ausführung aus seiner Werkstatt. „Ich denke, wenn man so einen Tisch bei Ikea kauft, wackelt er nach drei Wochen und wird weggeworfen. Unser Anspruch ist ein anderer. Wenn etwas wackeln würde, käme der Kunde und wir müssten es in Ordnung bringen“, packt er die Philosophie seines Unternehmens in ein praktisches Beispiel.

Zum Vergleich: Bei Markteinführung kostete der Couchtisch umgerechnet 4,50 Euro. In einer aktuellen Sonderkollektion können Kunden ihn in Form eines Blattes unter dem Namen „Lövbacken“ in einer Neuauflage erwerben; getreu dem Ikea-Motto zu einem erschwinglichen Preis. Und das heißt, Abstriche bei der Qualität der verwendeten Materialien: Hartfaserplatte, Folie, Beine aus Buchenholz, Kunststoff.

Schreinerhandwerk im Landkreis Main-Spessart

Nach Auskunft der Handwerkskammer für Unterfranken (HWK) gibt es insgesamt 85 Schreinerbetriebe im Landkreis Main-Spessart (Stand: 31. Dezember 2017). Wie viele von ihnen auch Möbel fertigen, ist nicht bekannt, da bei der Eintragung in die Handwerksrolle „Möbelbau“ nicht als Kriterium erfasst wird.

Die konjunkturelle Lage der unterfränkischen Handwerksbetriebe bewegt sich weiterhin auf sehr hohem Niveau, meldet die HWK. Der Großteil der Unternehmen sei mit der aktuellen Geschäftslage zufrieden. Dies betreffe auch die Betriebe des Ausbaugewerbes, zu denen die Schreinereien gehören.

73 Prozent der Betriebe im Landkreis haben für den Beruf des Schreiners eine Ausbildungsberechtigung. Wer ein Praktikum oder eine Ausbildung im Handwerk absolvieren möchte, kann sich auf der Internetseite der HWK informieren: www.hwk-ufr.de. In der dortigen Lehrstellenbörse sind für das Ausbildungsjahr 2019 aktuell noch rund 500 freie Stellen registriert, auch für das Schreinerhandwerk. (fiz)

Schreinermeister Anton Baumeister (38 Jahre) aus Lengfurt fertigt in seiner Werkstatt gerade ein Ausstellungsregal für den Verkaufsstand einer Imkerei.
Foto: Dorothea Fischer | Schreinermeister Anton Baumeister (38 Jahre) aus Lengfurt fertigt in seiner Werkstatt gerade ein Ausstellungsregal für den Verkaufsstand einer Imkerei.
Ikea-Gründer Ingvar Kamprad im Jahr 1964 mit einer Auswahl an Stühlen aus seinem Sortiment.
Foto: Inter IKEA Systems | Ikea-Gründer Ingvar Kamprad im Jahr 1964 mit einer Auswahl an Stühlen aus seinem Sortiment.
Der Entwurf des Ikea-Couchtischs „Lövet” stammt aus dem Jahr 1956. Er wurde damals für umgerechnet 4,50 Euro verkauft. Heute kann er im Rahmen einer limitierten Auflage zum 7,5-fachen Preis wieder erworben werden. Würde ihn eine regionale Schreinerei als Einzelstück fertigen, würde der Tisch 300 bis 400 Euro kosten.
Foto: Inter IKEA Systems | Der Entwurf des Ikea-Couchtischs „Lövet” stammt aus dem Jahr 1956. Er wurde damals für umgerechnet 4,50 Euro verkauft.
 
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