
Was für ein Einstand. Als Xaver Widmann 1976 das erste Mal Festwirt auf der Spessartfestwoche war, verwüsteten ihm wütende Besucher das Festzelt, weil er um 24 Uhr den Bierhahn zugedreht und die Musiker eingepackt hatten. Anna Bradfisch, 80, die Schwiegermutter des jetzigen Festwirts Franz Widmann, war damals als Bedienung dabei. Das fast halbstündige, rhythmische „Tok! – Tok! – Tok!“ Hunderter leerer Bierkrüge auf den Biertischen hat sie noch heute im Ohr. „Das war eine Schau!“, sagt sie rückblickend. Aber danach sind ihr die Lohrer, die schon am nächsten Tag, als wäre nichts gewesen, zum Gottesdienst ins Festzelt an die mit Macken versehenen Biertische zurückkamen, ans Herz gewachsen.
Der Gasthof brannte
Sie hat viel zu erzählen, auch wenn sie erst ein bisschen dazu überredet werden musste. So erlebte sie 1980 das Oktoberfestattentat in München, in Karlstadt musste sie einst aus einem Fenster springen, weil der Gasthof brannte, auf dem Gemündener Heimatfest ist sie seit 40 Jahren im Einsatz. Auch mit 80 Jahren arbeitet sie noch auf Volksfesten mit. Erst war sie Bedienung, später verkaufte sie „Würschtl“, „Kaas“ und „Hendl“, jetzt macht sie das Büro.
Das bedeutet nicht, dass es für sie ruhiger geworden ist. „Wenn du am Stand stehst und hast ein, zwei Artikel, dann ist das eine Spielwiese im Vergleich zum Büro“, sagt sie am Montagnachmittag und schaut hinüber zu Brezeln, Hähnchen und Co. Im Büro laufe alles zusammen, dort macht sie etwa Reservierungen, abends die Kasse und gibt Biermarken aus.
Vor über 40 Jahren kam Anna Bradfisch, die aus der Hallertau stammt und in München in einer Metzgerei lernte, durch eine Bekannte zur Arbeit als Bedienung auf Volksfesten. Ihr erstes Volksfest war in Straubing. Ihr Mann wollte das eigentlich nicht, aber sie verdiente dann fast mehr als er, sagt sie, und finanzierte so den Hausbau in Essenbach bei Landshut mit.
Auf dem Oktoberfest bedient
Jahrelang hat die zweifache Mutter auch auf dem Oktoberfest bedient. Als sie dort anfing, kostete die Maß noch 2,75 Mark. „Ich hab ein Foto, sonst hätte ich das gar nicht geglaubt.“ Das Oktoberfest sei schon ab morgens um 9 Uhr „immer Stress pur“ gewesen. Zehn Maßkrüge auf einmal schleppte sie dort. „Diese Menschenmenge gibt's sonst nirgends.
“ An das Oktoberfestattentat erinnert sie sich noch gut. Sie bediente damals im ersten Zelt beim Haupteingang, an dem die Bombe hochging. „Das hat einen Knall getan, das ganze Zelt hat gezittert.“ Die Leute schrien, sie erinnert sich an Bilder „wie im Krieg“. Wenn sie davon erzählt, läuft ihr heute noch ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter.
Die Spessartfestwoche ist schon ihr viertes Volksfest dieses Jahr, vier weitere werden noch folgen. Seit über 40 Jahren gehört sie zum Team der Widmanns. Ihre Tochter Jutta, studierte Lehrerin und heute Landtagsabgeordnete, hat ihren Mann Franz Widmann, von Bradfisch liebevoll „Franzl“ genannt, einst kennengelernt, als sie ihre Mama im Bierzelt besuchte. Die Tochter ermunterte sie im Festzelt, dem Reporter doch ein bisschen was zu erzählen. „Du musst mitmachen und lustig sein, das gefällt den Leuten“, hat sie als Bedienung gemerkt. So hätten Männer sie oft aufgefordert: „Du musst antrinken.“ Die schöne Frau mit den schwarzen Haaren machte den Spaß mit. Die Bedienungen in ihren Dirndl bedauert sie heute oft, weil sie weiß, wie die in der Kleidung schwitzen. Sie selbst vertrage die Hitze auch immer schlechter.
Volksfest in Karlstadt
Das erste Fest, das ihr Schwiegersohn Franz Widmann in Eigenregie ausrichtete, war 1987 das damals noch bestehende Volksfest in Karlstadt. Sie hat es vor allem deswegen in Erinnerung, weil das Gasthaus „Goldener Anker“ in der Maingasse, wo alle Festzeltangestellten untergebracht waren, ausbrannte. „Wir sind alle zum Fenster raus.“ Heute schlafen alle Angestellten in Wohnwägen mit Dusche und WC. „Wunderbar“, findet sie. Vorher sei es immer schwierig gewesen, eine Unterkunft für alle zu finden. Dass sie nachts um eins, zwei erst heimkamen und duschten und womöglich etwas lauter waren, wurde von den Hotels zudem immer nicht so gerne gesehen, erzählt sie. Außerdem sei der Heimweg vom jeweiligen Festplatz mitunter lang gewesen.
„Früher“, sagt sie, nach einem Unterschied zu heute gefragt, „haben die Leute mehr getrunken.“ Damals waren fast nur Männer im Bierzelt und Frauen haben allenfalls am Krug des Mannes genippt. „Jetzt trinken die Frauen genauso viel wie die Männer.
“ Sie ist viel herumgekommen und hat dabei festgestellt: „Die Leute sind überall anders.“ In einer Stadt umarmen einen die Leute gern, machen „Bussi hier, Bussi da“. In Lohr seien die Leute freundlich, großzügig und freuen sich dermaßen auf die Festwoche, dass manche extra Urlaub nehmen. „Die Lohrer sind mir am liebsten, ohne Schmarrn“, sagt Anna Bradfisch. Nach dem ersten Abend auf der Festwoche hatten die Widmanns auf, „solange die Leute da waren“. Das sei jedes Jahr besser geworden. „Jetzt gengan's schon brav heim.“
Zum Geburtstag Wunderkerzen
Begeistert erzählt sie von ihrem 80. Geburtstag Anfang Mai auf der Landshuter Dult. Natürlich war sie im Festzelt und arbeitete mit. Ein Bekannter brachte ihr mit zwei Musikanten eine Erdbeertorte in Herzform vorbei. Schwiegersohn Franz machte ihr ein Spanferkel, das Freunde und Familie verzehrten, während fünf Musiker spielten. Und abends rief der Kapellmeister sie auf die Bühne, die Lichter gingen aus und zu „Aber dich gibt's nur einmal für mich“ wurden überall im Zelt Wunderkerzen geschwenkt.
Eigentlich wollte Anna Bradfisch nur solange mitwirken, bis die Kinder erwachsen sind und selbst mitarbeiten. Das tun sie längst, sogar ihre Enkelin mit Mann ist schon dabei. Fünf Enkel und sechs Urenkel hat sie inzwischen. Gerne würde sie sie ihre Urenkel noch aufwachsen sehen und ein bisschen Zeit mit ihnen verbringen. Eigentlich ist sie noch überall dabei, aber auf dem Heimatfest in Gemünden hat sie dieses Jahr schon ausgesetzt. „Ich denke, dass ich nächstes Jahr zu Hause bleib“, sagt sie. Ganz.