Die Stadt Lohr stellt ihre Wirtschaftsförderung auf neue Beine: Seit 1. Juni gibt es im Rathaus ein Amt, das für die umfassende Vermarktung des Standorts zuständig ist. Es bündelt die Sachgebiete Wirtschaftsförderung, Stadtmarketing und Tourismus und wird von Anja Güll geleitet. Die 31-Jährige, die sich seit 2021 maßgeblich um das Digitale Gründerzentrum "Starthouse Spessart" in Lohr kümmert, ist nun zusätzlich auch als Wirtschaftsförderin aktiv.
Nach dem Tod von Hans-Joachim Hüftlein im Jahr 2021 nahm sich Bürgermeister Mario Paul federführend der Wirtschaftsförderung an. Citymanagerin Simone Neubauer unterstützte ihn dabei bei Themen, die den Handel und die Innenstadt betreffen. Über das Starthouse habe sie ebenfalls flankierend geholfen, "sofern es digitale Gründungsthemen oder unsere Unternehmenspartner betroffen hat", berichtet Güll.
Zusätzliche Anlaufstelle im Amt
Der Wunsch nach einer zusätzlichen zentralen Anlaufstelle für die lokale Wirtschaftsförderung, "die operativ mehr PS auf die Straße bringen kann", sei laut Güll aus dem Netzwerk des Starthouse gekommen. Darin engagieren sich Lohrer Firmen, wie Bosch Rexroth, Sorg, Grampp und Gerresheimer.
Personell aufgestockt wurde das Amt im Zuge der Umstrukturierung nicht: Weil sich das Gründerzentrum etabliert hat und seit August vergangenen Jahres mit Karina Koberstein dort eine Projekt- und Marketingmanagerin eingestellt wurde, hat Anja Güll nach eigener Aussage Zeit für neue Aufgaben bekommen. "Ich konnte mich im Starthouse in eine stärkere Leitungsrolle begeben, weil ich nicht mehr jede Entscheidung bis zur Bestellung des Caterings für Veranstaltungen selbst umsetzen muss", sagt Güll. Das sei überhaupt erst die Voraussetzung gewesen, dass sie die Wirtschaftsförderung nun mit 30 Prozent mitbetreuen könne.
Die 31-Jährige, die in Gemünden lebt und Politikwissenschaften studiert hat, möchte den Lohrer Unternehmen eine bessere Vernetzung und einen schnellen Draht ins Rathaus bieten. Sie spricht dabei von einer "Serviceanlaufstelle für Unternehmer". Von Null fängt sie bei der Kontaktpflege nicht an, denn Güll hat bei ihrer Arbeit für das digitale Gründerzentrum nach eigener Aussage schon "unzählige Unternehmenskontakte" gehabt. Trotzdem sieht sie es als ihre erste Aufgabe an, jetzt unter anderem mit Firmenbesuchen "auf ganz breiter Flur mit der Lohrer Wirtschaft in Kontakt zu kommen und sich vorzustellen".
Engerer Austausch erhofft
Bei ihrer Arbeit als Wirtschaftsförderin will sie keinen Unterschied zwischen international agierenden Großkonzernen, Mittelständlern und kleinen Handwerksbetrieben machen. "Das Allerwichtigste ist, für alle gleichermaßen offen und ansprechbar zu sein und die Anliegen aller gleich ernst zu nehmen", betont Anja Güll. Auch von der knappen Stadtkasse will sie sich nicht ausbremsen lassen: "Das Entscheidende ist, dass Leute in der Verwaltung sind und sich der Anliegen annehmen. Das ist gegeben."
Von der Bündelung der drei Bereiche Wirtschaftsförderung, Citymanagement und Tourismus in einem Amt erhofft sich Güll einen engeren Austausch und mehr gegenseitige Unterstützung. "Unser Anliegen ist es, mit einer flachen Hierarchie gemeinsam zusammenzuarbeiten, um das Beste für den Standort herauszuholen", sagt sie mit Blick auf die ihr zugeordneten Sachgebietsleiter Simone Neubauer und Jürgen Goldbach.
Zu Gülls Hauptaufgaben gehört künftig das Leerstandsmanagement, bei dem es aktuell vor allem um die Wiederbelebung verwaister Ladenflächen in der Lohrer Innenstadt geht. Ihr Fokus soll aber auch auf Gewerbeflächen liegen, die zu vermitteln sind. Die sind allerdings im engen Lohrer Talkessel Mangelware.
Filetstück liegt quasi brach
Ein letztes Filetstück im Industriegebiet Süd hat vor fünf Jahren der Lohrer Glasofenbauer Sorg von der Stadt gekauft. Auf dem rund 1,8 Hektar großen Gelände an der Bürgermeister-Dr.-Nebel-Straße hatte die Firma damals nach eigenen Angaben Großes vor: Sie plante, dort die Fertigung und Montage von Ausrüstungen, ein Logistikzentrum, ein Schulungszentrum für Kunden und eine Stätte für die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern.
Umgesetzt wurde davon bisher nichts: Auf Teilen der Gewerbefläche hat ein nahes Lohrer Autohaus Fahrzeuge abgestellt. Der Großteil des Geländes aber liegt brach. Auf die Frage, wie es dort weitergehen soll, antwortet Bürgermeister Mario Paul schriftlich, dass er begründet davon ausgehe, dass eine Bebauung wie vereinbart erfolgen werde. Derlei Grundstücksgeschäfte der Stadt seien immer mit Fristen versehen und entsprechenden Rückkaufrechten hinterlegt. Zu Details gibt das Rathaus allerdings keine Auskunft. Die Firma Sorg gibt auf Nachfrage keine öffentliche Erklärung zu ihrem Grundstück ab.
Altlasten im Boden
Auch die Freiflächen neben dem Obi-Markt im Sandfeld würden unter anderem wegen Altlasten im Boden "einen hohen finanziellen und personellen Aufwand seitens der Stadtverwaltung erfordern", um sie für die Gewerbeansiedlung zu nutzen. Die Stadt Lohr besitzt darüber hinaus derzeit nach eigenen Angaben "wenige bis keine Gewerbeflächen". Als wichtig sieht sie es deshalb an, sich zu bemühen, "private Flächenressourcen zu mobilisieren und unterstützend mitzuwirken, Potenziale in diesem Bereich zu heben". Dafür sei sie wiederkehrend in Gesprächen mit Eigentümern, was künftig zu den Aufgaben der Wirtschaftsförderin zählen wird.
Anja Güll verweist deshalb auch darauf, wie bedeutsam das Digitale Gründerzentrum für Lohr und die Region ist: Weil digitale Gründer in der Regel keine großen Produktions- und Lagerhallen bräuchten, sieht sie bei Start-ups "viel Wachstumspotenzial bei geringem Flächenbedarf". Selbst wenn ein Start-up 30 Mitarbeiter habe, würden die Leute in diesem Bereich oft ortsungebunden von sonst wo auf der Welt oder in Deutschland arbeiten. "Solche Geschäftsideen sind tolle Chancen für eine Kommune, weil sie das Dilemma der mangelnden Flächen ein bisschen aushebeln und trotzdem noch Wachstumspotenzial für den Wirtschaftsstandort bieten", betont die 31-Jährige.
Bau der Klinik als Chance
Auch mit dem Bau des Zentralklinikums in Lohr ergeben sich für die lokale Wirtschaft Chancen, die Anja Güll nicht ungenutzt verstreichen lassen möchte. "Wir werden versuchen, ein Netzwerk über die Gesundheitsakteure zu weben, sie in Austausch zu bringen und Veranstaltungen anzubieten", erläutert sie. Anfang Mai hat das Starthouse bereits den ersten Lohrer Gesundheitsgipfel ausgerichtet, bei dem Digitalisierung, Innovation und Start-ups im Mittelpunkt standen. Anja Gülls Rollen als Starthouse-Leiterin und Wirtschaftsförderin ergänzen sich also bereits prächtig.