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GEMÜNDEN
Angeklagter mit Gedächtnislücke
Jürgen Kamm
 |  aktualisiert: 11.12.2019 10:29 Uhr

Leugnen war zwecklos, zeigte die Video-Überwachung des Drogeriemarktes doch eindeutig den Diebstahl. Ein 20-Jähriger und sein anderweitig verfolgter Komplize hatten im August 2017 insgesamt sechs Flaschen Eau de Toilette im Wert von rund 490 Euro in ihre Umhängetaschen gesteckt. Für den Diebstahl und einen Ausraster, als die Polizei da war, sowie mit Einbeziehung eines Strafbefehls für einen anderen Diebstahl verurteilte ihn das Amtsgericht Gemünden zu sieben Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung mit 500 Euro Geldauflage.

Vor Gericht gab der Mann an, sich an die Tat nicht erinnern zu können. Laut seinem Anwalt erkannte er sich aber auf den Videos der insgesamt elf Überwachungskameras, die auch in der Verhandlung gezeigt wurden. Dem Südeuropäer aus einem Balkanstaat war die Sache sichtbar unangenehm. Er gab an, seinen Komplizen kaum zu kennen, ihn damals am Bahnhof getroffen und sich spontan zum Diebstahl verabredet zu haben. Dann wisse er nur noch, dass sie einen Drogeriemarkt in Kreuzwertheim betraten.

Im Drogeriemarkt fiel damals einer Kundin auf, dass leere Parfümverpackungen herumlagen. Und dass sich zwei junge Männer irgendwie von ihr gestört fühlten und irgendwas am Sockenregal machten. Sie sagte dem Marktpersonal Bescheid. Die Mitarbeiterinnen fanden daraufhin vier ausgepackte Flaschen Parfüm zwischen den Socken und zwei weitere in einem anderen Regal. Als die Filialleiterin sie ansprach, wussten sie von nichts, worauf diese die Polizei alarmierte. Während der Wartezeit schickte der Angeklagte seiner Freundin noch Sprachnachrichten mit dem Tenor: Wir sollen gestohlen haben. weil wir Ausländer sind.

Als die Polizei kam, fand diese in den Umhängetaschen der Männer auch Alufolie. Angeblich waren Döner darin eingewickelt, doch die Folien waren unverschmutzt und teilweise sauber gefaltet. Letztlich ergab die Beweisaufnahme, dass die beiden Diebe insgesamt sehr professionell vorgegangen sind: So rissen sie die Folienhüllen der Parfümverpackungen nicht auf, sondern verwendeten ein Messer, vermutlich weil das leiser ist. Die Alufolie könnte dazu gedacht gewesen sein, das elektronische Sicherungssystem zu überlisten. Und sie griffen zu drei recht teuren Düften zwischen 62 und 92 Euro Verkaufspreis (jeweils zwei Flaschen).

Was damals in ihrem Büro geschah, macht der Filialleiterin bis heute derart Angst, dass sie sich mit einem Tierabwehrspray bewaffnet hat. Als eine Mitarbeiterin mit zwei gefundenen Parfümflaschen herein kam, lief der Angeklagte rot an, sprang unvermittelt auf und schlug seinen Kopf mehrfach gegen eine Betonwand. Die beiden Polizisten hatten Mühe, ihn zu bändigen und einer zog sich Kratzer am Unterarm und eine Knieprellung zu. Der Mann wand sich immer wieder aus den Griffen heraus, was Juristen passiven Widerstand nennen, ehe er mit Handschellen gefesselt wurde.

Der Südeuropäer ist juristisch kein unbeschriebenes Blatt. Schon vor zwei Jahren bekam er wegen Diebstahls eine richterliche Weisung und es gibt deshalb zwei rechtskräftige Verurteilungen zu Geldstrafen. So hatte er als Mittäter im Oktober 2017 an einer Tankstelle einem Mann eine Geldbörse mit 700 Euro gestohlen.

Recht dubios klang der Bericht der Jugendgerichtshilfe. Beim letzten Gesprächstermin sei mit dem Angeschuldigten nichts anzufangen gewesen, berichtete der Mitarbeiter des Jugendamtes Main-Tauber. Er habe angegeben, aus Angst, nicht mehr aufzuwachen, tagelang nicht geschlafen zu haben. Deshalb wurde ein Bericht von einem früheren Gerichtsverfahren verwendet. Demnach verließ der (angeblich) heute 20-jährige Südeuropäer die Schule ohne Abschluss, schloss 2007 eine Ausbildung zum Friseur und 2009 (mit elf Jahren) eine zum Gas-Wasser-Installateur erfolgreich ab. Mangels Perspektive in seiner Heimat kam er im Jahr 2015 nach Deutschland. Für die Anwendung von Jugendrecht sprach nichts, der Angeschuldigte hat vor acht Monaten geheiratet, seine Frau ist schwanger und er hat schon ein Kind mit einer anderen Frau.

Der Staatsanwalt sah in seinem Plädoyer einen Diebstahl im besonders schweren Fall sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mit Körperverletzung. Dass die Täter das Diebesgut zurück legten, spielt keine Rolle, weil sie es schon eingesteckt hatten, ist es juristisch vollendeter Diebstahl. Er unterstellte dem Mann, die Gedächtnislücke sowie die Selbstverletzung sei ebenso wie das anfängliche Leugnen und „weil ich Ausländer bin“ eine Masche. Er forderte für den Diebstahl alleine acht Monate Haft, und insgesamt unter Einbeziehung des Urteils zum Diebstahl der Geldbörse zehn Monate Gesamtstrafe auf Bewährung.

Der Verteidiger widersprach insbesondere der Einstufung als besonders schweren Fall. Letztlich wären es drei Parfüms für jeden gewesen, manche Männer hätte zehnmal so viel daheim. Er habe seinen Mandanten natürlich zu einem strafmindernden Geständnis geraten, doch das könne der nicht. Insgesamt seien die zehn Monate aber zu viel.

Richterin Karin Offermann entschied schließlich auf eine Gesamtstrafe von sieben Monaten mit der Bewährungsauflage 500 Euro an die Bürger-Kultur-Stiftung Marktheidenfeld und 700 Euro als Schadenswiedergutmachung aus dem anderen Urteil zu bezahlen. Für zwei der drei Jahre Bewährungszeit wird der Mann einem Bewährungshelfer unterstellt. Sie ging für den Diebstahl von sechs Monaten Einzelstrafe aus, weil ein gewerbsmäßiges Handeln nicht nachweisbar war. Für die Strafaussetzung zur Bewährung entschied sich die Richterin, weil der Verurteilte als werdender Vater vermutlich besonders viel Angst hat, ins Gefängnis zu müssen.

 
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