Gut ein halbes Jahr nach seinem Rückzug vom Eurovision Song Contest (ESC) hat sich der Gemündener Sänger Andreas Kümmert erstmals in der Öffentlichkeit zu den Hintergründen geäußert. In der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) spricht er in bemerkenswerter Offenheit über seinen Kampf gegen Angststörungen und Panikattacken.
Der 29-Jährige hatte am 5. März in Hannover den deutschen ESC-Vorentscheid überlegen gewonnen, aber dann live vor Millionen Zuschauern seinen Verzicht auf eine Reise zum Finale in Wien erklärt. Kümmert: „Ich bin nicht wirklich in der Verfassung, diese Wahl anzunehmen. Ich gebe meinen Titel an Ann Sophie.“ Die Hamburgerin vertrat Deutschland denn auch im Mai in Wien – und wurde dort Letzte.
Kümmerts Absage spaltete die Musik-Nation, vor allem in den sozialen Netzwerken wie Facebook wurde heftig diskutiert. Während die einen von seinen vermeintlichen Launen enttäuscht und genervt waren, feierten ihn andere als Künstler, der allein für seine Musik lebt und sich standhaft weigert, zu funktionieren, wie es die Branche verlangt.
Was viele ahnten, macht Kümmert jetzt öffentlich. Der Sänger hat all die Monate furchtbar gelitten, er redet von Angststörungen und Depressionen. Er beschreibt Atemnot und Todesangst schon vor dem Auftritt in Hannover. Gar nicht umgehen konnte er mit Beleidigungen auf Facebook. „Ich hoffe, Du verreckst auf der Bühne, du fettes Schwein“ lautete ein Eintrag kurz vor dem ESC-Vorentscheid. Als die Angriffe nach dem Aus noch an Vehemenz zunahmen („Hurensohn“, „Stück Scheiße“) teilte er selbst unkontrolliert aus, beschimpfte Kritiker als „degenerierte Arschlöcher“.
Ganz mit sich eins ist Andreas Kümmert auf der Bühne. Da ist der Sänger überragend, da holt er sich Bestätigung. Um sich vor einem Millionenpublikum zu beweisen, hat er beim ESC mitgemacht, obwohl er bereits mit dem Show-Format „The Voice auf Germany“ trotz aller Erfolge fremdelte. Und auf der Bühne klappte es ja auch in Hannover.
Doch in der Stunde seines größten Erfolgs dominierten einmal mehr Zweifel. Er fürchtete, sich für die Show in Wien komplett verstellen zu müssen, sagt er in der SZ: „Jeder will da Antworten auf hirnrissige Fragen, für die ich keinen Nerv hätte. Das hat mir plötzlich eine Riesenangst gemacht.“ Sigi Schuller, Manager bei der Plattenfirma Universal, beschrieb die Szenerie im März so: „Andreas hat plötzlich gemerkt, die Lampe ist zu groß, die da angeht.“
Offen bekennt der 29-Jährige nun im Interview, dass er seit Mai in therapeutischer Behandlung ist. „Ich wollte, dass das endlich aufhört.“ Das, das sind „die Panikattacken, die Atemnot, die vielen schlaflosen Nächte, die Grübelei über den Tod“. Mittlerweile gehe es aufwärts. Kümmert sei dabei zu lernen, dass er, der als Kind eher Außenseiter war, zu einer Person des öffentlichen Lebens geworden ist. Und er arbeite an der Fähigkeit, sich besser in andere Menschen hinein zu fühlen, Kritik nicht gleich als „Totalvernichtung“ zu empfinden.
Der Gemündener schreibe Gedichte, um die dunklen Momente zu bewältigen. Zudem verzichte er nun auf Zigaretten, Alkohol und Kaffee.
Und er tut, was er schon immer am Besten kann. Er steht auf der Bühne und macht Musik. Zur Zeit ist er auf Tournee. Rund 40 Konzerte stehen bis Weihnachten auf dem Plan, zwischen Rostock und Stuttgart in Deutschland, zwischen Wien in Österreich und Solothurn in der Schweiz. In Lohr war Kümmert für diesen Sonntag angekündigt, weitere Konzerte in der Region sind unter anderem in Erlangen (1. Oktober) Aschaffenburg (12., 13. Oktober) und Giebelstadt (23. Oktober).