„Vor 75 Jahren: Die Amis kommen“, so lautete der Arbeitstitel dieses Beitrags zum Ende des 2. Weltkriegs in Marktheidenfeld am 2. April 1945. Aber dieser Beitrag fällt etwas anders aus als ursprünglich konzipiert. Das Corona-Virus und die staatlichen Maßnahmen, die vor Infektionen schützen sollen, beherrschen unser aktuelles Leben. Vor 75 Jahren hatten die Menschen an Main und Spessart andere Sorgen.
Es waren für sie die letzten Tage des 2. Weltkriegs, der am 1. September 1939 begonnen hatte, Leid, Not, Entbehrung, Entwurzelung, Verzweiflung und Tod für Millionen Menschen gebracht hat und offiziell in Deutschland mit einer bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 zu Ende gehen sollte. Marktheidenfeld ist erspart geblieben, was zum Beispiel Gemünden erleiden mussten: Eine weitgehende Zerstörung und viele Tote unter der Bevölkerung in Folge von Bombenangriffen und Gefechten. Für den Zeitraum 24. März bis 8. April 1945 wurden in Gemünden 147 Tote registriert. Der Eisenbahnknotenpunkt Gemünden gehörte zu den am stärksten betroffenen Kleinstädten Bayerns.
Wer eine traurige Bilanz von zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft für Marktheidenfeld nachlesen möchte, dem sei ein Besuch des Mahnmals jenseits des Maines empfohlen. Auf den dort angebrachten Tafeln wird gedacht der Gefallenen und in Gefangenschaft Gestorbenen, aber auch der wegen ihres jüdischen Glaubens Verfolgten und Umgekommenen, der rechtswidrig in Marktheidenfeld Hingerichteten, aller weiteren Opfer von Krieg und Gewalt.
Noch kurz vor dem Einmarsch vier Hinrichtungen
In der 2014 vorgelegten Chronik „Marktheidenfeld – Von den Anfängen bis zum Ende des 2. Weltkriegs“ überschreibt Dr. Leonhard Scherg den maßgeblichen Abschnitt mit „Das Kriegsende in Marktheidenfeld – Zusammenbruch und Befreiung“. Er stützt sich bei seiner Darstellung besonders auf die Erinnerungen und Aufzeichnungen dreier Zeitzeugen: Josef Ruf, 1933 bis 1953 katholischer Pfarrer in Marktheidenfeld, Rita Baumann (später Stumpf) und Heinz Eschenbacher. Scherg berichtet von den vier deutschen Soldaten, die am 26. März beziehungsweise am 1. April 1945 rechtswidrig hingerichtet worden sind. An sie erinnert auch eine Tafel, die der Historische Verein Marktheidenfeld und Umgebung 1985 auf dem Altstadtfriedhof hat anbringen lassen.
Nachdem die amerikanischen Truppen bereits Roßbrunn erreicht hatten, traf in den späten Abendstunden des 1. April 1945 (Ostersonntag) der Befehl ein, die bisherige Verteidigungslinie Wertheim-Marktheidenfeld-Lohr zu räumen und eine neue Linie Gemünden-Karlstadt-Veitshöchheim-Würzburg-Ochsenfrut einzurichten. Bereits am 26. März war Befehl gegeben worden, die Brücke in Marktheidenfeld wie die die anderen in der Gegend zur Sprengung vorzubereiten. Die Sprengung der Marktheidenfelder Brücke wurde zunächst nicht durchgeführt, weil sich darauf geschlagene deutsche Truppen zurückzogen. Sie erfolgte dann unter Verwendung von Torpedoköpfen am 2. April 1945 (Ostermontag) zwischen vier und fünf Uhr. Bei der Sprengung wurden zwei Bögen zerstört. Der Zweck der Sprengung, die amerikanischen Truppen aufzuhalten, wurde allerdings nicht erreicht.
Mehrere Warenlager und zwei Schiffe geplündert
Zwischen dem Abzug der deutschen Truppen und politisch Verantwortlichen und dem Einmarsch der Amerikaner wurden die hier befindlichen Warenlager in den Kellern der Bürgerbräu und der Mälzerei Sorg und in der Ziegelei aufgesucht und geplündert, ebenso am Mainufer angelegte Schiffe. Das eine Schiff hatte Rotwein und Spirituosen geladen, das andere, die „Rigoletto“, Getreide.
Schon am 30. März und 1. April waren die Untermain-Gemeinden des Landkreises Marktheidenfeld eingenommen worden, und noch am Nachmittag des Ostermontags rückten die ersten amerikanischen Truppen in Marktheidenfeld ein. Dessen Häuser hatten als Zeichen der Kapitulation weiß geflaggt. Von Erlenbach aus, das am Vormittag kampflos besetzt worden war, fuhr gegen 14 Uhr ein amerikanischer Jeep in die Würzburger Straße, die damals Adolf-Hitler-Straße hieß. Man erkundigte sich nach dem Aufenthalt deutscher Soldaten und zog sich wieder zurück. Um 14.30 Uhr folgten amerikanische Spähwagen.
Fünf Spähwagen und drei Panzer rückten an
Zwischen 15 Uhr und 17 Uhr, da weichen die Erinnerungen etwas voneinander ab, rückten schließlich die amerikanischen Soldaten mit fünf Spähwagen und drei Panzern, von Lengfurt her über den Dillberg und über die Mainuferstraße kommend, in Marktheidenfeld ein. Die wichtigsten Punkte Marktheidenfelds wurden besetzt, Soldaten patroullierten durch die Straßen. Marktheidenfeld wurde den Amerikanern vom amtierenden Bürgermeister, dem Sparkassendirektor Franz Haider, und dem amtierenden Landrat Max Schmidt im Rathaus übergeben. Noch am Abend des 2. April erging ein Aufruf an die Zivilbevölkerung: „1. Waffen, Munition und feststehenden Messer sind abzuliefern. 2. Radiogeräte abliefern, mit Anschriften versehen. 3. Nach 18 Uhr darf kein Zivilist mehr auf der Straße sein. 4. Kein Zivilist darf den Ort verlassen. 5. Der Hitlergruß entfällt sofort.“ Mit Ausnahme Urspringens wurde der gesamte Landkreis bis zum Ende des 2. April 1945 eingenommen.
Am 8. April 1948 wurde Marktheidenfeld zur Stadt erhoben. Zu diesem Anlass schrieb Dr. Hans Wutzlhofer, Bayerischer Bevollmächtigter beim Länderrat und Mitglied des Bayerischen Landtags, der „jungen“ Stadt Marktheidenfeld am 14. April 1948 sozusagen ins Stammbuch: „Je stärker das gegenseitige Vertrauen und die Zusammenarbeit ist, umso mehr wird Marktheidenfeld eine günstige Entwicklung nehmen.“
Marktheidenfeld hat in den gut sieben Jahrzehnten, die seither vergangen sind, eine überaus günstige Entwicklung genommen. Man hat sich darauf besonnen, was die kleine Stadt an Main und Spessart und die Menschen, die hier leben, ausmacht und weiter bringt, und gemeinsam gehandelt. Vielleicht liegt in der Corona-Krise auch eine Chance: Die Chance, zu „entschleunigen“, sich wieder zu besinnen auf das Wesentliche, auf Realismus, auf einen fairen Umgang miteinander und die Sorge füreinander.