Flugwetter. Über dem Wiesengeviert am Rande des Eichholz-Waldes duftet es nach frisch gemähtem Gras. Am Himmel über dem Vorspessart „stehen“ dicke Cumuluswolken – Wolken, die Segelflugzeuge mit thermischen Aufwinden himmelwärts ziehen. Im Funkgerät am Flugleitertisch ist es relativ ruhig an diesem Schönwetter-Tag. Bislang gab es nur wenige Starts und Landungen zu beaufsichtigen.
„Bei Esselbach liegt ein Segelflugzeug auf dem Acker!“, meldet sich plötzlich eine Piloten-Stimme aus dem Äther. Fluglehrer Jürgen Denk wird hellhörig. „Das wird doch nicht unsere Marie sein?“ Er hat die 14-jährige Flugschülerin vor gut zwanzig Minuten in den Himmel geschickt. Ihr Auftrag: Sie soll in Flugplatznähe nach thermischen Aufwinden zu suchen. „Delta drei-fünf von Altfeld, bitte kommen!“, ruft Denk die junge Pilotin über Funk und erkundigt sich nach der aktuellen Position. Als ihm Marie mitteilt, dass sie achthundert Meter über Esselbach kreist, ist der Fluglehrer erleichtert. Die Außenlandung hat nichts mit der Altfelder Flugschülerin zu tun.
Viele Wochenenden auf dem Flugplatz
Minuten später sieht das kleine Pilotenteam am Flugleiter-Tisch im Westen des Flugplatzes einen Segler unter einer dicken Wolke im Aufwind kreisen. „Da ist ja Marie!“, freut sich Jürgen Denk über die Entdeckung. Im Stillen weiß er freilich, dass sein fliegender Schützling im Segler-Cockpit einen guten Job macht. Marie Ostrowski wurde quasi Fliegerblut in die Wiege gelegt. Sie durfte von kleinauf mit Vater Horst und Mutter Katja an vielen, vielen Sommer-Wochenenden die Welt des Segelflugs hautnah miterleben.
Frauen im Pilotensitz sind hierzulande längst eine Normalität geworden. Es ist durchaus möglich, dass in einem Riesen-Airbus A 380 eine komplette weibliche Cockpit-Crew mit einer „Flugkapitänin“ am Sidestick sitzt. Bei der Bundeswehr fliegen zwei Frauen als Kampfpilotinnen den Eurofighter. Die Zeiten als die US-Amerikanerin Amelia Earhart als erste Frau im Alleinflug den Atlantik überquerte oder Elly Beinhorn 1932 den Erdball im kleinen Flieger umrundete und damit Exotinnen waren sind längst vorbei.
Vater Horst ist selbst Fluglehrer und Ausbildungsleiter
Segelflug ist auch bei Frauen beliebt. Doch dass eine erst 14-jährige Schülerin wie Marie Ostrowski ins Cockpit steigt, ist eine Seltenheit. Doch es wundert nicht, wenn man ihre Familie kennt: Vater Horst und Mutter Katja haben schon vor 21 Jahren beim Aeroclub Tauberbischofsheim gemeinsam die (Flug-) Schulbank gedrückt. Heute ist Horst Ostrowski als Fluglehrer und Ausbildungsleiter eine der Stützen beim Flugsportclub Altfeld und nebenbei stolzer Besitzer eines Motorseglers, dessen Tragflächen die stolze Spannweite von 28 Metern haben. Rund 2000 Stunden hat der selbständige Unternehmensberater mittlerweile zwischen Himmel und Erde zugebracht.
Katja Hofmann ist ebenfalls in der ersten Reihe des 1972 gegründeten Flugsportclubs Altfeld zu finden, als Kassierer kümmert sich die gelernte Informatikerin um die Vereinsfinanzen. Die Ausbildung von Tochter Marie befindet sich bei Horst Ostrowski und dem Altfelder Fluglehrer-Kollegen Nils Eilbacher in guten Händen.
Als Elfjährige im Doppelsitzer mitgesteuert
Als Marie Ostrowski begann, sich ernsthaft für Segelflug zu interessieren, war sie elf Jahre alt. Vater Horst erinnert sich noch heute an diesen Sommertag, als er ein doppelsitziges Segelflugzeug vom Typ ASK 21 von Tauberbischofsheim nach Altfeld überführte – mit der Tochter im Cockpit. „Nach dem Windenstart hatten wir einen guten Bart (Aufwind), der uns auf eine gute Höhe brachte, ab da hat Marie das Flugzeug ganz allein nach Altfeld geflogen.“ Das habe mächtig Spass gemacht, erinnert sich Marie an das Erlebnis, das in ihr den Wunsch weckte, selbst Segelflugzeugführer zu werden.
Das Gesetz erlaubt den Ausbildungsbeginn jedoch erst ab dem 14. Lebensjahr. Den Flugschein selbst dürfen Schüler erst erhalten, wenn sie 16 Jahre alt geworden sind. Die Pilotenlizenz erfordert für die theoretische Prüfung ein gehöriges Maß an Wissen rund um den Flugsport. Dazu gehören unter anderem Kenntnisse in den Fächern Technik, Meteorologie, Navigation, Verhalten in besonderen Fällen und Luftrecht. Ferner muss bis zum Ende der Ausbildung ein Sprechfunkzeugnis erworben werden. Das Plazet der Eltern und die fliegerärztliche Tauglichkeit gehören zu den weiteren Notwendigkeiten.
Der erste Alleinflug ist für jeden Flugschüler ein besonderes Erlebnis. Mit diesem geht ein alter Fliegerbrauch einher, von dem auch weibliche Pilotenanwärter nicht „verschont“ bleiben. Die Rede ist von ein paar „Klopsen“ auf den „Allerwertesten“. Dass bei Marie die Geschichte nach 58 Starts und Landungen weniger heftig über die Bühne ging, lässt sich denken. Glückwünsche mit Blumen aus der Natur ergänzten dieses „Erlebnis“.
Einziges Mädchen in der Flugschüler-Gruppe
Dass die Flugschülerin, die das Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg besucht und als Lieblingsfächer Mathematik, Informatik und Physik angibt, neben dem Theorieunterricht vom Wissen des Vaters profitieren kann, liegt auf der Hand. Damit, dass sie in Altfeld oft „alleine unter Männern“ ist, hat Marie kein Problem. Sie versteht sich prächtig mit der zehnköpfigen Flugschüler-Gruppe, zu der auch einige Jugendliche zählen.
Seine Liebe zum Segelflug hat Vater Horst, als er zu den Führungskräften der Kurtz-Ersa-Gruppe gehörte, einmal im Firmenmagazin deutlich gemacht. Im Originalton Ostrowski ist dort zu lesen: “Lautlos durch die Luft zu gleiten und nur mit Hilfe der Thermik stundenlang zu fliegen, das macht das Segelfliegen für mich zum schönsten Hobby der Welt.“.