Als Siegfried Kimmel und Gangolf Ruckert im Sommer 1973 vor der Eiger-Nordwand standen, sagten sie: "Das ist doch läppisch, das schaffen wir." Doch der Berg in den Berner Alpen sollte die beiden Unterfranken schnell eines Besseren. Sie gerieten in einen Wettersturz und mussten umkehren. Nach einem heiklen Abstieg hatten sie erst zwei Tage später wieder sicheren Boden unter den Füßen.
Es war im August vor 45 Jahren
1975 gelang es dem aus Aschfeld im Landkreis Main-Spessart stammenden Siegfried Kimmel und dem Würzburger Gangolf Ruckert dann doch noch, "die überaus gefährliche, gefürchtete und berüchtigte, 2000 Meter hohe Nordwand des Eigers zu bezwingen", wie die Main-Post damals anschließend jubilierte. Bis heute sind Ruckert und Kimmel die einzigen Unterfranken, die diesen Erfolg verbuchen können. Nun, mit nun 45 Jahren Abstand, schmunzeln sie über manches, was sie damals gemacht haben.
"Beim ersten Mal waren wir ziemlich blauäugig", erzählt Siegfried Kimmel. Nur ein Jahr zuvor hatte der damals 22-Jährige überhaupt mit dem Bergsteigen begonnen. Ein Kletterkurs des Alpenvereins war der Einstieg. Zuvor war er schon immer in der Natur unterwegs gewesen. "Ich bin viel auf Bäume geklettert und habe zum Beispiel den Bussard in seinem Horst fotografiert", blickt der inzwischen pensionierte Förster von Eußenheim zurück. Augenblicklich brannte er für sein neues Hobby - und er wollte auf den Eiger.
Vom Eiger hauptsächlich Geröllhaufen gesehen
Der vier Jahre ältere Gangolf Ruckert war schon seit 1964 im Klettergarten am Karlstadter "Edelweiß" herumgekraxelt und brachte längst auch anderen das Klettern bei. Bei der Bundeswehr gehörte der Würzburger zum Hochgebirgszug, der Elitetruppe der Gebirgsjäger. Aber er sagt: "Ohne den Siggi wäre ich nie zum Eiger gekommen, der war voller Tatendrang und hat immer gequengelt. Ich hätte mir für diese große Wand eigentlich auch beim zweiten Mal noch mehr Vorbereitung gewünscht."
Die beiden erzählen von ihrem ersten Versuch: "Als wir zum Eiger kamen, steckte die obere Hälfte der Wand in den Wolken. Unten sahen wir hauptsächlich Geröllhaufen." Heute können Bergsteiger auf genaue Routenbeschreibungen zurückgreifen. Die gab es vor 45 Jahren nicht. Also kauften die beiden jungen Kletterer aus Unterfranken eine Postkarte von der Eiger-Nordwand, auf der ein Linie zeigte, welche Route die Erstbesteiger um Anderl Heckmair 1938 gewählt hatten. Auf einem Foto, das Gangolf Ruckert an einer fast senkrechten Felspassage zeigt und das im Jahr 1973 als Titelbild das Mitteilungsblatt der Sektion Würzburg zierte, schaut genau diese Postkarte aus seiner Gesäßtasche heraus.
Mehr als die Hälfte der 1800 Meter hohen Nordwand hatten die beiden bereits geschafft. Dann kam ein Wettersturz und die Wand war mitten im August tief verschneit. Im sogenannten Schwalbennest, einer kleinen Nische, biwakierten die Kletterer. Die ganze Nacht hindurch prasselten Schneerutscher darüber hinweg. "Wir konnten kein Auge zutun und sagten uns: Da hammer uns was eingebrockt." Auf einem Foto ist zu sehen, wie steif gefroren das Seil war.
Es war ein Glück, dass es am sogenannten Hinterstoißer-Quergang ein Fixseil gab. "Sonst wäre es uns wohl ähnlich ergangen wie Anderl Hinterstoißer und seinen Kameraden." Die waren bei einem Versuch der Erstbesteigung 1936 in einem Unwetter umgekommen. Ruckert und Kimmel mussten bei ihrem Rückzug noch ein zweites Mal biwakieren. Als sie nach zwei Tagen Abstieg im Dunkeln unten ankamen und alle Haken und Schlinge aufgebraucht hatten, "merkten wir, dass der Eiger doch nicht so ohne ist".
Sie schworen sich: "Das machen wir nie mehr." Eine Woche später plante Siegfried Kimmel schon wieder - und 1974 erfolgte der nächste Versuch. Diesmal waren die beiden besser vorbereitet. Beispielsweise hatten sie die Watzmann-Ostwand im Winter durchstiegen und waren auf einer einfacheren Route auf dem 3967 Meter hohen Eiger, um von oben aus die Wand zu studieren. Doch wieder scheiterten sie. Kimmel: "Wir waren an dem Tag einfach nicht gut drauf."
1975 waren die Steigeisen noch nicht so ausgereift
1975 der dritte Anlauf: Alles ging glatt bis ins erste Biwak. Doch dann zogen von Grindelwald her schwere Wolken herauf. Ruckert und Kimmel zögerten und ließen eine spanische und eine Münchner Seilschaft passieren. Und dann, dann wagten es die beiden jungen Unterfranken doch.
Am ersten Eisfeld legten sie ihre Steigeisen an. "Das war in so abschüssigem Gelände eine Kunst für sich, uns graute jedesmal davor, oft waren die Bänder locker, das war früher echter Mist", blickt Gangolf Ruckert zurück. 20 Minuten habe das Anlegen in der Wand gedauert. Mit der heutigen Ausrüstung sei das wesentlich komfortabler. Überhaupt, sagen die beiden Bergsteiger heute, seien sie aus jetziger Sicht primitiv ausgestattet gewesen. Sogenannte Funktionskleidung? Unbekannt. Und die beiden hatten wenig Geld. Auf den Fotos sieht man sie in normalen Oberhemden und Pullovern. "Ich hatte einen K-Way", sagt Kimmel lachend, "so ein billiges Anoräckle."
Ein Wettersturz hoch oben hätte ernste Folgen gehabt
Die bis zu 60 Grad steilen Eisfelder waren hart wie Glas. Gangolf Ruckert notierte später: "Doch mit den Frontzacken der Steigeisen, Eishammer und Pickel ging es zügig aufwärts, was wichtig war, denn mittags beginnt im zweiten Eisfeld der Steinschlag." Die beiden überholten die spanische Seilschaft. "Ab und zu fegten Steine über uns hinweg." Ruckert wurde einmal von einem fingergutgroßen Stein getroffen und blutete stark.
Starker Wind kam auf. Der untere Teil der Wand war völlig im Nebel verschwunden. Nachdem das dritte, besonders steile Eisfeld geschafft war, ebneten die beiden eine vereiste Stelle, so gut es ging, um hier ein zweites Mal zu biwakieren. Auf dem Gaskocher machten sie sich eine Bouillon, Jägersuppe und Tee. Wieder eine schlaflose Nacht bei Wind, Nebel und Kälte. Ein Wettersturz in dieser Höhe hätte die Bergsteiger in eine ernste Situation gebracht. Ein Rückzug wäre äußerst schwierig gewesen.
Doch am nächsten Tag war der Himmel klar, weit und breit keine Wolke. Ein überhängender Eiswulst wurde mit Eisschrauben und Steigleitern gemeistert. Und eine brüchige Passage war noch zu bewältigen. Doch vom Karlstadter Klettergarten her waren es die beiden gewohnt, damit umzugehen. Kurz vor dem Gipfel hieß es die Freude unterdrücken. "Schon Spitzenbergsteiger sind kurz vorm Ziel aus unerklärlichen Gründen abgestürzt", sagt Ruckert.
Nach 1800 Höhenmetern und 4000 Metern Kletterstrecke erreichten Gangolf Ruckert und Siegfried Kimmel am 7. August 1975 den Gipfel. 25 Stunden reine Kletterzeit lagen hinter ihnen und zwei schlaflose Nächte. Nur neun anderen Seilschaften gelang in jenem Jahr der Durchstieg der Eiger-Nordwand.