Dass sie sich einmal lange Zeit am Stück ganz »normal« gefühlt hätte, daran kann sich Cathrin B. (Name geändert) aus dem Kreis Miltenberg kaum erinnern. Schon seit ihrer Jugend macht sie emotionale Achterbahnfahrten mit. »Manchmal sehe ich alles nur tiefschwarz«, sagt die gelernte Bibliothekarin. Dann wieder könne sie »Bäume ausreißen«. Diese Schwankungen machen ihr Leben extrem anstrengend. Hilfe erhält die 57-Jährige derzeit in der Psychiatrischen Institutsambulanz Miltenberg (PIA).
Lange kämpfte Cathrin B. alleine mit ihrer Erkrankung. Sie schaffte es, obwohl es ihr so schlecht ging, ihrem Beruf nachzukommen und zwei Kinder großzuziehen. 20 Jahre lang schlug sie sich irgendwie durchs Leben. Mit wechselnden Arbeitsstellen. Wechselnden Wohnungen. Und immer mit Gefühlen, die von Außenstehenden kaum nachvollzogen werden konnten: »In depressiven Phasen dachte ich, die Welt wäre in Ordnung und nur ich verkehrt, in manischen Phasen hielt ich mich für richtig und die ganze Welt für falsch.« 2008 brach alles zusammen. Zum ersten Mal kam Cathrin B. in das Bezirkskrankenhaus (BKH) Lohr.
Aufsuchende Pflege
Seither erfährt die Miltenbergerin Unterstützung. Über die Nachsorge kam sie mit Heike Zeller in Kontakt. Zeller ist Fachkrankenpflegerin für Psychiatrie. Sie bietet sogenannte »Aufsuchende Pflege« an. Mindestens einmal im Monat, meist noch öfter, kommt sie zu Cathrin B. nach Hause, um mit ihr über all das zu sprechen, was die Patientin gerade beschäftigt.
Dass dieser »Service« existiert, schätzt Cathrin B. ungemein: »Es gibt Tage, da ist es mir absolut unmöglich, aus dem Haus zu gehen.« An diesen Tagen würde sie sich aus eigener Kraft also auch nicht aufraffen und in die Institutsambulanz oder zu einem Arzt gehen können. Ganz abgesehen davon, so die Erwerbsunfähigkeitsrentnerin, dass Ärzte niemals Zeit für ein einstündiges Gespräch hätten.
Für viele Menschen aus dem Miltenberger Landkreis ist die vor einem Jahr in den Räumen der Helios-Klinik eröffnete Außenstelle des Lohrer Bezirkskrankenhauses ein Segen. 565 Männer und Frauen werden derzeit in der PIA behandelt. Hinzu kommen rund 75 Patienten, die, wie Cathrin P., aufsuchend betreut werden. »Zu diesen hohen Zahlen kam es, obwohl wir keinerlei Werbung gemacht haben«, sagt Oberärztin Delia Lettmaier. Dass sich so viele Menschen um Hilfe an die PIA wenden, freut die Psychiaterin. Gleichzeitig bedeutet das enorme Patientenaufkommen eine personelle und räumliche Herausforderung: »Wir bräuchten dringend einen zusätzlichen Arzt.«
Unterversorgtes Gebiet
Zu vermuten bleibt, dass die Zahlen weiter steigen werden. Denn psychische Erkrankungen sind in vielen Fällen nicht kurzfristig heilbar - wie das Beispiel von Cathrin B. zeigt. »Es gibt natürlich Menschen, die uns nur für kurze Zeit brauchen«, sagt Delia Lettmaier. Aber viele bleiben auch für länger an die Ambulanz angebunden: »Wir haben Patienten, die seit der Eröffnung im April 2018 bei uns sind.«
Für die Bürger aus dem Landkreis bedeutet PIA eine immense Chance, lebten sie doch lange in einem psychiatrisch unterversorgten Gebiet. Allerdings gibt es nach wie vor in Miltenberg nicht genug niedergelassene Psychiater. »Und auf einen Psychotherapieplatz wartet man bis zu einem Jahr«, sagt Elena Atzbach, die als Psychologin in das Miltenberger PIA-Team integriert ist. In der Institutsambulanz sollen die Menschen schnell psychotherapeutische Hilfe erhalten. Doch dieses Ideal umzusetzen, gestaltet sich schwierig. »Wir haben schon die Anzahl der Sitzungen auf zehn verkürzt«, sagt Atzbach. Dennoch sei man aktuell bis Anfang Juni ausgebucht.
Mehr Gruppenangebote
Um mehr Menschen zu helfen, soll es künftig mehr Gruppenangebote geben. Seit Eröffnung der PIA läuft bereits eine regelmäßige Gruppe. Bei zehn Treffen erfahren die Teilnehmenden, wie sie Krisen und Depressionen bewältigen können. »Sie lernen zum Beispiel, mit negativen Gedanken umzugehen«, erläutert Delia Lettmaier. Am 18.April startet eine neue Gruppe. Cathrin B. hat fest vor, daran teilzunehmen.
Für Elena Atzbach ist es bedenklich, dass viele Menschen in seelischer Not nach wie vor nicht rechtzeitig Hilfe erhalten. Das lange Warten auf den Beginn einer Therapie schmälert die Aussicht auf Heilung, sagt die tiefenpsychologisch orientierte Therapeutin, die in der PIA auch traumatisierte Flüchtlinge behandelt.
Nicht gut sei auch, dass Patienten heute kaum noch einen Therapeuten auswählen können. Dabei sei es so wichtig, dass sich Therapeut und Patient verstehen. Ist das nicht der Fall, kann auch dadurch der Effekt einer Therapie reduziert werden.