Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 zementierte den schon zuvor angewandten Grundsatz, dass der Landesherr die Religion seiner Untertanen bestimmt. Dass das einfacher gesagt als getan war, zeigt Kreisheimatpfleger Theodor Ruf an der Reformation in der Grafschaft Rieneck mit seiner Hauptstadt Lohr auf.
Die Reformation in Lohr ist untrennbar mit dem Namen von Johann Conrad Ulmer verbunden. Dieser stammt aus Schaffhausen und ist 1544 bis 1566 Reformator in der Grafschaft Rieneck.
Aus Anlass seines 500. Geburtstags in 2019 veröffentlichte der Historische Verein des Kantons Schaffhausen vor kurzem einen Sammelband mit Beiträgen einer Jubiläumstagung im März 2019.
Einer der Beiträge stammt von Theodor Ruf, der darin neue Ergebnisse eines intensiven Quellenstudiums vorlegt. Philipp III., Graf von Rieneck, liebäugelt schon länger mit der Reformation, zögert aber mit der Einführung. Denn sein Onkel ist einflussreicher Domherr im Erzbistum Mainz, dem Lehensherrn der Grafschaft.
Den Ausschlag zur Reformation gibt laut Ruf wohl der Umstand, dass es mit der Grafschaft bergab geht. Sie ist nur noch ein Viertel so groß wie zu ihren Glanzzeiten, der Graf ist kränklich und notorisch finanziell klamm. Philipps Lösung mutet modern an, nach Rufs Worten machte er "bedenkenlos Schulden".
Dazu kommt, dass Philipp und seine Frau Margarethe einsehen müssen, dass es mit Nachwuchs nichts mehr werden wird. Die Grafschaft wird nach Philipps Tod als "erledigtes Lehen" an Mainz zurückfallen. Deshalb hat sich Philipp nach Rufs Erkenntnissen bemüht, "etwas Bleibendes zu hinterlassen, eben den neuen Glauben".
An Silvester 1543 nach Lohr
Ulmer weiß, so eine weitere Erkenntnis Rufs, entgegen früheren Annahmen genau, worauf er sich einlässt, als ihn Philipp III. kurz nach erfolgreichem Studienende in Wittenberg nach Lohr ruft. Denn er pflegt Kontakt zu zwei Studenten aus Lohr. Silvester 1543 kommt Ulmer in Lohr an.
Wie schleppend die Einführung der Reformation verläuft, erkennt man laut Ruf daran, dass Ulmer zunächst nur zum Hofprediger, nicht zum Lohrer Pfarrer berufen wird.
Erst nach einem halben Jahr werden die katholischen Liturgie-Gegenstände aus der Stadtpfarrkirche entfernt. Nach den Quellen sind nicht wenige Bürger "der päpstlichen Religion völlig ergeben".
Ausspucken auf der Straße
Ulmer wird sogar vor Anschlägen gewarnt, Leute spucken vor ihm auf der Straße aus. Offenen Widerstand gibt es aber nicht. Nach Rufs Worten ist es "wie überall und jederzeit": Manche neigen der neuen Lehre zu, manche halten an der alten fest, vielen ist es egal, weil sie gar nicht begreifen, worum es eigentlich geht.
In den 1550er Jahren sind der Graf und sein Reformator zunehmend ratlos, wie sie die Verbreitung der neuen Lehre noch fördern sollen.
Philipp sieht sich zu mahnenden Erlassen genötigt, Pfarrstellen in der Grafschaft können nicht besetzt werden. Zermürbt stirbt der Graf am 3. September 1559, der Großteil der Grafschaft mit Lohr fällt an Mainz.
Ulmer will seine Schäfchen nicht im Stich lassen und lehnt einen ersten Ruf in seine Heimatstadt Schaffhausen ab. Einfach hat er es in Lohr aber nicht. Um hier seine Schäfchen bei der Stange zu halten, muss er Feindbilder entwickeln und gegen den Papst und die katholische Kirche polemisieren.
Als Ulmer in Mainz "verpetzt" wird, belässt es der Erzbischof bei Mahnungen, sich zu mäßigen und "Aufruhr zu vermeiden".
Das Erzbistum hat Wichtigeres zu tun, in Lohr will es vor allem Ruhe haben. Dem zweiten Ruf aus Schaffhausen folgt Ulmer, er verlässt Lohr mit seiner Familie im April 1566.
Söhne besuchen Lohr
20 Jahre später besuchen seine Söhne Lohr und werden wohlwollend empfangen. Die neue Lehre scheint doch Wurzeln geschlagen zu haben, denn als 1603 die Gegenreformation beginnt, also die Rekatholisierung, sind nach Rufs Worten "viele Lohrer so widerspenstig, wie sie es bei der Einführung der evangelischen Lehre waren".