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MITTELSINN
Als Militärseelsorger in Afghanistan
Jürgen Gabel
 |  aktualisiert: 05.05.2016 03:30 Uhr

Der bis 2010 in Burgsinn tätige evangelische Pfarrer Johannes Müller ging als Militärseelsorger zur Bundeswehr. Die evangelische Kirchengemeinde Mittelsinn und besonders sein persönlicher Freund, Pfarrer Gunnar Zwing, luden ihn jetzt zu einem Vortragsabend zum Thema „Als Militärpfarrer in Afghanistan“ ein. Knapp 40 Besucher erlebten einen überaus lebendigen und spannenden Bildvortrag über Müller viermonatigem Auslandseinsatz in Kabul.

Eigentlich hatte die Kirchengemeinde zu einem „Männerabend“ in den Nebenraum der Turnhalle eingeladen. Auf Nachfrage, warum keine Frauen zugelassen sind, antwortete Zwing schmunzelnd: „Die Frauen haben ihr Frauenfrühstück und wir als Gegenpol einmal jährlich den Männerabend“.

Pfarrer Müller stieg ohne lange Vorrede in das Thema ein und berichtete von seiner Vorbereitung auf den Einsatz und die konkrete Bedrohung in Afghanistan. Im Juli 2015 startete er mit 100 anderen Soldaten mit einem Transportflugzeug der US-Luftwaffe zum Sieben-Stunden-Flug nach Afghanistan. „Meine Aufgabe lautete: Seelsorgerische Betreuung“.

Insgesamt sind im Einsatz „Resolute Support“ in Afghanistan bis zu 980 Soldaten der Bundeswehr beteiligt. Im Feldlager Kabul leben etwa 100 Soldaten. Der 50-jährige Müller sprach offen das Spannungsfeld der Soldaten an: So muss nicht nur der Kriegseinsatz psychisch verarbeitet werden, auch das einbeinige Kind an der Straßenecke oder die wegen bitterer Armut bettelnde Mutter mit ihren Kindern am Straßenrand sind Ursachen seelischer Belastung.

Wichtiger Partner der Truppe

Der Militärseelsorger sei für viele ein wichtiger Partner der Truppe. Es muss nicht das schlimme Ereignis sein, das der einzelne verarbeitet. Es sind auch die kleinen Dinge wie der Alltag in Kabul, die Enge im Camp, die eingeschränkte Privatsphäre, das Klima und die Entfernung von den Lieben zu Hause, die den Soldaten beschäftigen.

Militärseelsorger Johannes Müller begleitete die Soldaten im deutschen Camp. „Das ist die seelische Achterbahn im Auslandseinsatz“. Für die Kollegen war er ein guter Kamerad – weder Außenseiter noch in zentraler Rolle. Es war nicht immer das Einzelgespräch entscheidend, manchmal genügte ein Gespräch auf dem Gang, beim Essen oder auf dem Hof. Zwei Mal wöchentlich lud er zu Gottesdiensten ein: ein Ritual, das den Alltag der Soldaten unterbricht.

Zu Außenterminen für Gottesdienste war Müller mit gepanzerten Transportfahrzeugen unterwegs. In Kabul selbst musste er die Tatsache der schreienden Armut und andererseits des extremen Reichtums kennen lernen. Auf die Zwischenfrage, woher der Reichtum komme, verwies Johannes Müller auf viel Geld aus dem Westen. Zudem seien die Einkünfte eines afghanischen Bauern aus Drogengeschäften drastisch höher als aus dem Getreideanbau.

Höhepunkt: Soldaten getauft

Müller betreute eine ganze Reihe von Soldaten; sein persönlicher Höhepunkt war die Taufe eines Soldaten. Seine Feststellung, dass nur rund 30 Prozent aller Soldaten der Bundeswehr einem Bekenntnis angehören, löste unter den Zuhörern eine gewisse Beklemmung aus.

Oftmals zeigten sich bewegende Momente beim Gottesdienst: „Wenn jeder Soldat eine brennende Kerze in die Hand nimmt, leise eine Fürbitte spricht, dann werden auch die härtesten Hunde ganz weich“. Weil eine Orgel fehlt, kommt die Kirchenmusik vom Band.

Sauberes Trinkwasser ist in Afghanistan Mangelware. Eigentlich kein Wunder, betonte Müller, in der Fünfmillionenstadt Kabul gibt es kein Kanalsystem, überall schwimmen Fäkalien herum. Vielerorts liege Müll.

Relativ locker ging Pfarrer Müller mit dem Thema Bedrohung durch die Taliban um: „Die Gefahr gesprengt zu werden ist so gering, wie ein Unfall auf einer deutschen Autobahn“. Eigentlich wollten 99 Prozent der Einwohner Kabuls in Frieden leben, schätzt Müller.

Im Grunde sei das Land wunderschön, meinte der Pfarrer. Die Luft in der Stadt Kabul sei jedoch bei kaltem Wetter unerträglich. Kein Wunder, werden die Öfen doch mit kleingehackten Autoreifen beheizt. Deutsche sind in Afghanistan sehr angesehen, erklärte Müller.

Christus–Brüder aus Triefenstein

Er traf auf zwei Brüder aus der Christus-Bruderschaft des Klosters Triefenstein. Diese arbeiten seit mehr als 30 und 40 Jahren in Afghanistan und reparieren in Kabul medizinische Geräte.

Der Aussage der deutschen Politik über den hohen Bildungsstand der afghanischen Flüchtlinge erteilte Johannes Müller eine Absage: Seinem Kenntnisstand zufolge ist der Bildungsstand vieler Abiturienten sehr niedrig. Eine Folge von akutem Lehrermangel bei einer immer jünger werdenden Bevölkerung. Für die Taliban selbst stellt eine gute Schulbildung die größte Gefahr dar.

„In meiner seelsorgerischen Betreuung hatte ich die ganze Palette, vom frommsten Christen bis zum tiefsten Atheisten“, blickte Müller zurück. Zum Ende seines Bildervortrags sagte Johannes Müller offen: „Ich hab den Job in Kabul gerne gemacht. Ich lernte mit der Gefahr umzugehen, diese einzuschätzen und diese auch zu verdrängen. Wir sollten dankbar sein, dass wir in einem reichen, geordneten Land leben dürfen. Kein Wunder, dass afghanische Flüchtlinge zu uns nach Deutschland wollen“.

Nach 130 Tagen endete der Auslandseinsatz Müllers als Militärpfarrer in Kabul. Sein nächster Auslandseinsatz ist allerdings schon geplant.

Für die Soldaten im Auslandseinsatz ist der Militärpfarrer ein wichtiger Partner. Die Gottesdienste mit Pfarrer Johannes Müller im Camp in Kabul waren gut besucht.
Foto: Bundeswehr | Für die Soldaten im Auslandseinsatz ist der Militärpfarrer ein wichtiger Partner. Die Gottesdienste mit Pfarrer Johannes Müller im Camp in Kabul waren gut besucht.
 
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