Die gebirgige Gegend um das libanesische Arsal ist rundherum von Militär abgeriegelt. Bis zu einer Säuberungsaktion im August diente die Region an der Grenze zu Syrien als Rückzugsort für islamistische Al-Nusra- und auch IS-Kämpfer. 60 000 syrische Flüchtlinge harren dort derzeit in rund 200 Zeltlagern aus. Über Jahre seien sie „vergessen gewesen in diesem Nest in den Bergen“, sagt Sebastian Roth aus Sendelbach bei Lohr (Lkr. Main-Spessart).
Als freiwilliger Helfer bei den Grünhelmen war der 27-Jährige im November einer der ersten Westler, die wieder dorthin kamen. Mit zwei anderen Deutschen machte er Zelte winterfest. Vorher hatte sich dort kein Helfer hingetraut. Sogar Libanesen hätten sich gewundert: „Warum wollt ihr dorthin? Dort ist es kalt und voller Gesetzloser.“ Roth hingegen erzählt regelrecht beseelt, er habe dort „die herzlichsten Menschen getroffen, die du dir vorstellen kannst“.
Vor dem Libanon als Grünhelm in Nepal
Der Holztechnik-Ingenieur hatte in den vergangenen vier Jahren in Studium und Beruf bereits Bau- und Projekterfahrungen in Äthiopien und Tansania gesammelt. Nach einem ersten Grünhelm-Projekt im Sommer in Nepal, wo er eine Wasserversorgung mit aufgebaut hatte, begann Roths dreimonatiger Einsatz im Libanon im Oktober zunächst in der Küstenstadt Sidon. Mit Roth waren zwei andere junge Deutsche im Einsatz.
Der 27-Jährige hatte bei der Anreise eine Kappsäge und zwei Akkuschrauber im Gepäck. Gute Werkzeugqualität war auch vonnöten. In Sidon bauten sie für einen riesigen Rohbau, in dem 1500 Flüchtlinge leben, Holzfenster und diese auch ein – insgesamt 280 Stück in sechs Wochen, mit haltbaren Doppelstegplatten aus Polycarbonat statt Glasscheiben. Außerdem machten sie eine Schule wieder nutzbar.
Aus geplanter Universität wurde größtes Flüchtlingsheim
Der Rohbau war als islamische Universität geplant, aber dann mietete die UNO-Flüchtlingshilfe (UNHCR) ihn an. Jetzt ist er die größte Flüchtlingsunterkunft im Libanon. Roth zeltete während dieser Arbeit mit den anderen beiden Helfern auf dem Dach des Gebäudes. Als Grünhelm-Freiwilliger bekam er Flug, Kost und Logis sowie 100 Euro Taschengeld im Monat.
Lebten die Flüchtlinge in Sidon quasi in „Vollpension vom UNHCR“ und zeigten eine „erschreckende Tatenlosigkeit“, wie es Roth beschreibt, war die Situation im gebirgigen Arsal eine völlig andere. In und um die 35 000-Einwohner-Stadt leben die 60 000 Flüchtlinge praktisch auf sich allein gestellt in rund 200 Zeltlagern. Die 16-Quadratmeter-Familienzelte, so schildert es Roth, waren oft schimmlig und – oft nur mit dünnen Latten konstruiert – alles andere als geeignet, um Wind, Regen und Schnee standzuhalten.
Flüchtlinge in Arsal sind auf sich allein gestellt
In Arsal hätten die Flüchtlinge, anders als die in der Küstenstadt, von Anfang an für sich selbst sorgen müssen. Sie nähmen jede Arbeit an, allerdings bekomme ein Syrer für die gleiche Arbeit nur ein Zehntel dessen, was ein Libanese verdient. Manche konnten sich anfangs durch ihr Erspartes noch Zimmer für 100 Dollar im Monat leisten, aber je länger der Krieg in Syrien dauerte, desto mehr mussten in Zelte umziehen. Jetzt zahlen sie an die Libanesen Pacht für den Grund.
Wasser bringt ein Tanklaster des UNHCR, Strom gibt es immerhin zwölf Stunden am Tag. Dass die Straßen nicht asphaltiert sind, sei nicht schlimm, weil der Untergrund ohnehin felsig ist, so der 27-Jährige.
Roth und seine Kollegen waren in zwei der Lager tätig. Im ersten bauten sie mit Unterstützung von Flüchtlingen massive Überdachungen über die Zelte, die auf Bildern wie Carports aussehen. Insgesamt rund 2500 Quadratmeter. Weil sich das als recht aufwendig erwies, bauten sie in einem zweiten Lager Dächer direkt auf die Zelte.
Kinder jahrelang nicht in der Schule
Die Deutschen arbeiteten praktisch jeden Tag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, vor allem Jugendliche hätten begeistert mitgeholfen. Ihr Nachtlager hatten sie auf Matratzen in der Schule. Für den Unterricht mussten sie es jeden Morgen wieder räumen. Die Kinder dort seien drei bis fünf Jahre nicht zur Schule gegangen. Seit einem Jahr führen libanesische Lehrer Doppelschichten und unterrichteten zusätzlich die syrischen Kinder am Nachmittag.
Manche syrischen Männer haben Arsal seit mehr als drei Jahren nicht verlassen, sagt der Sendelbacher. Ihre Familien waren oft schon eher gekommen, während die Männer noch für die Freie Syrische Armee oder Assad kämpften. Nun könnten sie nicht nach Syrien zurück, wo sie als Feinde Assads bzw. Deserteure um ihre Leben fürchten müssten.
Furcht vor dem langen Arm von Assads Geheimdienst
Aus Furcht vor Assads Geheimdienst ließen sich viele Männer, anders als die Frauen, nicht vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) registrieren, erhalten aber ohne Registrierung keine Hilfe und dürfen die Gegend auch nicht verlassen. Für sie sei Arsal wie ein „Freiluftgefängnis“, drückt sich Roth aus.
Trotzdem seien die Menschen dort voller Hoffnung. Aber alle wollten eigentlich nach Syrien zurück. Wenn er mal heirate, so wurde ihm gesagt, solle er danach vorbeikommen, dann feierten sie in Syrien ein zweites Mal und schlachteten ihm zu Ehren eine Kuh.
Weihnachten unter muslimischen Flüchtlingen
Weihnachten verbrachte Roth in Arsal unter Flüchtlingen. Interessanterweise hätten sogar die muslimischen Syrer an Weihnachten nicht gearbeitet und ihm zum Fest gratuliert. Von der Herzlichkeit, wie sie die Flüchtlinge zeigten, würde er sich auch etwas mehr in Deutschland wünschen.
Warum Grünhelme? Er habe ein Buch von Rupert Neudeck, dem verstorbenen Gründer von Cap Anamur und einstigem Vorsitzenden der Grünhelme, gelesen. Die Idee des Friedenskorps, das sich als interkulturell und interreligiös versteht, sagte ihm zu. Also bewarb er sich.
Von seinem rund dreimonatigen Einsatz in Libanon ist Roth noch etwas gezeichnet: In der letzten Woche dort flexte er sich in den linken Zeigefinger. In der Krankenstation für die vielen Flüchtlinge, in der syrische Ärzte und Krankenschwestern ehrenamtlich Dienst tun, wurde der Finger schnell genäht.
Nächste Station: Kenia
Mitte Januar fährt ein weiteres Drei-Mann-Team nach Arsal, um die letzten drei Flüchtlingslager, die es nötig haben, winterfest zu machen. Roth ist dann nicht mehr dabei. Für ihn geht es im Februar in sein vorerst letztes Freiwilligenprojekt: nach Kenia, wo er beim Bau eines Schutzhauses für Waisenkinder hilft.
Er genießt seine „Auszeit“ als Freiwilliger: „Ich find's enorm befreiend, mal nicht zu wissen, was danach ist.“ Es mache ihn glücklich, „mal wenig auf dem Konto zu haben“. Die Arbeit mit den gastfreundlichen Flüchtlingen sei „extrem sinnstiftend“. Er fühle sich reich, obwohl er es nicht sei.
Grünhelme e.V.
Der spendenfinanzierte Grünhelme e. V. ist eine deutsche Hilfsorganisation mit Sitz in Köln. Der Verein setzt sich für den Bau bzw. Wiederaufbau von Gemeindeinfrastrukturen sowie sozialen, ökologischen, kulturellen und religiösen Einrichtungen in ehemaligen Kriegs- und Krisengebieten ein.
Gegründet wurde der Verein im April 2003 von Rupert Neudeck und Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, nach dem Vorbild der Peace-Corps-Idee von John F. Kennedy. „Christen und Muslime (und andere Menschen guten Willens) bauen gemeinsam auf, was andere widerrechtlich zerschlagen haben“, so lautet das Motto.
Gesucht werden junge Freiwillige, die möglichst einen praktischen Beruf haben, zum Beispiel Bauhandwerker, Zimmerleute, Maurer und Bauingenieure. Freiwillige verpflichten sich für drei Monate, eine Verlängerung ist möglich.