
„Sie waren hier Kinder und keine Nummern. Nummern haben die Ordensschwestern ihnen nur in die Wäschestücke eingenäht. Dann kam die Zeit, in der die Kinder zu Nummern wurden.“ Mit diesen Worten umrissen Schüler des Friedrich-List-Gymnasiums (FLG) im Gedenkgottesdienst das Leben der Josefshausbewohner, die vor genau 75 Jahren aus der Geborgenheit der Behindertenanstalt geholt und zum Teil einer Vernichtungsmaschinerie zugeführt wurden.
„Nimm dir Zeit, werde still und lausche nach unseren Stimmen, von denen viele nicht mehr erklingen.“ Unter diesem Motto steht eine Reihe von Veranstaltungen „im Gedenken an die Kinderopfer im Nationalsozialismus“. Ein Gedenkgottesdienst für die Holocaustopfer des Sankt-Josefshauses am Vorabend der Zwangsschließung der einstigen Einrichtung erinnerte an die jungen Menschen, die den Rassenwahn erlebt, aber oft nicht überlebt haben. „Vom 8. November 1940 an war die Anstaltsleitung nicht mehr Herr im eigenen Haus.“
Bis zu diesem verhängnisvollen Tag hatte die erste Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Kinder in Unterfranken eine aussichtsreiche Zukunft. Birgit Amann, die sich ausgiebig mit der Geschichte der Einrichtung und der Kinder auseinandergesetzt hat, zitierte im Gedenkgottesdienst aus dem Glückwunschschreiben zum 50-jährigen Bestehen des Josefshauses als Anstalt. Die Leitung der ältesten katholischen Jugendeinrichtung in Bayern in Eglfing-Haar hatte zum Jubiläum gratuliert, verbunden mit einer Einladung nach Eglfing nebst Abstecher nach Altötting. „Es sollte aber nie dazu kommen“, so Birgit Amann.
Stattdessen bestimmten Nationalsozialisten die Kinder als „lebensunwert“. Sie wurden geopfert „im Namen der Wissenschaft und der Medizin“ oder einfach nur getötet, meinte Diakon Norbert Betz, der den Gedenkgottesdienst an der Stelle hielt, an der noch vor über 75 Jahren die Kinder des Josefshauses fröhlich hatten spielen können.
Gemeinsam mit Schülern des FLG erinnerte Betz an den Beginn eines Zweiklassensystems im Jahre 1940 mit dem „Gesetz zur Volksgesundheit“. „Statt Inklusion herrschte nun die Exklusion.“ Einrichtungen wie das Josefshaus wurden geschlossen und „für Kriegszwecke hergenommen“. Größere Einrichtungen erhielten sogar einen eigenen Eisenbahnanschluss, um die Bewohner besser deportieren zu können.
Es dauerte nicht lange und es konnte gemeldet werden: „Alle Kinder sind unter Dach und Fach.“ Das bedeutete, dass sie in Konzentrationslagern vergast, vergiftet oder zu qualvollen medizinischen Versuchszwecken, die nicht selten in langen Todeskämpfen endeten, missbraucht worden waren.
Heute leben wieder Menschen mit einer Behinderung im Gesundheitszentrum am Josefshaus und wieder wird ihnen, wie den Kindern vor der Zwangsräumung, mit modernen Mitteln und Methoden geholfen. Darauf wies Norbert Betz in seiner Predigt hin. Weiter wies er daraufhin, dass es „Kinderopfer“ auch heute noch zu beklagen gebe. Als jüngstes Beispiel nannte er das Bild vom toten Flüchtlingskind Aylan und seinem Bruder, die beim Versuch mit ihren Eltern über das Mittelmeer zu fliehen, ertrunken sind.
Anders als früher, verbreiteten sich die Bilder dank moderner Kommunikationsmittel rasant schnell und sorgten für Betroffenheit.
„Die Kinder des ehemaligen Josefshauses sind uns zu Ikonen geworden“, schloss Diakon Betz den Gottesdienst, der musikalisch von Dr. Siegbert Juhasz, Christiane Freye und der Veehharfengruppe der Lebenshilfe begleitet wurde. „Was geschehen ist, soll uns betroffen machen“, so Betz, der anschließend einen Gedenkstein, der neben der Zufahrt zum Gesundheitszentrum aufgestellt worden ist, segnete.
Gemeinsam enthüllten Cornelia Többe und Birgit Amann den Gedenkstein, der von Hans Dittmeier (Wernfeld) ausgesucht und von der Steinbildhauerin Anja Hartmann (Kleinlangheim) gestaltet worden ist. Eine besondere Aussagekraft bekam der Stein durch den Handabdruck von Cornelia Többe. Insgesamt 40 weiße Rosen wurden anschließend von den Teilnehmern, darunter Bürgermeister und Stadträte, der bewegenden Feier am Fuß des Gedenksteins niedergelegt.