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Holzkirchen
Als der Kaiser den Südost-Spessart für elf Höfe verschenkte
Es klingt nach einem schlechten Geschäft. Kaiser Ludwig der Fromme tauschte 9000 Hektar Wald gegen 225 Hektar Ackerland. Warum es sich für ihn rechnete. 
Der Südost-Spessart - hier der Blick auf Glasofen und Marienbrunn – zeigt sich heute reich an Ackerfläche. Da wollten die mittelalterlichen Reisekaiser auch hin: dass die Wälder gerodet und zu Ackerland wurden, die wiederum ihre Rasthöfe versorgen konnten.
Foto: Adolf Spreng/Film-Photo-Ton-Museumsverein | Der Südost-Spessart - hier der Blick auf Glasofen und Marienbrunn – zeigt sich heute reich an Ackerfläche. Da wollten die mittelalterlichen Reisekaiser auch hin: dass die Wälder gerodet und zu Ackerland wurden, die ...
Wolfgang Vorwerk
 |  aktualisiert: 27.04.2023 10:23 Uhr

Der Gütertausch von 839 im Südostspessart ist ein Beispiel dafür, wie die damaligen großen Landübertragungen der Karolinger an Reichsklöster wie Fulda der Stärkung der königlichen Reichsgewalt dienten. Das fuldische Kloster Holzkirchen in der Grafschaft Remlingen war damals ein wichtiges königliches Etappenziel. Die Karolinger waren reisende König und auf solche Herbergen unterwegs angewiesen.

839 trafen sich in Bad Kreuznach zwei einflussreiche Männer des karolingischen Reichs, die auch das Vertrauen des Kaisers, Ludwigs des Frommen, einer der Söhne Karls des Großen, besaßen: Graf Poppo, kaiserlicher Amtswalter der Grafschaft Remlingen bei Marktheidenfeld im sogenannten Waldsassengau und Abt Raban. Abt Raban hat das reichsunmittelbare Bonifatiuskloster Fulda in den Jahren 820 bis 842 zu Wohlstand und hohem Ansehen gebracht. Graf Poppo und Abt Raban vereinbarten 839 einen Gütertausch. Es ging um elf fuldische Höfe bei Dertingen mit schätzungsweise bis zu 250 HektarAckerland im Austausch gegen praktisch den gesamten Südostspessart mit 9000 Hektar. Das sind 90 Quadratkilometer. 

Popponische Grafschaft und die Klostermarken Fulda und Neustadt
Foto: Wolfgang Vorwerk | Popponische Grafschaft und die Klostermarken Fulda und Neustadt

Die an Fulda abgetretenen Waldungen grenzten, holzschnittartig beschrieben, gemäß Tauschurkunde im Norden an den großen Besitz des reichsunmittelbaren Klosters Neustadt. Sie reichten über den Raum des heutigen Altfelds bis an den Main beim heutigen Kloster Triefenstein. Die Klostermark umfasste mainabwärts den ganzen Südostspessart bis Hasloch („Chuomarca“=Kuhmark). Von hier aus lief die Grenze im Hasel-, Springbach- und Grüntal wieder hoch bis zum Geiersberg, wo der neue Besitz Fuldas auf die schon seit dem 8. Jahrhundert bestehende Klostermark Neustadt traf. Die Grenzziehung orientierte sich weitgehend an Wasserläufen bzw. TälernAm südwestlichen Eckpunkt Hasloch stoßen noch heute die Landkreisgrenzen von Main-Spessart und Miltenberg aufeinander.

Reichsklöster wichtige Stütze der Macht

Im Verhältnis 9000 Hektar königlichen Waldes zu maximal 225 Hektar Agrarland sieht man in der Heimatforschung bisweilen ein Missverhältnis. Landübertragungen an Klöster in dieser Größenordnung waren jedoch damals, als Land noch reichlich zur Verfügung stand, fast die Regel. Vor allem Reichsklöster wurden damals so großzügig mit Land bedacht, weil sie von Anfang an für die Karolinger wichtige Stütze ihrer Macht waren: Der Güteraustausch von 839 mit starkem Schenkungscharakter ist ein Beispiel dafür, wie noch gezeigt wird. Kaiser Ludwig der Fromme billigte jedenfalls 839 den Gütertausch als Eigentümer der Spessart-Waldungen und Empfänger der fuldischen Höfe, so dass sich Fulda seines stolzen Eigentumserwerbs sicher sein konnte.

Das schon in alter Zeit bedeutende Straßenkreuz bei Holzkirchen/Remlingen: Hier trafen die Heerstraße und die Klosterstraße aufeinander.
Foto: Wolfgang Vorwerk | Das schon in alter Zeit bedeutende Straßenkreuz bei Holzkirchen/Remlingen: Hier trafen die Heerstraße und die Klosterstraße aufeinander.

Die eigentliche Schlüsselrolle spielte bei diesem Tausch jedoch nicht das weit entfernt gelegene Kloster Fulda, sondern das fuldische Filialkloster Holzkirchen – ein Geschenk Karls des Großen an das Reichskloster Fulda 775. Holzkirchen lag an wichtiger Stelle, hier grenzten sich zwei überregionale Straßen: die Heerstraße und die Klosterstraße. Die "Heristraza" war eine Reichsstraße über den Spessart aus dem Raum Frankfurt in Richtung Ostfranken. Man könnte die Heerstraße mit einer heutigen Autobahn, die dem Bund untersteht, vergleichen. Die sogenannte „Klosterstraße“ führte von Fulda über Holzkirchen weiter Richtung Kloster Tauberbischofsheim, das 735 vom Heiligen Bonifatius gegründet worden war.

Klosterhöfe wurden zu Raststätten der Karolinger

Schon Karl der Große stattete gerade an solchen überregionalen Verkehrspunkten gelegene Reichsklöster systematisch mit Grund und Boden aus. Er wollte mit dieser Politik neben den Königshöfen gezielt die ihm unterstehenden Reichsklöster mit ihren Filialen zu Rastorten ausbauen. So auch sein Sohn Ludwig der Fromme.

Ludwig der Fromme auf einer Miniatur aus einer französischen Handschrift des 14. Jahrhunderts.
Foto: Grandes Chroniques de France, gemeinfrei | Ludwig der Fromme auf einer Miniatur aus einer französischen Handschrift des 14. Jahrhunderts.

Die damaligen Herrscher waren auf Gedeih und Verderb auf eine leistungsstarke Infrastruktur angewiesen. Sie hatten keinen zentralen Regierungssitz. Sie waren reisende Könige. Daher war ihre Macht wesentlich von ihrer persönlichen Omnipräsenz im Reich abhängig, daher waren sie notwendigerweise mit ihrem Hof die meiste Zeit des Jahres unterwegs. Eine Gefolgschaft des Kaisers konnte bis zu 1000 Mann umfassen. Daher waren leistungsfähige Zwischenstationen so wichtig.

Diese Strategie der Karolinger hat Wilhelm Störmer, unter anderem Verfasser des Historischen Atlasses von Bayern zum Altkreis Marktheidenfeld, schon 1966 überzeugend an zahlreichen Beispielen in Bayern (z.B. Benediktbeuren und Schäftlarn) herausgearbeitet. Konsequenterweise folgerte Störmer auch für den Gütertausch von 839, dass Ludwig der Fromme und sein Amtswalter, Graf Poppo, mit diesem für Fulda sehr günstigen Gütertausch natürlich auch klare Erwartungen verbunden hatten. Insbesondere hatten sie – so Störmer – Fulda einen Rodungsauftrag erteilt.

Die fruchtbarsten Böden sind im Südostspessart

Der Südostspessart, der bislang nur der königlichen Jagd diente, gehörte mit zu den fruchtbarsten Böden des Spessarts. Erst Rodung brachte aber eine „Inwertsetzung“ und schuf nicht zuletzt auch erst dann die Grundlage für königliche Dienste wie Beherbergung des durchziehenden Königs mit seinem Hof. Luftaufnahmen zeigen, dass ein Großteil des ehemals fuldischer Südostspessart von 839 gerodet und Agrarland ist. Zusammen mit der durch die elf fuldischen Höfe gestärkten Grafschaft Remlingen sollte damals eine leistungsfähige Etappenstation geschaffen werden.

Genau dieses Rodungsprojekt war denn auch der Hauptgrund dafür, warum sich die mit dem Gütertausch verbundenen Erwartungen von 839 nicht erfüllt haben. Ganz offensichtlich überstieg die Rodung des erworbenen Südostspessarts die Kräfte des fernen Klosters Fulda und seines Filialkloster Holzkirchen vor Ort bei weitem. Hinzukam, dass mit dem Tode Ludwigs des Frommen auch Graf Poppos Machtbasis schwand. Außer den oben genannten Orten Chuomarcha bei Hasloch und Altfeld ist um 1000 kein fuldischer Besitz in oder bei der Waldmark von 839 mehr belegt.

Das Würzburger Bistum war in das faktische fuldische Machtvakuum des Südostspessarts vorgestoßen. Es dürfte kein Zufall sein, dass die spätere Würzburgische Cent Michelrieth den Grenzen der Klostermark Fulda ziemlich genau entsprach. Die fuldischen Rechte waren untergegangen. 1317 wird die Cent als würzburgisches Lehen im Besitz der Grafen von Rieneck genannt. Im 14. Jahrhundert vergab Würzburg das Lehen an die Grafen von Wertheim. 

839 wird erstmals der Spessart in einem Dokument genannt

Trotzdem bleibt dieser Besiedlungsversuch für uns auch über 1000 Jahre später ein faszinierender Vorgang aus jener so frühen Zeit. Karl der Große war erst 814, wenige Jahre vor dem Gütertausch, gestorben. Die fränkische Landnahme war erst im 8. Jahrhundert abgeschlossen worden. Schriftliche Quellen gab es noch so gut wie keine. Es ist ein Glücksfall, dass wir sogar zwei Güterbeschreibungen aus dieser an schriftlicher Überlieferung so armen Zeit – Neustadt und Fulda – haben. Das Dokument von 839 nennt sogar zum ersten Mal den Spessart und die Heerstraße. Letztlich ist das Dokument eine Momentaufnahme vom Ringen um Ausbau und Stabilisierung der frühen karolingischen Herrschaftsstrukturen auch in unserem Landkreis Main-Spessart. Die gute Idee des Güteraustausches kam wohl 30 Jahre zu spät.

Zum Autor: Dr. iur. Wolfgang Vorwerk, Generalkonsul a.D., publiziert seit 1978 zu historischen Themen des Spessarts. Seit November 2017 ist er Vorsitzender des Geschichts- und Museumsvereins Lohr.

Literatur:  Vorwerk, Wolfgang: Der Gütertausch zwischen Kaiser Ludwig dem Frommen und Kloster Fulda anno 839. Zur Straßengeschichte des fuldischen Nebenklosters Holzkirchen. In: Wertheimer Jahrbuch 2013/2014 (2015), ISSN 0511-4926, S. 17-46 mit weiteren Literaturhinweisen, insbes. auch zu Störmer.

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.

 
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