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EUssENHEIM
Abenteuer Tansania: Nahtod im übervollen Daladala
Im Juni ist Susanne Wolf (24) von Eußenheim in Main-Spessart nach Arusha in Tansania gereist, um dort als Freiwillige für die lokale Hilfsorganisation HIMS zu arbeiten. Hier berichtet sie von ihren Erlebnissen bei den Maasai in Afrika.
Tansanisches Barbecue mit europäischen Volunteers (Freiwilligen) anderer Organisationen.
Foto: Susanne Wolf | Tansanisches Barbecue mit europäischen Volunteers (Freiwilligen) anderer Organisationen.
Bearbeitet von Peter Kallenbach
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:10 Uhr

Kurz vor 8 Uhr morgens – Kilimanjaro Airport. Ich sitze seit drei Stunden im schwül-stickigen Wartebereich des alten Flughafengebäudes. Im Hintergrund trällert „Waka Waka“ nicht nur gefühlt sondern tatsächlich zum 15. Mal seit meiner Ankunft. Draußen diskutiert mein auf mich wartender Fahrer energisch mit dem trägen Flughafenpersonal, sie sollten mir endlich helfen. TIA – This is Afrika – und ich würde am liebsten nach den ersten Stunden auf der Stelle den Rückflug antreten. Reichen drei Stunden, um behaupten zu können, dass man schon mal in Tansania war?

Na endlich! Ein Mitarbeiter bewegt sich in Zeitlupe auf das Büro zu und ich kann die notwendige Arbeitserlaubnis kaufen.

Mein Name ist Susanne Wolf und ich bin eigentlich ein ganz gewöhnliches Mädel vom Lande. Nach dem Abitur habe ich direkt angefangen „Business Administration“ zu studieren. Mein Bachelorstudium endete erfolgreich im März diesen Jahres und da stand ich nun und wusste nicht wohin mit mir. Unser Eußenheimer Pfarrer Nikolaus Stanek aber schon! So kam es, dass ich mit vollem Impf- und leerem Reisepass das 6468 Kilometer entfernte Ziel Arusha ansteuerte.

„Hakuna matata“ (Mach dir keine Sorgen)
Ignace Assey Arbeitskollege von Susanne Wolf

Ich werfe einen Blick auf unseren Wochenplan. Gestern waren wir bei einer Gruppe von HIV-Infizierten und haben eine Infoveranstaltung über Ernährung bei dieser Krankheit gehalten. Morgen treffen wir Single Mothers. Sie wurden aus lächerlichsten Gründen von ihren Männern verstoßen und müssen nun für ihre verbleibende Familie den Lebensunterhalt verdienen. Wir werden ihnen familienfreundliche Möglichkeiten und finanzielle Unterstützung für die Gründung eines Kleinunternehmens, wie ein Imbiss oder eine Hühnerzucht, geben.

Da sind schon meine afrikanischen Kollegen. Zur Zeit sind wir sechs Freiwilligenhelfer in der Organisation namens „Health Integrated Multisectoral Services“, kurz HIMS. Wir machen uns auf den Weg zur naheliegenden Daladala-„Haltestelle“. Ich will die stark befahrene Straße überqueren, als mich mein wachsamer Kollege hastig am Arm packt. Upps, bin immer noch nicht an den Linksverkehr gewöhnt. Keine zehn Sekunden am Straßenrand stehend, hören wir schon die quietschenden Reifen eines voll bremsenden Daladalas.

„Do you think this one is safe, Ignace?“, ich bin skeptisch. „Should be ok, hakuna matata! (no worry)“, versichert er mir.

Und schon finde ich mich, buchstäblich halb auf dem Schoße meines Nachbars sitzend, im wie immer überfüllten Daladala wieder. Nach westlichen Verhältnissen würden in diesem Kleinbus maximal sieben Personen transportiert werden. Hier quetschen sich auf Biegen und Brechen zwischen 16 und 20 Personen rein. Dieses überwiegend genutzte Nahverkehrsmittel kostet umgerechnet keine 20 Cent pro Fahrt. Nach 30 bis 45 Minuten und zehn Nahtod- Erlebnissen haben wir unseren Stopp endlich erreicht. Wieder einmal fasziniert mich, wie bei diesem chaotischen Verkehr verhältnismäßig wenige Unfälle passieren. Wir fahren weiter in das anderthalb Stunden entfernte Maasai-Dorf.

Ich bewundere die endlose Landschaft. Nirgends anders habe ich soweit das Auge reicht ausschließlich unberührtes Land gesehen. Von Zeit zu Zeit fahren wir an Kuh- und Ziegenherden vorbei, die von Maasai-Kindern gehütet werden. Vereinzelt sind in kürzerer oder längerer Distanz ihre kleinen rundlichen Lehmhütten mit Spitzdach auszumachen. Nur etwa alle halbe Stunde durchqueren wir überschaubare tansanische Dörfer.

Kurze Zeit später stehe ich inmitten einer Gruppe von Maasai-Frauen, die freudig meine weiße Hand schütteln wollen. Freundlich lächelnd murmle ich ein paar Swahili-Floskeln, die ich mir hier angeeignet habe. Die Frauen sind mit rot oder blau karierten Tüchern bekleidet, die sie mit einer bestimmten Technik um ihre Körper wickeln. Fast alle haben immense Löcher in den Ohren, in denen schwere Ohrringe hängen. Die lachenden Gesichter entblößen schiefe gelbe Zähne und ein Geruch nach Vieh ist allgegenwärtig. Die Maasai sind Nachfahren eines über Ostafrika verbreiteten Stammes. Sie leben ohne Strom und fließend Wasser eine halbnomadische Lebensweise mit Viehzucht als nahezu einziger Einnahmequelle.

Heute führen wir eine Aufklärungskampagne gegen die Beschneidung von jungen Frauen durch. Diese Jahrtausende alte Tradition wird aus Irrglauben immer noch weitläufigst praktiziert. Die Stammesangehörigen denken, dass einzig der Schmerz der Beschneidung Frauen auf eine Entbindung vorbereitet und eine nicht-beschnittene Frau kein gesundes Kind gebären kann. Weiterhin wollen Maasai-Männer durch die genitale Verstümmlung ihrer Frauen deren Treue garantieren. Keiner würde eine nicht-beschnittene Frau heiraten, wodurch deren Vater den Brautpreis nicht erhalten würde. Wir versuchen, die Beschneiderinnen und Gemeindeführer über die gesundheitsgefährdenden Folgen für Frau und Kind in Kenntnis zu setzten. Sie haben die Möglichkeit, die männlichen Gemeindemitglieder umzustimmen. Es ist nahezu unmöglich, eine ewig gehandhabte Tradition mit nur einer Infoveranstaltung abzuschaffen. Deswegen werden wir einige Tage später zu selbiger Thematik zurückkehren.

Nach dem langen Heimweg komme ich in meinem Gästehaus an. Herzlich werde ich von meiner Gastmutter, Mackrine, begrüßt. Sie ist darüber hinaus die Gründerin und Geschäftsführerin von HIMS. Die Organisation ist vollständig von Spenden und Freiwilligenhelfern abhängig. Sogar Mackrine arbeitet als Volunteer in der Organisation, da sie sich die Bezahlung von Mitarbeitern nicht leisten kann. Ihren Lebensunterhalt verdient sie durch das Gästehaus, in dem ich zusammen mit anderen Volunteers und Reisenden lebe.

Ich fasse kurz die Ereignisse des heutigen Tages zusammen und begebe mich in die Küche. Dort deckt Jacky, eine Maasai, gerade den Tisch. Sie ist ein liebreizendes Mädchen, das typisch für afrikanische Frauen lange geflochtene Haare trägt. Auf ihren Wangen befinden sich zwei schwarze kreisförmige Narben, die ihr als Kind eingebrannt wurden. Jacky sollte als 17-jähriges Mädchen einem 70-jährigen Mann als fünfte Ehefrau verheiratet werden. Als sie nicht einwilligte, weigerte sich ihr Vater den Brautpreis von 30 Kühen zurück zu geben. Kurzerhand entschloss sie sich zu fliehen. Von ihrer Familie gehetzt rannte sie etwa 30 Kilometer nach Arusha. Dort wurde ihr von HIMS geholfen.

Mackrine beherbergt im privaten Zuhause derzeit sieben Maasai-Mädchen. Diese haben allesamt schreckliche Schicksale hinter sich und entkamen Beschneidung, Zwangsehe oder Perspektivlosigkeit. Sie erhalten in ihrer neuen Familie alles, was sie zum Leben brauchen, einschließlich Schulbildung.

Das Wichtigste allerdings ist permanenter Schutz vor ihren Verfolgern. Als Gegenleistung arbeiten sie bei Mackrine als Hausmädchen. Jackys größter Traum ist wahr geworden. Mackrine zahlt ihre Schulgebühren, womit sie das College besuchen kann. Die Organisation hat es sich als Ziel gesetzt, ein Maasai-Rettungszentrum aufzubauen, in dem entflohene Maasai-Mädchen auf subsistenzwirtschaftlicher Basis leben können. Bisher fehlen hierfür allerdings die finanziellen Mittel.

Mit den anderen Volunteers finde ich mich zum Abendessen zusammen. Reis mit Bohnen essend planen wir voller Vorfreude unseren Abend. Wir gehen in einen afrikanischen Outdoor-Club, in dem sich so ziemlich alle Weißen der Stadt und einige Ortsansässigen treffen.

Den afrikanischen Hüftschwung haben wir uns mittlerweile allesamt angeeignet, wovon wir uns, zusammen mit afrikanischer Pop-Musik, einen lustigen Abend versprechen. Über die Partys der vergangenen Wochen lachend wird mir bewusst, dass ich schon drei Monate in Tansania bin. Ich habe eine erlebnisreiche Safari gemacht, in einem Maasai-Dorf geschlafen, eine Art afrikanischen Polterabend gefeiert und aufgrund einer bakteriellen Infektion eine afrikanische Klinik von innen kennengelernt. Schon bald muss ich die Heimreise antreten. TIA – This is Africa - und ich will noch nicht zurück…

Health Integrated Multisectoral Services

Die Hilfsorganisation Health Integrated Multisectoral Services (HIMS) ist in Arusha in Tansania tätig und setzt sich dort für die Menschenrechte ein.

In ländlichen Regionen arbeitet die HIMS mit Maasai-Gruppen, dem verbliebenen Stamm Tansanias, zusammen.

Ein Maasai-Rescue-Centre soll als nächstes Ziel aufgebaut werden. Es soll auf subsistenzwirtschaftlicher Basis Anlaufstelle und Unterkunft für entlaufene Maasai Mädchen werden.

Die Hauptgründe für deren Flucht sind Beschneidung, Zwangsehe ab einem Alter von zwölf Jahren oder ihnen vorenthaltene Bildung.

Spender, Sponsoren und Volunteers benötigt die HIMS. „Bereits kleine Beiträge können Großes bewirken“, sagt Susanne Wolf.

Weitere Infos zu HIMS unter: www.facebook.com/HIMS-Health-Integrated-Multisectoral-Services-1742471772641554/ oder sites.google.com/site/hudumadeutschland/

Susanne Wolf trägt das Baby einer Maasai-Mutter, die daneben steht, in einem typischen Maasai-Dorf in Tansania.
Foto: S. Wolf | Susanne Wolf trägt das Baby einer Maasai-Mutter, die daneben steht, in einem typischen Maasai-Dorf in Tansania.
Das HIMS-Team mit Geschäftsführerin Mackrine Sao-Rumanyika (Zweite von links) mit Kollegen des HIMS-eigenen Health Centres.
Foto: Susanne Wolf | Das HIMS-Team mit Geschäftsführerin Mackrine Sao-Rumanyika (Zweite von links) mit Kollegen des HIMS-eigenen Health Centres.
 
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