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Marktheidenfeld
6 Menschen mit Migrationshintergrund erzählen über ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus
Ist Alltagsrassismus präsent bei Menschen mit Migrationshintergrund im Lkr. Main-Spessart? Was sie erleben und wie sie damit umgehen, berichten sechs Menschen.
Oben v.l.: Amir Sarrafoglu, Ravabor Sadak, Yunus Basaran. Unten v.l.: Andre Carswell, Daniel Ciric, Memoli Tekin sprechen darüber, ob und wie sie Alltagsrassismus erleben.
Foto: Konstantina Georgiou | Oben v.l.: Amir Sarrafoglu, Ravabor Sadak, Yunus Basaran. Unten v.l.: Andre Carswell, Daniel Ciric, Memoli Tekin sprechen darüber, ob und wie sie Alltagsrassismus erleben.
Konstantina Georgiou
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:35 Uhr

Mehr als jeder vierte Bundesbürger hat laut Statistischem Bundesamt einen Migrationshintergrund. Für viele dieser Menschen gehört Rassismus zum alltäglichen Leben. Laut Nationalem Diskriminierungs- und Rassismusmonitor des Bundesfamilienministeriums waren 22 Prozent der Befragten schon davon betroffen. Die Redaktion hat sechs Menschen mit Migrationshintergrund in Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart) gefragt, wo sie sich in ihrem Alltag mit Rassismus konfrontiert sehen und wie sie sich eine gerechte und offene Gesellschaft vorstellen. Dabei betonen sie die Bedeutung von Menschlichkeit und teilen ihre Ideen mit, wie man das Problem bekämpfen könnte. 

1. Amir Sarrafoglu (22) aus Marktheidenfeld: Stammt ursprünglich aus Afghanistan

Foto: Konstantina Georgiou | Amir Sarrafoglu, 22 Jahre alt
| Foto: Konstantina Georgiou | Amir Sarrafoglu, 22 Jahre alt

"Ich bin vor neun Monaten alleine aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Ich habe noch keine Arbeit gefunden und will eine finden. Dafür muss ich aber erstmal Deutsch lernen. Es gefällt mir hier nicht so sehr, aber vorerst bleibe ich hier. In meinem Alltag gibt es kaum Fälle, wo mich Menschen anhand meiner Herkunft nicht respektieren. Einmal gab es die Situation, dass ich beim Supermarkt nach einer Packung Zigaretten gefragt habe. Der Verkäufer hat mich wegen meines brüchigen Deutschs nicht richtig verstanden und hat dann dreimal in Folge gefragt, was ich von ihm wollte. Er war aggressiv gegenüber mir und hat kein Verständnis gezeigt. In der Regel passieren solche Situationen aber nicht. Wenn sie passieren, nehme ich sie nicht als Angriff gegen mich wahr."

2. Ravabor Sadak (31) aus Marktheidenfeld: Stammt ursprünglich aus Tadschikistan

Foto: Konstantina Georgiou | Ravabor Sadak, 31  Jahre alt
| Foto: Konstantina Georgiou | Ravabor Sadak, 31 Jahre alt

"Ich bin schon seit drei Jahren mit meiner Familie hier in Deutschland. Fünf Jahre hat es gedauert, bis mein Ehemann, mein erster Sohn und ich aus Tadschikistan zu Fuß hier ankamen. Wir sind sehr gut integriert und fühlen uns wohl. Meine vier Kinder gehen zur deutschen Schule. Ich bin sehr zufrieden mit dem Schulsystem und der Politik für Kinder in Deutschland. Die Menschen hier in Marktheidenfeld sind sehr freundlich zu uns. Wir mussten bisher keine Erlebnisse mit Rassismus in Deutschland erleben."

3. Yunus Basaran (41) aus Marktheidenfeld: Stammt ursprünglich aus der Türkei

Foto: Konstantina Georgiou | Yunus Basaran, 41 Jahre alt
| Foto: Konstantina Georgiou | Yunus Basaran, 41 Jahre alt

"Vor vierzig Jahren kam ich nach Deutschland und seitdem lebe ich hier, mittlerweile mit meiner Tochter. Rassismus ist ein Thema, das bekämpft werden kann, indem man menschlich miteinander umgeht.

Ich hatte mal ein Erlebnis, das diese Feststellung gut beschreiben kann: Als ich vor ein paar Jahren den Eingang eines Schwimmbades bewacht habe, kam eines Tages ein Mann auf mich zu. Er kam aus Ostdeutschland. Er hatte die Absicht, mich zu provozieren: Er kam immer wieder zu mir, mit Sätzen wie 'Ihr Türken habt es gut hier in Deutschland. Ihr bekommt gutes Geld vom deutschen Staat und wir haben keinen Job. Mein Schwiegersohn ist arbeitslos deinetwegen und wegen deiner Landsmänner'. Er wollte mich sticheln, aber ich bin sehr belastbar und nehme auch vieles mit Humor. Ich habe seine Kommentare in Bezug auf meine Herkunft beiseite geschoben. Ich habe mit ihm ganz normal gesprochen und ihn gefragt, warum er so denkt.  'Die Türken wollen einfach nur arbeiten. Der Alltag, den ein Deutscher hat, haben auch Ausländer. Alle sind genau so wie du - Menschen', sagte ich zu ihm. Danach konnte er mitfühlen und das war die Basis, auf der wir uns immer besser verstanden haben. Am Ende wurden wir richtige Freunde. Das Klischee, dass ich Türke bin und dass ich zu dieser Gruppe gehöre, war verschwunden. Er hat mich nur als Person gesehen. Danach hat er mir sogar seine ganze Familie vorgestellt. So herzlich ist er geworden.

Ich denke, Kommunikation ist die Ursache solcher Vorfälle. Wenn der Mensch mit Hass erfüllt wird, durch das Umfeld oder von Erlebnissen, und der andere sich angegriffen fühlt, dann entsteht Chaos und noch mehr Hass. Dann hasst der Ausländer den Deutschen. Schlussendlich ist es ein Mangel an Kommunikation, Mitgefühl und Warmherzigkeit, der dazu führt, Rassismus entstehen zu lassen."

4. Andre Carswell (55) aus Marktheidenfeld: Stammt ursprünglich aus den USA

Foto: Konstantina Georgiou | Andre Carswell, 55 Jahre alt
| Foto: Konstantina Georgiou | Andre Carswell, 55 Jahre alt

"Seit 40 Jahren bin ich in Deutschland. Ich stamme ursprünglich aus Amerika aber ich fühle mich hier nicht als ein Ausländer. Ich war Soldat der Vereinigten Staaten und habe für das deutsche Land gedient. Jetzt schreibe ich Musik und singe. Ich genieße das Leben. Rassismus erlebe ich selten in meinem Alltag. Eine Ausnahme ist ein Vorfall, der in Aschaffenburg stattgefunden hat, als ich dort gesungen habe. Nach der Show habe ich mich mit einem jungen Skinhead unterhalten. Unser Gespräch war sehr angenehm, wir haben gelacht und getrunken und es wurde spät. Dann kam ein Kollege meines Gesprächspartners zu uns, der zu ihm gleich meinte: 'Hey, was machst du hier? Warum sprichst du mit diesem schwarzen Mann?'. Er hat sauer gewirkt. Solange ich mich alleine mit dem ersten Mann unterhalten habe, fand ich es sehr nett und angenehm. Aber anscheinend hatte sein Kollege ein Problem mit unserem Gespräch. 

Wenn mich Menschen einzeln ansprechen, sind alle sehr nett. Aber wenn ich auf der Bühne stehe, fällt es einigen einfacher, mich "Schwarzer", "Nigger",  "African-American" oder "Afro" zu nennen. Ich merke auch öfter, dass Menschen mit mir ganz anders umgehen, wenn sie mitbekommen, dass ich aus Amerika stamme und nicht aus Afrika – sie sind dann netter.

Ich nehme mein Leben so, wie es ist und bin stolz darauf, ein schwarzer Mann der American Society zu sein. Ich kämpfe nicht bewusst gegen Rassismus. Jedoch kenne ich viele Menschen, die rassistisch waren und sich verändert haben, als sie mich kennenlernten."

5. Daniel Ciric (30) aus Marktheidenfeld: Stammt ursprünglich aus Serbien

Foto: Konstantina Georgiou | Daniel Ciric, 30 Jahre alt
| Foto: Konstantina Georgiou | Daniel Ciric, 30 Jahre alt

"Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, bin aber durch meine Eltern Serbe. Jedoch will ich mich als Nationalität "Mensch" bezeichnen.

In meinem Leben musste ich kaum ein rassistisches Geschehnis erleben. Als ich jünger war, war ich mit meinem Bruder und einem Freund abends aus. Wir wollten in einem Club feiern. Die Türsteher haben nach unseren Personalausweisen gefragt und wir haben unsere ausländischen Pässe vorgezeigt. Wir wurden aber nicht reingelassen. Die Türsteher haben uns zu verstehen gegeben, dass wir als Ausländer unerwünscht sind.

Deutsche ohne Migrationshintergrund fühlen sich schlecht behandelt. Man ist aber weniger neidisch und fühlt sich nicht unfair behandelt, sobald man realisiert, dass es einem eigentlich ganz gut geht. Allen Menschen die sich über die Asylanten beschweren, geht es sehr gut – sie wollen wahrscheinlich auch etwas davon abhaben, wenn sie mitbekommen, dass andere finanziell unterstützt werden. Ich denke, vieles ist auch inszeniert.

Ich bin ein großer Freund davon, dass man seine Kultur und Tradition schützt und erhält. Offen sollte man aber sein. Es ist schön, dass man als Mensch mit Migrationshintergrund in einem Land leben kann, ohne dafür verurteilt zu werden."

6. Memoli Tekin (23) aus Würzburg: Stammt ursprünglich aus der Türkei

Foto: Konstantina Georgiou | Memoli Tekin, 23 Jahre alt
| Foto: Konstantina Georgiou | Memoli Tekin, 23 Jahre alt

"Ich bin vor fünf Jahren aus der Türkei alleine nach Deutschland gekommen. Ich lebe in Würzburg und seit einem Jahr habe ich mein eigenes Geschäft in Marktheidenfeld. Ich habe öfter das Gefühl, dass ich viel Arbeit leisten muss, um anerkannt und wertgeschätzt zu werden. Es ist schwierig, wenn man die deutsche Sprache nicht beherrscht. Wenn ich bei den Behörden unterwegs bin, erlebe ich oft Ablehnung und bekomme nicht die benötigte Hilfe. Wenn ich abends in Clubs gehen möchte, wird mir auch nicht immer der Eintritt erlaubt. Ich gehe dann einfach weg. Ich will keinen Streit."

 
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