
Die Grünen in den 1980er Jahren: "Wir hatten in Lohr eine Demo für 150 Leute angemeldet", berichtete Horst Wittstadt rückblickend bei der Feier zum 35-jährigen Bestehen des Karlstadter Ortsverbands. "Darauf hatte sich die Polizei auch eingestellt. Dann kamen aber nur fünf. Und der Organisator war nicht da, weil den beim Trampen nach Lohr keiner mitgenommen hatte."
Eigentlich hätte die Polizei den Demonstrationszug beim Überqueren der Straße absichern sollen. So aber verwiesen die Beamten lediglich darauf, dass da eine Ampel ist. Bei Grün könnten die fünf "Hanseli" ja dann rübergehen. Im Nachhinein wirkte vieles amüsant, was die Redner bei der Feier im Pfarrheim St. Maria in Karlstadt berichteten.

Die Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann sagte, bei einem Infostand kürzlich in Hammelburg "bin ich schon ganz nervös geworden, weil die Leute so freundlich waren". Früher habe sie sich Sprüche angehört wie: "Wenn ich euch schon sehe, muss ich kotzen." Ein bisschen von der früheren Atmosphäre habe sie jüngere Mitgliedern lediglich neulich bei einem Infostand in Bad Kissingen erleben lassen können.
Aus innerem Antrieb
Ausführlich stellte Stadtrat Horst Wittstadt die Geschichte des Karlstadter Ortsverbands seit dessen Gründung am 14. Dezember 1983 dar. Andere Parteien hätten ihre Kandidaten oftmals aus dem Vereinsleben rekrutiert nach dem Motto: "Du bist Vereinsvorsitzender, dich kennen die Leute, willst du nicht auf unsre Liste?" Bei den Grünen dagegen habe es schon immer einen inneren Antrieb gegeben, Themen anzugehen, die die anderen nicht aufgreifen – immer nach dem Motto: "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt."
"Und für viele unserer damaligen Ideen ist es heute höchste Zeit", verdeutlichte er. Vieles hätte man fürher angehen müssen. Es habe sich aber viel verändert und gehe inzwischen in die richtige Richtung. Es sei zu hoffen, das alle Parteien bei drängenden Problemen wie dem Klimawandel zusammenstehen.
Informationsnachteil
Udo Raudenkolb war der erste Grünen-Stadtrat in ganz Main-Spessart. Von 1984 bis 1996 stimmte er häufig als einziger gegen Beschlussvorschläge und wurde dafür von den anderen oft massiv angegangen. Die hatten aufgrund ihres Fraktionsstatus meist einen immensen Informationsvorsprung. Als Einzelkämpfer kam Raudenkolb an viele Unterlagen nicht ran. Den Fraktionsstatus erhielten die Grünen erst 2002, als Wolfgang Merklein aus der CSU ausscherte und sich den mittlerweile zwei Grünen Räten anschloss.
Beispielsweise aber habe Raudenkolb die Information gehabt, dass ein Teil der Frankenbräugebäude als Baudenkmal eingestuft war, was der damalige Bürgermeister Werner Hofmann geleugnet habe. Das Treffen der ehemaligen Sturmartilleristen aus dem zweiten Weltkrieg war ein lange umkämpftes Thema, ebenso die Mainbrücke nach Karlburg und das Dämmstoffwerk der Firma Schwenk.
Bildstöcke zum Protest
Überregional engagierten sich die Grünen zum Beispiel gegen den Bau der Atom-Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf und die Flutung des Hafenlohrtals. Für beide hatte Horst Wittstadt Bildstöcke zur Mahnung gemeißelt, was im Fall Wackersdorf zum Eklat führte, weil er das Wappen des Landkreises Main-Spessart verwendet hatte. Wittstadt: "Als ich später forderte, dass die Flugblätter der CSU eingestampft werden, weil sie das Dienstsiegel des Landratsamts verwendet hatte, interessierte das niemanden." Ein Antrag aber war mal angenommen worden: Das Verbot von Plastikgeschirr bei öffentlichen Veranstaltungen.
Bürgermeister Paul Kruck, der an der Feier als Gast teilnahm, erinnerte an die Baumbesetzung 1989, als die Ringstraße ausgebaut wurde. Und er skizzierte den "Aufstieg" der Grünen zu einer ebenbürtigen Fraktion im Stadtrat mit inzwischen fünf Sitzen und der dritten Bürgermeisterin Anja Baier. Ein solches Wachstum müssten die Grünen eigentlich skeptisch sehen, meinte er augenzinkernd. Inzwischen sei das Verhältnis deutlich entspannter als früher, "auch wenn ihr ab und zu noch anstrengend seid".
Keine Angst vor Wachstum
Die bayerische Landesvorsitzende der Grünen, Sigi Hagl, lobte die Kreativität der Karlstadter Mitglieder. Und zum Wachstum: "Mit unseren irren Zuwächsen derzeit kann ich gut leben." Sie hoffe, den Schwung in die nächsten Wahlen mitnehmen zu können.


Für die Karlstadter SPD sagte Heike Kohlmann in ihrem Grußwort, sie habe im Gegensatz zum Bürgermeister die Geschichte der Grünen in Karlstadt selbst miterlebt. Mit der SPD habe es eine gute Zusammenarbeit gegeben zum Beispiel bei der Verkehrsberuhigung der Innenstadt.
Wolfgang Tröster fasste die Geschichte der Partei in Gedichtform zusammen und sang ein selbst verfasstes Lied auf die Melodie von "Bella Ciao": "Wir sind die Karschter Grünen, agier'n auf vielen Bühnen und geh'n gemeinsam immer ein Stück voran..." Noch ein Schmankerl zum Schluss: Einmal hatten die Grünen sich an einer Ampel aufgestellt, um den wartenden Autofahrern zu erklären, warum der Liter Sprit eigentlich fünf Mark kosten müsste. Darüber lachen sie heute selbst.
Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom, quasi mainabwärts ...