Wenig gewürdigt sieht Dr. Leonhard Scherg die Opfer des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 in der öffentlichen Wahrnehmung. Dies sei ihm erst jüngst bei den Feiern zum Volkstrauertag wieder deutlich geworden, meinte der Historiker und Altbürgermeister bei seinem Vortrag in der Volkhochschule (Vhs) Marktheidenfeld.
Der Historische Verein rückt diesen letztlich nur wenige Monate dauernden Krieg gegenwärtig bei einer Ausstellung im Forum des Marktheidenfelder Rathauses bis zum 3. Dezember gerade aus lokaler Sicht in den Blickpunkt. Dass dieses Ereignis als nahezu vergessen einzuordnen ist, liegt wohl an dessen schwerwiegenden Folgen für Deutschland und Europa. Der Krieg schuf die Grundlagen für nationale wie internationale Entwicklungen, die schließlich im Ersten Weltkriegs münden würden.
Scherg umriss zunächst die Ursachen für den vermeidbaren Krieg, der im Juli 1870 von französischer Seite erklärt wurde. Wenige Jahre zuvor hatte der Krieg von 1866 den Norddeutschen Bund unter Preußens Führung hervorgebracht, einen einheitlichen deutschen Nationalstaat aber nicht geschaffen und die Konfrontation zwischen den Mächten Frankreich und Preußen nicht gemindert. Die machtpolitische Frage der Besetzung der vakanten spanischen Krone wurde von Reichskanzler Bismarck und den Hohenzollern dazu genutzt, um den Nachbarstaat im Westen auf diplomatischem Weg zu provozieren.
Schlacht von Sedan
Scherg skizzierte die Reihe der Schlachten, von deren Schauplätzen mancherorts Straßennamen wie Wörthstraße oder Weißenburger Straße bis heute künden. Die preußische Armee und ihre Verbündeten setzten ihre Vorteile bei Mobilisierung und Logistik so konsequent um, dass sie Vorteile der französischen Truppen bei einer modernen Bewaffnung in der neuen Form eines industrialisierten Volkskriegs kompensieren konnten. Der Norden Frankreichs wurde zügig besetzt, und im Grunde war der Krieg mit der Gefangennahme des französischen Kaisers Napoleon III. bereits am 2. September 1870 bei der Schlacht von Sedan entschieden worden.
Es folgten die zerstörerischen Belagerungen von Metz und Paris. Die neu gebildeten Truppen der französischen Republik konnten sich auch in den Provinzen nicht durchsetzen. Die Deutschen marschierten schließlich im Triumph durch Paris. Im Januar 1871 schuf eine obrigkeitsstaatliche Verfassung einen deutschen Nationalstaat, und am 18. Januar wurde der preußische König im Spiegelsaal des Schlosses Versailles als deutscher Kaiser Wilhelm I. ausgerufen.
Am 28. Januar 1871 kapitulierte Frankreich. Der Aufstand der linken Commune in Paris blieb eine kurze Episode. Im Mai schloss man den Frieden von Frankfurt, der Frankreich finanziell schwer belastete und demütigte. Elsass und Lothringen fielen an das neue deutsche Kaiserreich.
12 000 jüdische Soldaten
In den wenigen Monaten hatte Deutschland 1, 4 Millionen Soldaten mobilisiert, ihnen standen am Ende rund 1,6 Millionen Franzosen gegenüber, von denen über 470 000 Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten. Auf deutscher Seite kämpften erstmals rund 12 000 jüdische Soldaten, was von diesen als wichtiger Schritt ihrer bürgerlichen Gleichberechtigung wahrgenommen wurde. Das Deutsche Kaiserreich verzeichnete 44 781 gefallene Soldaten und 89 732 Verwundete. Frankreich beklagte 138 871 Gefallene und rund 143 000 Verwundete. Auf den französischen Schlachtfeldern erinnern viele Denkmäler daran.
Was das alles einst für Marktheidenfeld bedeutete? Die Antwort darauf blieb Dr. Scherg nicht schuldig. Das kann in der Ausstellung im Marktheidenfelder Rathaus nachvollzogen werden. Schon im Juli 1870 wurden 17 Männer als aktive Soldaten, Reservisten oder Landwehrmänner zum Kriegsdienst einberufen. In der katholischen St.-Laurentius-Kirche erinnert eine Gedenktafel an drei gefallene Angehörige der damaligen Pfarrei: Johann Metzger, Kaspar Stumpf und Georg Müller. Unterstützungskomitees und –vereine wurden im Krieg im gesamten Bezirksamt aktiv.
Im April 1871 feierte man die Rückkehr der Männer der Landwehr. Musik, 348 Maß Bier, 80 Paar Bratwürste und auch Zigarren wurden dem Festkomitee und der Gemeinde dafür in Rechnung gestellt. Die patriotische Gesinnung wirkte fort, steigerte sich nationalistisch. Ab 1873 sollten "Sedansfeiern" landauf und landab an den überragenden deutschen Sieg über den "Erbfeind Frankreich" erinnern.
In Marktheidenfeld gründete sich 1874 ein Kriegerverein, dessen Fahne in der Ausstellung gezeigt wird. Zu den Gründungsmitgliedern zählte der aus Hessen stammende Kaufmann Isaak Blumenthal, der sich zu dieser Zeit als erster Jude in Marktheidenfeld ansiedelte. Auf der Fotografie einer Veteranenfeier zum Sedanstag 1910 sind unter den 16 Abgelichteten auch die beiden jüdischen Brüder Abraham und Bernhard Freimark aus Homburg zu entdecken, die inzwischen in Marktheidenfeld lebten.