Erika Wirthmann aus Karsbach erzählt, wie sie den Nikolausabend 1944 in Gambach erlebt hat:
Der Zweite Weltkrieg, der längst gewonnen sein sollte, tobt noch immer. Wir sitzen aufgeregt in der Stube, drin eng zusammengekuschelt auf der alten Holzbank. Unser Großvater macht im Winter immer Körbe und Reisigbesen, wir Kinder dürfen Topf-Untersetzer basteln. Den ganzen Nachmittag haben wir gequengelt: "Opa, heute hörst du aber früher auf, heute Abend kommt der Nikolaus." Aber Opa macht immer weiter. Noch heute glaube ich, er wollte dem Nikolaus zeigen, wie fleißig er noch ist.
Der Wind heult um unser kleines Haus. Mama sagt: "Das sind die Adventsstürme, die müssen sein, damit im nächsten Jahr das Wetter gut wird." Dann geht die Türe auf, da kommt ER. Nein, nicht der Bischof, strahlend und schön wie heutzutage. Es ist einer seiner Gehilfen: mit grau-braunem Lodenmantel und weißem "Pelzbesatz" aus Watte, mit einem langen weißen Bart und roter Zipfelmütze. In der Hand trägt er einen Stab und ein Buch – und hinter ihm taucht er auf, der gefürchtete Knecht Ruprecht, mit einem Sack auf dem Rücken… Der Nikolaus schlägt sein Buch auf und hält uns alle Missetaten des vergangenen Jahres vor: nicht rechtzeitig Holz für den Ofen reingetragen, nicht die Hühner und Katzen gefüttert, das Nachtgebet vergessen, dem Opa nicht gehorcht und so weiter.
Der Bravste wurde in den Sack gesteckt
Dann müssen wir vortreten und ein "Vater Unser" beten. Am Schluss fügen wir den Satz bei: "Lieber Gott, lass Papa wieder gesund aus dem Krieg heimkommen." Wir kannten ihn ja kaum.
Knecht Ruprecht leert nun seinen Sack auf dem Boden aus. Und was kommt zum Vorschein? Rübenschnippel, so wie sie dem Vieh verfüttert worden, dazwischen Apfel, gedörrte Pflaumen und Nüsse. Wir gehen auf den Boden, um uns so viel wie möglich von den Nüssen zu erhaschen, während uns Knecht Ruprecht mit der Rute immer wieder über die Handrücken pfitzt. Dann – oh Schreck – schnappt er sich Lothar, ausgerechnet den jüngsten und bravsten von uns, und steckt ihn in den leeren Sack. Der Nikolaus verabschiedet sich mit den besten Wünschen für das kommende Jahr: Dass wir Kinder noch braver sein sollen und dass Opa weniger Körbe flechten soll, damit die Weidenhölzer nicht mehr in der Stube liegen, wenn der Nikolaus kommt. Draußen vor der Tür wird Lothar wieder freigelassen und kommt zu uns.
Wir hatten uns damals genauso auf den Nikolaus gefreut, wie die Kinder heute. Er war zu uns gekommen, nur das zählte. Gemeinsam saßen wir dann fröhlich singend um den Tisch und knackten unsere Nüsse – denn Plätzchen gab es erst an Weihnachten!