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Karlstadt
1960: Irrflug vom Karlstadter Saupurzel in die DDR
Vor 59 Jahren startete Max Stadter vom Saupurzel aus zu einem Überlandflug und wurde abgetrieben. Und so kam er wieder in den Westen.
Der 23-jährige Max Stadter war vom Karlstadter Saupurzel aus 1960 mit dem Segelflugzeug in die DDR geraten. Hier eine Aufnahme von der Rückführung am Schlagbaum zur BRD.
Foto: Archiv Luftsport-Club Karlstadt | Der 23-jährige Max Stadter war vom Karlstadter Saupurzel aus 1960 mit dem Segelflugzeug in die DDR geraten. Hier eine Aufnahme von der Rückführung am Schlagbaum zur BRD.
Karl-Heinz Haase
Karlheinz Haase
 |  aktualisiert: 07.07.2019 02:10 Uhr

Für Schlagzeilen sorgte im Juni 1960 der Irrflug eines Karlstadter Segelfliegers. Der 23-jährige Max Stadter war mit dem Segelflugzeug über die Zonengrenze in die DDR abgetrieben worden. Zuhause gab es zunächst keine Informationen über seinen Verbleib. Einige Tage später wurde er dann von der Volkspolizei einer Abordnung aus Karlstadt übergeben. Der damalige Main-Post-Mitarbeiter Alfred Biehle war dabei und berichtete.    

Am Donnerstag, 9. Juni, startete Max Stadter ohne Landkarte und ohne Ausweispapiere vom Saupurzel aus zu einem Flug nach Bamberg. Während des Flugs wurde er abgetrieben und landete nur wenige Meter neben dem Ortsrand von Schönbrunn südöstlich von Suhl in Thüringen. Im Westen war bis Freitag zunächst völlig unklar, wo Stadter war und was mit ihm passiert war. Biehle berichtete, dass die "sowjetzonale Nachrichtenagentur ADN" schon am Freitag die Meldung verbreitete, Pilot und Flugzeug seien längst wieder in der Bundesrepublik. In Wirklichkeit jedoch fehlte jegliche Nachricht über den Verbleib des Segelfliegers.

Schulkinder hatten die Grenzüberquerung beobachtet

Aus einem anderen Zeitungsbericht ging hervor, dass die Grenzpolizeiinspektion Bad Neustadt/Saale schon am Freitagnachmittag der Landpolizei in Karlstadt mitgeteilt hatte, dass das vermisste Segelflugzeug vermutlich in die Sowjetzone geflogen sei. Mehrere Schulkinder hätten unabhängig voneinander angegeben, dass am Donnerstag zwischen 15 und 15.30 Uhr ein Segelflugzeug im Raum Irmelshausen, Höchheim, Rothhausen die Grenze überflogen habe. Ähnlich lautete die Meldung eines Piloten, der das Flugzeug in der Nähe von Bad Kissingen mit Flugrichtung Osten beobachtet hatte.

Wie Biehle in seinem Artikel beklagte, war bis zuletzt keine offizielle Nachricht aus der DDR zur Übergabe von Pilot und Flugzeug gekommen. Lediglich ein Grenzgänger – 1960 war die Grenze noch nicht hermetisch dicht – hatte einen Hinweis gegeben. Die Zollbehörde in Herleshausen habe daraufhin die Clubleitung der Segelflieger in Karlstadt informiert. Noch am Freitag fuhr ein Rückholkommando – inklusive Biehle – nach Herleshausen.

Mit Maschinenpistolen bewaffnet 

Biehle schilderte: "Mit Erlaubnis der westdeutschen Grenzbeamten fuhren wir bis zur Zonengrenze, die durch einen weißen Strich gekennzeichnet ist... Sofort wurden wir von den Grenzposten beobachtet. Niemand kam jedoch näher. Erst die von einem Grenzgänger vermittelte Bitte veranlasste zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Volkspolizisten näherzukommen. Auch sie wussten von keiner Übergabe und erst ein Telefongespräch klärte das mitternächtliche Gespräch am sowjetzonalen Grenzstreifen."

Das Flugzeug sollte am Samstagmorgen  übernommen werden. Über den Aufenthaltsort von Stadter herrschte weiter Ungewissheit. Biehle berichtet: "Punkt 9 Uhr trafen ein Offizier der Volkspolizei mit einem Zivilvertreter am Schlagbaum ein und ein Soldat, der vor unseren Augen das Seitengewehr (Bajonett) auf das Gewehr steckte, übernahm die 'Bewachung'. Zu dritt durften wir schließlich mit unserem Rückholfahrzeug zum Kontrollpunkt Wartha fahren. Max Stadter stand dort neben dem Flugzeug im Kreise von Segelfliegern der ostzonalen Gesellschaft für Sport und Technik, Abteilung Segelflug, aus Meiningen. Sie hatten den in Schönbrunn bei Hildburghausen gelandeten Piloten mit seinem Flugzeug auf einem Spezialanhänger zur Zonengrenze gebracht."

Überall freundlich aufgenommen

Bei der Übergabe seien dann nicht einmal die Ausweise kontrolliert worden. Die Karlstadter Abordnung musste erklären, alle in der DDR entstandenen Kosten zu übernehmen. Stadter berichtete, er sei überall freundlich aufgenommen worden. Auch seien die Vernehmungen kurz gewesen. Nach der Landung war er nach Hildburghausen gebracht worden, wo er im Zimmer eines Polizisten schlafen durfte. Die zweite Nacht hatte er in einem Eisenacher Parkhotel im Kreise der Segelflieger verbracht. 

Stadter berichtete, dass er auf dem Flug nach Bamberg die Orientierung verloren und erst nach dem Eintreffen von Passanten erfahren hatte, dass er sich in der DDR befand. Gelandet war er gegen 16 Uhr. Sein Ziel, einen 50-Kilometer-Flug zu absolvieren, hatte er erreicht. Die Flugstrecke betrug ungefähr das Doppelte.

Nachspiel wegen der Kosten

Der Fall war ein Jahr später noch nicht ganz abgeschlossen. So existiert ein Schreiben des Luftsportverbands Bayern an den Rat des Kreises Hildburghausen, in dem er gelandet war. Darin heißt es, das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr erkenne die Kostenaufstellung vom August 1960 nicht an. "Nachdem wir als Fachverband selbst genau wissen, welche Kosten für den Straßentransport eines Segelflugzeugs anfallen, müssen wir die von Ihnen in Rechnung gestellten Kosten als wesentlich überhöht bezeichnen."

Umgekehrt hatte dass Innenministerium der DDR gleich nach dem Vorfall angemahnt, die Bundesrepublik solle Maßnahmen ergreifen, "die eine Wiederholung solcher Vorkommnisse ausschließen". Erst tags zuvor hatte ein amerikanischer Segelflieger den Luftraum der DDR verletzt und in Mecklenburg landen müssen. 

Der aus Sachsenhausen bei Wertheim stammende Max Stadter heiratete übrigens später die Karlstadterin Waltraud Englinski. Der begeisterte Flieger führte bei Karlstadter Flugtagen in den 1960er Jahren spektakulären Kunstflug mit dem Segelflugzeug und einem Nurflügler vor. Mit dem Nurflügler stürzte er später in Unterwössen südlich des Chiemsees tödlich ab.    

 
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