Ein „bitterböses Wilderernest“ – so nannte der schillernde ehemalige Lohrer Jagdverwalter Dr. Oskar Horn in seinem Buch „Von deutschem Waidwerk“ (1908) Partenstein, das er nur „P“ nennt. Ganze Familien hätten dort von der Wilderei gelebt, die Wilderer seien „kompanieweise“ aufgetreten. Horn will in seinen Lohrer Jahren (1889–1900) „sieben Kerle von dort ans Messer gebracht“ haben, die zu längeren Freiheitsstrafen verurteilt worden seien.
Als Beispiel nennt Horn die berüchtigte Familie H.: „Von der ,sitzt‘ gegenwärtig alles, den jüngsten, etwa 15jährigen Sohn und eine 6jährige Tochter erster und den jährigen Sprößling zweiter Ehe ausgenommen.“ Der Großvater, der schon ein äußerst versierter Wilderer gewesen war, war zu diesem Zeitpunkt schon gestorben. Die Familie lebte mit zwei anderen im „Forstamt“, wie das die größten Wilddiebe und Holzfrevler beherbergende, am oberen Dorfende gelegene gemeindliche Armenhaus oder „Hirtenhaus“ im Volksmund hieß, so schrieb Schulmeistersohn Heinrich Arnold in seinen Erinnerungen.
Leinenweber H. war einer von wenigen Wilderern
In den Jahren der deutschen Revolution 1848/49 wurde so viel gewildert, dass es sich in den 1850ern kaum mehr lohnte, erzählt der 1850 in Partenstein geborene Georg Endres, Sohn des Partensteiner Oberförsters und später selbst Oberforstmeister. Eine Ausnahme bildete der damals junge Leinenweber H., wie Endres in seinen Erzählungen unter dem Titel „Aus dem Jugendleben eines Spessartjägers. 1868–1888“ in der „Heimatland“, der heimatkundlichen Beilage der Lohrer Zeitung, von September 1936 bis März 1937 erzählte.
H. hatte sein altes Vorderladergewehr am Waldrand in einer alten Steinmauer versteckt. Endres erzählt, wie H. es einmal hervorziehen wollte, der Hahn jedoch an einem Stein hängenblieb. Das Ergebnis war, dass das mit der Mündung auf H. gerichtete Gewehr losging und ihm eine Ladung Schrot oberhalb der Hüfte verpasste. Aber nach sechs Wochen ging er wieder ans Wildern, was er laut Endres „sehr vorsichtig und schlau“ betrieb, so dass man wohl ab und zu einen verdächtigen Schuss hörte, den Täter aber nie erwischte. Später habe H. gestanden, dass er meist in Wechseln mitten im Bestand ansetzte.
H. fand irgendwann, weil die Leinenweberei nicht viel brachte, laut Endres Arbeit in der von Gottfried von Kießling in den 1870er Jahren eingerichteten Holzschleiffabrik. Da von Kießling einen großen Teil der Lohrer Stadtjagd sowie die Partensteiner Gemeindejagd pachtete, wurde der jagderfahrene H. vom Bock zum Gärtner gemacht und bekam den Posten als Jagdaufseher. Bei einem gemeinsamen Jagdgang mit H. Mitte der 1870er habe dieser Endres einmal gefragt: „Was hätten Sie getan, wenn Sie im Walde einmal bei der Jagd auf mich gestoßen wären?“ Endres: „Sofort hätte ich Feuer auf Sie gegeben.“ „Sehen Sie, so garstig war ich nicht“, soll H. erwidert haben. Einmal sei Endres zehn Meter an ihm vorbeigepirscht und er habe ihn nicht totgeschossen.
Sohn H. führte das Wilderergeschäft weiter
Ein Jahrzehnt später war der alte H. schon „in die ewigen Jagdgründe hinübergewechselt“. Dessen Sohn führte das Wilderergeschäft weiter, allerdings mit Draht statt mit einem Gewehr. Weil der junge H. Arbeit in der zehn Kilometer von Partenstein im Staatswald in der Abteilung Sohl gelegenen Schwerspatgrube hatte, hatte er gute Gelegenheit, auf dem Arbeitsweg die Wildwechsel auszukundschaften, hier und da Schlingen auszulegen und unauffällig nachzusehen, wie Endres berichtet. Die Rehe brachte seine Frau in Lohr ganz oder zerlegt an den Mann.
Der junge H. pflegte laut Horn zu sagen: „Mein Vater war ein Lump, ich bin ein größerer, aber der allergrößte wird der da“ – wobei er auf seinen 19-jährigen Jungen, der wie ein Kind von 13 aussieht, gezeigt habe. Über die sittlichen Verhältnisse schrieb Horn: „Vater H. (der junge H., d. Red.) war Witwer und lebte im Konkubinat (unverheiratet, d. Red.) mit seiner jetzigen Frau. Aber nicht er allein, auch der Sohn lebte mit der Konkubine seines Vaters im Konkubinat.“
Dorf „zitterte“ vor dem Wilderer H.
Der junge H. legte die Schlingen im Umkreis von sechs Stunden gemeinsam mit seinem Sohn. Horn: „Es war eine Art Großbetrieb, wie die zwei das besorgten.“ Wenn man einem der beiden begegnete, „da drehte er sich um, klopfte mit beiden Händen dorthin, wo der Rücken seinen ehrlichen Namen verliert und sprach seine Einladung dazu aus“. H. sei ein „gefährlicher Mensch“ gewesen, „vor dem das Dorf zitterte“. Deshalb habe niemand gegen ihn aussagen wollen.
Doch irgendwann ging die Familie H. laut Horn zu weit. An Fastnacht überfielen Vater, Stiefmutter, Sohn und Tochter gemeinsam den Partensteiner Jagdaufseher. Es kam zu einer Rauferei, bei der die Frauen mit eingebundenen Steinen auf den Jagdaufseher einschlugen. Schließlich feuerte der Sohn auf Geheiß seines Vaters dem Jagdaufseher eine Pistole ins Gesicht. Der konnte jedoch schnell ausweichen und kam mit verbranntem Gesicht davon. Der ganze Ort war danach in Aufregung.
H. kam in Untersuchungshaft, sein Sohn folgte nach. Weil seine Frau sich währenddessen mit einem anderen vergnügt haben soll, soll H. Briefe an den Staatsanwalt geschrieben haben, dass sie doch ebenfalls in Haft solle, sie habe das Wild schließlich verkauft. Von H. soll sie Prügel bezogen haben, weil sie beim Verkauf des Gewilderten weniger erlöste als H.s erste Frau. In der Verhandlung wollte H. alles auf seinen Sohn abwälzen.
Gleich nach Entlassung wieder verhaftet
H. wurde nach Geständnissen seines Sohnes, seiner zweiten Frau und der Tochter zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Neben seiner Frau, seinem Sohn und seiner Tochter erhielten auch, so schreibt Endres, „angesehene Bürger der Stadt Lohr“, Horn nennt einen Metzger und einen Gerber, empfindliche Freiheitsstrafen. H., erst im Februar 1899 entlassen, wurde bereits Ende Juli 1899 zusammen mit seinem Sohn wegen neuerlichen Wildfrevels wieder verhaftet.