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Ukraine – Edmonton
Kanada: Nicht weit von der boomenden Öl-Metropole Edmonton entfernt können Touristen erfahren, wie hart das Leben für die Einwanderer früher war – und warum gerade hier die Verbundenheit mit der Krisenregion in Europas Osten so groß ist.
So war's einmal: Ein paar Kilometer außerhalb Edmontons findet sich das Ukrainian Cultural Heritage Village.
| So war's einmal: Ein paar Kilometer außerhalb Edmontons findet sich das Ukrainian Cultural Heritage Village.
reda
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:09 Uhr

In Kanada wird der Krieg in Ost-Europa ganz genau beobachtet. Und Kanadas Premierminister Stephen Harper nimmt entschieden Stellung für Kiew – nicht ohne Grund. Nirgendwo jenseits von der Ukraine und Russland leben so viele Menschen, deren Wurzeln in der Ukraine liegen. Die Ursprünge dieser intensiven Beziehungen liegen mehr als hundert Jahre zurück, als Kanadas Westen nur spärlich besiedelt war.

Jemand hat hier Schach gespielt, in großem Stil. Das ganze Land ist gerastert. Ein beeindruckendes Bild bietet sich aus dem Flugzeug heraus. Klar tritt der Geist der Vernunft heraus, der die Prärie, die ursprüngliche Wildnis mit Menschenkraft in Planquadrate aufgeteilt hat. Feld liegt fein säuberlich an Feld. Nur die Flüsse und Seen fallen aus dem Raster. Einfach unfassbar, wie es den Menschen gelungen ist, eine so riesige Fläche Land mit rechten Winkeln einzuhegen und zu kultivieren.

Wo früher Indianerstämme im endlosen Prärieland lebten, findet sich heute die Millionenmetropole Edmonton, die nördlichste Großstadt Nordamerikas. Und die Stadt erlebt einen unglaublichen Boom. Sie will gar nicht aufhören, in alle Richtungen zu wachsen. Alles ist „Under Construction“, Baustellen, wohin der Reisende blickt. Downtown werden neue Wolkenkratzer geplant, der Stadtrand schiebt sich permanent weiter hinaus.

Wie rasant die Geschichte der Stadt verlaufen ist, zeigen die Zahlen: 1901 lebten 2626 Menschen in der Stadt, 2001 waren es 666 104 und 2011 schon 812 201. Tendenz weiter rasant steigend. Um 1900 war es die Besiedlung der Prärie, die die Region in Schwung hielt, heute sind es die Ölsande, die nördlich der Stadt gefunden werden: Edmonton ist die Ölhauptstadt Kanadas.

Wer aus der sympathischen, weitläufigen Stadt einen Abstecher in die erste große Gründerphase macht, fährt erst einmal an Raffinerie-Türmen am Stadtrand vorbei. Im Navi ist „Ukranian Cultural Heritage Village“ einprogrammiert, dort wird die besondere Besiedlungsgeschichte Albertas anschaulich erklärt. Auf breiten mehrspurigen Stadt-Highways geht es hinaus aufs Land. Nur die Autobahnabfahrt, die man nun nehmen soll, gibt es nicht mehr: „Under Construction“ – alles ist aufgerissen. Das Navi schlägt einem vor zu wenden. Ein Witz auf der behelfsmäßigen Zu- und Abfahrt ins Nirgendwo. Zum Glück quert die notdürftige Piste eine Zuglinie, zum Glück fährt gerade einer der kilometerlangen Güterzüge im Schneckentempo vorbei. Wirklich genug Zeit, sich einmal ausführlich auf der Karte zu orientieren.

Ein paar Kilometer hinter der Stadt, als links und rechts des Highways Farmland liegt, lässt der Verkehr schlagartig nach. Kanada wird vierspurig, wird ruhig, groß und gemächlich, genauso, wie man es sich ersehnt hat. Rund 40 Kilometer sind es von Edmonton zum Schau-Dorf, es liegt also gleich nebenan für kanadische Verhältnisse. Aufgebaut sind dort mehr als 30 Häuser, die anschaulich machen, warum und wie ukrainische Einwanderer das Prärieland urbar machten.

Das alles reicht zurück in die 1890er Jahre, erzählt David Makowsky – selbst ein Nachfahre ukrainischer Einwanderer, der für das Village arbeitet. Erst kamen die Landvermesser, dann die Eisenbahn, danach die Siedler. Die kanadische Regierung wollte damals das Prärieland im Westen besiedeln, gleichzeitig darbten im Osten Europas die Ukrainer ohne eigenen Staat, aufgeteilt zwischen Russland und Österreich-Ungarn. Ein Exodus begann. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs wanderten allein aus Österreich-Ungarn 170 000 Menschen aus. Sie nahmen nur das Nötigste mit auf die lange Überfahrt nach Kanada.

An dieser Stelle setzt das historische Dorf ein. Es zeigt eine Hütte, wie sie armseliger und einfacher nicht sein könnte. Ein Dachbalken, ein paar Holzstämme links und rechts, die zum Boden reichen, an der Außenseite sind Grassoden angebracht. So sahen die ersten Unterkünfte aus, in denen die Einwanderer leben mussten. „Es war unglaublich entbehrungsreich“, sagt Makowsky. Das Farmland, eine quadratische 160 Acre große Fläche (circa 65 Hektar), bekamen die ukrainischen Siedler anfangs nur zur Pacht – mit der Auflage, binnen dreier Jahre 30 Acres Wildnis urbar zu machen. Eine titanische Aufgabe für ein Ehepaar allein, das gerade einmal über Säge, Hammer und Pickel und die Aussaat für das erste Jahr verfügte. Wenn es dem Farmer gelang, das Land zu bestellen und er zusätzlich zehn Dollar zahlte, bekam er den Grund überschrieben. „Die ersten Jahre waren die schlimmsten“, sagt Makowsky.

Im Frühjahr kamen die Siedler in der Regel auf ihrem Grund an, irgendwo im Nirgendwo, weit weg von der nächsten Bahnlinie, der nächsten Straße, dem nächsten Feldweg, auf einem Grundstück mitten in der Wildnis. So schnell wie möglich bauten sie sich ihre bessere Behelfsunterkunft, in der sie Jahre um Jahre grausam eng lebten. Es ging darum, die erste Saat auszubringen. Und wenn nach einem harten Jahr der Winter kam, trennten sich Mann und Frau. Er ging in die Stadt, um das Geld zu verdienen, mit dem das Farmland gekauft werden konnte; sie blieb zurück und passte auf das Hab und Gut auf, Monate allein gelassen, Monate, ohne ein einziges Gespräch zu führen. Das neue Leben war vor allem für die Frauen ein sozialer Ausnahmezustand, die vollkommene Einsamkeit griff die Psyche an.

Wer die ersten Jahre überstand und sich das Farmland leisten konnte, hatte in der Regel das Schlimmste geschafft. Von da an ging es aufwärts. Das erste richtige Haus wurde gebaut – noch nach Vorbildern aus der Bukowina. Auch dafür findet sich im Dorf ein Beispiel. Kurios erscheint, dass dieses Ein-Raum-Haus keinen Kamin hat. Makowsky erklärt, dass in der Bukowina pro Schornstein Steuern fällig geworden wären und die Siedler so bauten, wie sie es gewohnt waren.

Mit den richtigen Häusern kamen auch Wege, mit den Wegen die Knotenpunkte, an denen sich das Sozialleben ausprägte. Die ersten notdürftigen orthodoxen Kirchen wurden dort errichtet, aus Holz gebaut mit einem winzigen Turm, auf dem ein orthodoxes Kreuz zu sehen ist. Ikonen finden sich im Inneren. Das alles erzählt das nachgebaute Dorf auf anschauliche Weise.

Schauspieler sind in den Häusern, die die einzelnen Schritte auf dem Weg zu einem gewissen Maß an Wohlstand erlebbar machen – vom ersten Haus, das oft nur aus einem einzigen bewohnbaren Raum bestand, bis zur Farm, die erst von der zweiten Generation errichtet wurde. Diese Farmen nahmen nicht mehr Maß an dem zurückgelassenen Europa, diese Farmen sahen wie englische Farmhäuser aus. Bereits die zweite Generation fühlte sich als Kanadier.

Auf die erste Einwandererwelle, die mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs endete, folgten weitere. Heute leben über 1,2 Millionen Menschen mit ukrainischen Wurzeln in Kanada, einer der Bekanntesten ist die Eishockey-Legende Wayne Gretzky. Wenn in der Ostukraine heute Krieg geführt wird, reagiert die kanadische Regierung äußerst sensibel darauf. Denn was die Einwanderer in Kanada geschaffen haben, sieht man vom Flugzeug aus über hunderte Kilometer hinweg: Sie haben die Wildnis in Kulturland verwandelt

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