Die Bäume am Straßenrand sind ordentlich gesetzt wie Alleen auf Rügen. Doch statt über flaches Land geht es serpentinenförmig einen Hügel hinauf. Statt Linden wachsen Mangobäume. Und statt in Vorpommern befinden wir uns in Westafrika. Die Mangoalleen hinter dem Städtchen Kpalimé ganz im Westen Togos sind späte Zeugen deutscher Landschaftspflege vor hundert Jahren. Dabei war für viele der Einheimischen die Präsenz der Kolonisten alles andere als pfleglich. 30 Jahre herrschten die deutschen Kolonialherren in Togo. Von 1884 bis 1914 war das Gebiet als Protektorat beziehungsweise Kolonie dem Deutschen Reich einverleibt.
Wenige hundert Meter unterhalb besagter Mangoallee liegen sie begraben – die Helden kolonialen Sendungsbewusstseins, kaiserlichen Abenteurertums und damals gängiger Unterdrückung. Einige Grabsteine sind noch erhalten, auch Einfassungen der Grabbeete. Ansonsten wird der deutsche Friedhof langsam überwuchert vom Gestrüpp der Jahrzehnte, zugewachsen von Bananenstauden. Regierungsbaumeister Ernst Schmidt, der „verdienstvolle Togoforscher E. Baumann“, der Stuttgarter Kaufmann Otto Schneider: Allesamt wurden sie fern der Heimat keine 35 Jahre alt, dahingerafft vom Fieber. Ein Steinwurf oberhalb ihrer Ruhestätten lässt ein verfallenes Gefängnis neben der Kommandantur nur erahnen, wie es zugegangen sein mag in der deutschen „Musterkolonie“ Togo.
Dass diese gar nicht so musterhaft war, weiß wohl am besten der Historiker Peter Sebald. Seit einem halben Jahrhundert erforscht er die deutsche Kolonialgeschichte in dem westafrikanischen Land, verbringt jeden Winter in Togos schwülheißer Hauptstadt Lomé, um Archivakten zu durchstöbern. Sebalds Urteil ist drastisch: Er spricht von einer deutschen „Militärdiktatur auf Grundlage eines amtlich verordneten Rassistenregimes“. Die kaiserlichen Gouverneure hätten ein Apartheidregime errichtet, das der Bevölkerung den Zugang zu gehobenen Tätigkeiten verwehrt habe. Während Wissenschaftler Sebald heute ein düsteres Bild deutscher Kolonialvergangenheit in Togo zeichnet, wurde es von ranghohen Politikern lange Zeit beschönigt. Hervorgetan hat sich hierbei der frühere bayerische Ministerpräsident und Afrikafreund Franz-Josef Strauß. Zum 100. Jahrestag der Kolonialisierung sprach er irreführend von der „helfenden Hand“, die deutsche Gouverneure und Beamte der togoischen Bevölkerung gereicht hätten. Aber Strauß nahm es mit der historischen Wahrheit offenbar so wenig genau wie mit Menschenrechten und politischer Freiheit. Über viele Jahre fühlte er sich mit Togos Diktator Gnassingbé Eyadéma freundschaftlich verbunden. Der stieg im Münchner Hotel „Vierjahreszeiten“ ab, für seine Einkaufstour bei Nobelschneider Rudolph Moshammer wurde schon mal die Straße gesperrt.
Umgekehrt ließ sich Strauß in den 80er Jahren von dem Diktator in Togo empfangen. Im Nationalpark im Norden des Landes übten sich beide als Büffeljäger. Dass zur gleichen Zeit Oppositionelle verfolgt wurden – das tat einer Männerfreundschaft keinen Abbruch, die nicht nur eine politische war: Dem Rosenheimer Fleischfabrikanten und Strauß-Intimus Josef März gelang es durch diese persönlichen Beziehungen, mit seinem Unternehmen Marox in Togo Fuß zu fassen. Er erwarb zusammen mit togoischen Partnern Ländereien in großem Stil, betrieb Viehzucht und einen Supermarkt. Am Stadtrand von Lomé und im Norden Togos errichtete er zwei bayerische Brauereien.
Nach dem Konkurs von Marox gehört die Brauerei mittlerweile dem französischen Konzern Castel, die Ländereien werden von einem ortsansässigen deutschen Teilhaber verwaltet – für die neuen togoischen Eigentümer. Gastronomisch weiß-blau geht es in Lomé weiterhin im Restaurant „Alt München“ zu. Nahe des Tiefseehafens (ein deutsches Entwicklungsprojekt) grüßt draußen die Rautenfahne und drinnen eine Speisekarte, die sich hinter keinem oberbayerischen Landgasthof zu verstecken braucht: Zu Kassler mit Sauerkraut, Schweinegeschnetzeltem, Schnitzel und einem kühlen Bier dudeln deutsche Schnulzenschlager aus den Lautsprechern. Schnell vergessen sind da sind die tropisch-schwüle Hitze vor der Tür und der Dreck der Hauptstadt. Eine der Straßen trägt den Namen von Franz-Josef Strauß. Nicht gerade eine Prachtmeile, aber die gibt es in Lomé ohnehin kaum.
Durch die intensiven Kontakte des CSU-Politikers und Parteifreunden nach Togo sowie die prowestliche Orientierung des Regimes während des Kalten Kriegs hat das Land über Jahre einen Stellenwert in der deutschen Afrikapolitik eingenommen, der weit über die eigentliche Bedeutung des Kleinstaates hinausging. Schlagartig geändert hat sich dies, als Deutschland 1993 gemeinsam mit der EU die staatliche Entwicklungshilfe für Togo stoppte. Anlass war laut Auswärtigem Amt ein Massaker von Sicherheitskräften an friedlichen Demonstranten in Lomé. Zuvor hatte man Diktator Eyadéma zu mehr Demokratie und politischer Freiheit gedrängt. Togo gilt für das Bundesministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) derzeit als „potenzielles Partnerland“. Das heißt: Hilfe wäre nötig, aber es fehlen die politischen Voraussetzungen dafür – gute Regierungsführung, Demokratie, freie Wahlen.
Nicht betroffen davon ist die Basisarbeit von nichtstaatlichen Organisationen wie der in Würzburg ansässigen Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW). Ihren Einsatz sieht man im Ministerium positiv, weil er direkt den betroffenen Menschen zu Gute kommt.
Weiter abgekühlt haben sich die politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern vor zwei Jahren. Nach dem Tod von Eyadéma hatte sich sein Sohn Faure im Februar 2005 mit Hilfe des Militärs an die Macht geputscht. Auf internationalen Druck hin setzte er umstrittene Wahlen an, der Innenminister flüchtete aus Angst vor Militäraktionen in die deutsche Botschaft. Kurz darauf steckten Unbekannte das Goethe-Institut in Lomé in Brand: Die Kultureinrichtung brannte aus. Das Auswärtige Amt in Berlin machte die Regierung für den Vorfall verantwortlich und verlangte den Wiederaufbau. Ein bislang einmaliger Vorgang in der deutschen Außenpolitik.
Und tatsächlich: Togos Regierung kam für den Schaden auf, vor wenigen Monaten wurde das Goethe-Institut wieder eröffnet. Zahlreiche Togoer pauken dort Deutsch, bereiten sich auf ein Studium vor. Es klingt paradox: Aber Deutschland genießt in Togos Bevölkerung einen ausgesprochen guten Ruf – trotz aller politischer Verstimmung und gewaltträchtiger Kolonialvergangenheit.