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Der mutige Kampf gegen eine vergessene Krankheit
Koffi ist sieben. Der Junge aus Togo kann nicht mehr laufen. Er ist an Buruli Ulcer erkrankt, einer rätselhaften Tropenkrankheit, der die Deutsche Lepra- und Tuber- kulosehilfe aus Würzburg den Kampf angesagt hat.
Der Großvater verbindet seinem Enkel das entstellte Bein. Wird Buruli Ulcer rechtzeitig erkannt, genügt ein kleiner Schnitt, manchmal sogar die Einnahme von Antibiotika. Ansonsten drohen Geschwüre, Verkrüppelungen oder Amputationen.       -  Der Großvater verbindet seinem Enkel das entstellte Bein. Wird Buruli Ulcer rechtzeitig erkannt, genügt ein kleiner Schnitt, manchmal sogar die Einnahme von Antibiotika. Ansonsten drohen Geschwüre, Verkrüppelungen oder Amputationen.
Foto: FOTOs Andreas Jungbauer | Der Großvater verbindet seinem Enkel das entstellte Bein. Wird Buruli Ulcer rechtzeitig erkannt, genügt ein kleiner Schnitt, manchmal sogar die Einnahme von Antibiotika.
Von unserem Redaktionsmitglied Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 17.10.2017 13:22 Uhr

Er wird wiederkommen. Kome Hegnon wird wiederkommen nach Ativime, in das kleine Dorf im Süden Togos. Der staatliche Gesundheitshelfer wird nicht locker lassen, um die Familie Dogbessa zu überzeugen, den kleinen Koffi endlich zur Behandlung ins Hospital der nahen Provinzstadt Tsévié zu schicken. Der Siebenjährige sitzt fast regungslos vor der Lehmhütte in der Dorfmitte. Sein rechtes Bein hat er von sich gestreckt, den Fuß merkwürdig abgewinkelt. Ein nässendes, eitriges Geschwür breitet sich am Knöchel aus, zerstört die Haut und offenbar auch das Gelenk.

Koffi Dogbessa kann nicht mehr laufen. Er rutscht auf seinem Hintern ein paar Zentimeter zur Seite und blickt den Besuchern erwartungsvoll ins Gesicht: Was wird aus mir? Die Mediziner geraten über der Frage fast in Streit mit seiner Tante, die sich um ihn kümmert. Die Mutter ist tot, der Vater arbeitet in Togos Hauptstadt Lomé, eine gute Autostunde entfernt. Die Tante, das ist eine kleine resolute Frau mit verschlissenem gestreiftem Hemd und grünem Kopftuch. Ihre drei eigenen Kinder kann sie die wenigen Kilometer zur Schule nach Tsévié schicken. Doch der siebenjährige Koffi? Gesundheitshelfer Kome Hegnon zweifelt nicht an der Diagnose: Buruli Ulcer, die vergessene Tropenkrankheit im Westen Afrikas.

Der Junge muss operiert werden. Im Regionalkrankenhaus von Tsévié versucht die in Würzburg ansässige Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) die Behandlung von Buruli zu verbessern. Mit Antibiotika, mit Geräten, mit einem Anbau speziell zur Kinderbetreuung und Rehabilitation. Doch Koffis Tante bleibt stur: „Nein, nein, nein!“, schreit sie aufgeregt und wendet sich ab.

Kome Amekuse, ärztlicher Leiter des DAHW in Togo, folgt ihr hinter die Hütte. Er versucht es im Sechs-Augen-Gespräch mit ihr und dem Großvater. Nach wenigen Minuten kehrt er gesenkten Hauptes zurück: „Ich kann sie nicht zwingen. Da ist heute nichts zu machen.“

Die Scham der Familie

Die Frau wird ihren Neffen also höchstens ein weiteres Mal zu einem der traditionellen Heiler bringen, die in Westafrika großen Einfluss und Ansehen in der Bevölkerung genießen. In die Klinik soll er nicht. Nicht mit dieser Krankheit, die die Tante für einen gottgewollten Schicksalsschlag oder Zauberei hält.

Die Scham der Familie ist so groß wie das Stigma des Jungen. Außerdem: Die Tante müsste Wochen, vielleicht Monate mit dem kleinen Koffi im Krankenhaus verbringen, alleine lassen könnte sie ihn dort ja nicht. Völlig ausgeschlossen ist das für eine Frau, die sich auf den Feldern um den Unterhalt der ganzen Familie kümmern muss. Mit dem Projekt im Krankenhaus von Tsévié will das DAHW auch die soziale Betreuung der Kinder verbessern. Wenn Eltern nicht auch noch die Krankenschwestern ersetzen müssen, sind sie eher bereit, ihre kleinen Patienten dort behandeln zu lassen. Rund 70 Prozent aller Buruli-Kranken in Togo sind unter 15 Jahre alt.

Der weit verbreitete Glaube an Zauberei und Hexerei ist freilich nur eines der Probleme im Kampf gegen Buruli Ulcer, dem sich auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verschrieben hat. Sie hat vor drei Jahren in einer Resolution die betroffenen Länder zu nationalen Programmen gegen eine der „vernachlässigten Tropenkrankheiten“ aufgerufen, die außer in West- und Zentralafrika auch in Amerika, Asien und Australien auftritt. Schon 1998 hatte die WHO eine weltweite Buruli-Ulcer-Initiative gestartet. Die Krankheit ist auf dem Vormarsch.

In Togo wurde mittlerweile ein Programm beschlossen, ein Budget dafür gibt es aber (noch) nicht. Ohne den Einsatz des DAHW bliebe es im Moment eine rhetorische Angelegenheit. So aber bekommen die Gesundheitshelfer von Deutschland aus Unterstützung in der so wichtigen Früherkennung von Buruli Ulcer. Sie wäre der eigentliche Schlüssel, um die Krankheit langfristig in den Griff zu bekommen.

Die ersten Symptome von Buruli sind kleine Knoten oder Verhärtungen unter der Haut. Sie schmerzen nicht, und so werden sie in aller Regel nicht ernst genommen. Das mit dem Lepra-Bakterium verwandte Mycobacterium ulcerans – so der medizinische Fachausdruck – setzt ein Gift frei, das sich durch Gewebe, Knochen und Haut frisst und gleichzeitig die Immunabwehr des Patienten unterdrückt. Es kommt zu Ausschlägen, Geschwüren, Verkrüppelungen. Gelenke versteifen.

Meist versuchen die Ärzte mit Haut-Transplantationen, die Wunden zu schließen. In gravierenden Fällen müssen Gliedmaßen amputiert werden. Tatsächlich stoppt die Krankheit häufig von selbst, so überraschend, wie sie gekommen ist. Die meist jungen Patienten bleiben aber durch Narben und Verstümmelungen ein Leben lang gezeichnet – und vielfach ausgestoßen.

Umso wichtiger ist deshalb die frühzeitige Diagnose. Eine operative Behandlung beschränkt sich dann auf einen kleinen Schnitt, um den Erreger zu entfernen. Rechtzeitig erkannt, reicht manchmal sogar die Einnahme von Antibiotika. Aufklärung der Bevölkerung tut also not. Noch gilt Buruli Ulcer als weitgehend unerforschte Tropenkrankheit, ein tauglicher Impfstoff ist noch nicht gefunden.

Aufklärung tut not

Nach den dokumentierten Fällen tritt die Krankheit hauptsächlich in Feuchtgebieten auf – an Seen, Flüssen oder Sümpfen. In Togo sind insbesondere Reisbauernfamilien betroffen. „Bauern sind die tragende Säule in unserem Land. Wenn sie durch die Krankheit eine Behinderung davontragen, ist das ein Rückschritt für die Entwicklung des gesamten Landes“, warnt Ange Koussade, Direktor des Regionalkrankenhauses von Tsévié. Schon die Kinder stehen oft stundenlang barfuß im Wasser. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Krankheit durch eine noch unbekannte Art von Insekten über kleinste Verletzungen in der Haut übertragen wird. Betroffen sind zu 90 Prozent Arme und Beine.

Für den kleinen Koffi drängt die Zeit. Je größer die Wunde, desto schwerer die Operation. Das wird Gesundheitshelfer Kome Hegnon seiner Tante beim nächsten Besuch erneut erklären. Und auf ihre Einsicht hoffen. Noch in diesem Jahr soll, mit Hilfe des DAHW, der Bau des eigenen Kindertraktes in der Klinik von Tsévié beginnen – Betreuung und Unterricht inklusive. Vielleicht steht als einer der ersten Patienten dann Koffi Dogbessa, sieben Jahre, aus Ativime auf der Liste.

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