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Der Krimi ist längst nicht mehr trivial
Literarischer Gruselstoff: Monika Dobler führt in München einen Buchladen nur für Krimis. Die Expertin für Mord und Totschlag weiß, dass es zum Gruseln nicht unbedingt eine Leiche braucht. Ein Gespräch mit der Expertin mitsamt Empfehlungen.
imago60162973h       -  Wer ist der Schlitzer? Eine Frage, die Krimi-Konsumenten öfter umtreibt. Hier ist der Fall klar: Es ist Norman Bates alias Anthony Perkins in Hitchcocks „Psycho“.
Foto: Imago | Wer ist der Schlitzer? Eine Frage, die Krimi-Konsumenten öfter umtreibt. Hier ist der Fall klar: Es ist Norman Bates alias Anthony Perkins in Hitchcocks „Psycho“.
Bearbeitet von Martina Riederle
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:28 Uhr
Frage. Frau Dobler, welchen Krimi lesen Sie gerade?

Monika Dobler: Soeben druckfrisch erschienen: „Der Mann mit der Bombe“ von Christian Roux, ein französischer Autor. Es geht darum, dass ein Mann infolge der Wirtschaftskrise seine Arbeit verliert und keine neue mehr findet. Voller Hass bastelt er sich eine Bombe, eine Attrappe. Bei einem Banküberfall nimmt er eine Frau als Geisel – weiter bin ich noch nicht gekommen.

Was sagt Ihre Erfahrung als Krimibuchhändlerin: Ist das ein Titel, den Sie Ihren Kunden empfehlen werden?

Dobler: Ich weiß zumindest, welchen Kunden ich ihn ans Herz legen werde. Nämlich denjenigen, die gerne französische Noir-Romane und amerikanische Hardboiled-Krimis lesen. Weniger also einem Publikum, dessen Vorliebe Psychothriller oder Heimatkrimis sind.

Mit dem Kriminalroman ist es ja ein wenig seltsam, zumindest hier in Deutschland. Einerseits wird er verschlungen. Zum anderen gibt es da immer noch diese Vorstellung von Trivialliteratur.

Dobler: Nein, das ist eigentlich nicht mehr der Fall.

Als wir vor 16 Jahren unseren Laden eröffneten, da kam es noch vor, dass Kunden sich hierher verirrten und angesichts unseres spezialisierten Angebots meinten: Nein, Krimis, so was lese ich nicht! Damals fand man auch in den Feuilletons noch keinen Kriminalroman rezensiert. Das hat sich sehr geändert, auch bei den Verlagen. Die Kriminalliteratur ist in den letzten Jahren aber auch zunehmend anspruchsvoll geworden, sehr politisch und gesellschaftskritisch. Wobei das auf gute Krimis eigentlich immer schon zutraf. Denn dass jemand zum Täter wird, entsteht doch meist aus gesellschaftlichen Zwängen heraus.

Wodurch zeichnet sich ein guter Krimi aus?

Dobler: Das ist wie mit jedem Buch: Die Sprache muss stimmen, die Personen müssen glaubhaft sein, der Kommissar sollte, gerade wenn es sich um eine Serie handelt, einen unverwechselbaren Ton besitzen. Ein guter Krimi muss aber auch viel mit der Wirklichkeit zu tun haben, er muss den Leser in die Lage versetzen, bestimmte soziale Strukturen kennenzulernen, muss mitteilen, wie die Menschen ticken.

Welche Krimis werden denn bevorzugt gekauft?

Dobler: Darüber gibt die Bestsellerliste Auskunft. Dafür bin ich aber nicht die richtige Adresse, denn Bestseller, auch im Krimibereich, liegen in jeder Buchhandlung aus. Zu uns kommen die Leute, die nach dem Besonderen suchen. Und da muss ich die kleineren Verlage preisen, die nicht erwarten, dass sie fünfzig- oder hunderttausend Exemplare von einem Titel absetzen, sondern schon froh sind, wenn sie fünf- oder zehntausend verkaufen. Die haben meist die anspruchsvolleren Krimis. Der Argument Verlag etwa mit Autoren wie Merle Kröger oder Dominique Manotti. Oder Polar: Ein Verlag, der ins Leben gerufen wurde, als sein Gründer erkannt hatte, dass all die Krimis, die er gerne lesen würde, nicht auf Deutsch zu haben waren. Inzwischen bringt der Polar Verlag jeden Monat einen Krimi heraus. Da kann man blind hingreifen, das ist einfach gute Literatur.

Unterliegt der Krimi Moden?

Dobler: Würde ich schon sagen. Nehmen Sie nur die Regionalkrimis, eine Mode, die ein bisschen ausgeufert ist, als plötzlich jedes Dorf seinen Kommissar hatte. Aber das ist schon wieder am Abflauen . . .

Der Bedarf ist gesättigt . . .

Dobler: . . . weshalb mancher deutsche Autor schon anderswohin ausgewichen ist, nach Frankreich etwa, was mit sich bringt, dass diese Autoren sich französische Namen geben, damit es nicht so auffällt. Eine Zeit lang waren aber auch die sogenannten Schlitzerromane schwer angesagt, Psychothriller, in denen die Opfer gequält und buchstäblich in Streifen geschnitten werden. Hier ist die Nachfrage zumindest bei mir aber auch inzwischen rückläufig.

Gehört eigentlich zu jedem Krimi ein Mord?

Dobler: Nicht zwingend. Bei den Wirtschaftskrimis muss es gar keinen Toten geben, da reicht schon eine korrupte Gesellschaft. Und es gibt natürlich die Romane, die kriminalistische Elemente enthalten, ohne je zu einem richtigen Krimi zu werden. Ich mag diese Art von Büchern, die am Krimi entlang streifen, ohne dass man zunächst weiß, wo es hingeht. In den Romanen von Jason Starr beispielsweise rutschen die Protagonisten oft ins Abseits, und man weiß nicht, werden die nun kriminell oder doch noch die Kurve kriegen.

Müssen Sie sich eigentlich hin und wieder mit andersgearteter Lektüre von so viel Krimikost und Verbrechen erholen?

Dobler: Das tu' ich schon manchmal, ja. Wenn ich gerade einen ganz harten Stoff hatte, dann muss ich schon mal meine Seele streicheln und was Netteres lesen. Außerdem habe ich auch viele Kunden, die zwar gerne Krimis lesen, sich aber nicht gleich fürchten wollen.

Wer liest mehr Kriminalromane, Männer oder Frauen?

Dobler: Eigentlich heißt es immer, dass es mehr die Frauen sind, die Romane mögen. Wenn ich aber meine Kundschaft anschaue, dann besteht sie zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen. Allerdings sind die Romane, die sich die Männer holen, doch sehr verschieden von denen, die von Frauen gekauft werden. Männer stehen nicht so auf Psychothriller, auf psychische Grausamkeiten – welche die Frauen teilweise wirklich lieben, denen kann es gar nicht grausam genug sein. Wenn die Opfer psychisch richtig gequält werden, finden sie es super. Männer können damit nichts anfangen.

Das lässt ja tief blicken ins Innenleben der Geschlechter.

Dobler: Inzwischen überrascht es mich nicht mehr, wenn eine ältere Dame in den Laden kommt und nach richtig hartem Psychostoff verlangt.

Zum Ende unseres Gesprächs bitte ein Tipp: Welchen Krimi sollte man unbedingt lesen?

Dobler: Kennen Sie Oliver Bottini?

Nein.

Dobler: Eines meiner Lieblingsbücher ist Bottinis „Ein paar Tage Licht“. Tolle Geschichte mit unglaublich guten Figuren. Noch jedes Mal, wenn ich diesen Titel empfohlen hatte, habe ich positives Feedback erhalten.

Monika Dobler ist Inhaberin der Münchner Krimibuchhandlung „Glatteis“. Gegründet wurde die Spezialbuchhandlung im Jahr 2000 von Monika Dobler und Gabriele Fauser – die Ehefrau des Krimiautors Jörg Fauser starb 2008. Der Name „Glatteis“ leitet sich ab vom Titel eines Krimis von Hans Werner Kettenbach. Infos im Internet: www.glatteis-krimi.de

 
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