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Das Gespräch führten Wolfgang Keil und Thomas Brandstetter
Redaktion
 |  aktualisiert: 17.10.2017 17:51 Uhr
FRage: Sie sind einer der renommiertesten Winzer Deutschlands. Lassen Sie uns zuerst über Frankenwein reden. Wie kommt er weg von seinem verstaubten Bocksbeutel-Image?

Horst Sauer: Wir haben großen Erfolg mit dem Bocksbeutel. Man muss beim Wein anfangen. Wir müssen die Weine auf den Punkt bringen. Unsere Stärken sind eindeutig Silvaner, Müller-Thurgau und Riesling, da können wir auch was bewegen. Wir fahren heute nicht mehr die Autos wie vor zehn Jahren, wir tragen nicht mehr die Kleider wie vor zehn Jahren, wir trinken auch nicht mehr die Weine wie vor zehn Jahren. Und ich muss meine Kunden kennen. Ich muss von Wein-Stilistik sprechen - was wird getrunken? Als Winzer muss ich wissen, was ich will. Und muss es ganz konsequent verfolgen.

Der Winzer soll sich eine Nische suchen und sich auf seine Stärke konzentrieren?

Sauer: Ich muss das machen, was ich kann, und ich darf mich nicht verbiegen als Winzer. Wenn man nur Liter-Flaschen machen kann, dann macht man eben Liter-Flaschen - auch dabei kann ich ein gutes, ja ein Top-Niveau kriegen. Ich kann mir halt momentan den Luxus leisten, die Weine zu machen, die auch mir schmecken. Und ich hab' noch das riesengroße Glück, dass sie vielen anderen auch schmecken.

Ihnen gelang der Durchbruch mit edelsüßen Weißweinen - eine Nische.

Sauer: Ja, auch weil das in Franken keiner gemacht hat und auch keiner damit gerechnet hat. Allerdings: Die ganz großen Stärken in Franken sind die trockenen Weißweine. Und wenn ich mir das zutraue und mich auf diese Arbeit richtig konzentriere und sie so gut mache, wie ich nur kann, wenn ich wirklich dahinter stehe, dann funktioniert's auch. Ich hoffe, dass das jetzt nicht fünf Euro ins Phrasen-Schweinchen kostet . . .

Noch nicht . . . Natürlich kann man sich eine Nische suchen, aber das Überleben darin ist eine andere Sache . . .

Sauer: Natürlich muss ich auch wissen, ob ein Markt dafür da ist, klar.

Bundes- und weltweit betrachtet, ist der Markt für Frankenwein arg schmal. Was können die Franken tun, um wieder mehr Aufmerksamkeit zu erlangen?

Sauer: Ich muss wieder auf den Wein kommen: Wir haben unsere Weine neu aufgestellt, und wir müssen unsere Weine und unsere Philosophie immer wieder hinterfragen, wir müssen uns dem Markt stellen. Wir müssen uns verändern. Wir müssen dieses Biedere ablegen.

Jetzt sind die fünf Euro aber fällig.

Sauer: Aber es geht nur über die Weine und über die Menschen. Ich kann doch nicht irgendeinen Marketing-Gag machen und verkauf' mich ganz anders, als ich bin. Wir können heute den Kunden nichts mehr vormachen. Die Kunden kennen die Weine aus der ganzen Welt. Sie sind kritisch geworden. Die Kunden sitzen hier bei mir in der Probierstube und reden über Wein, da muss ich mich anstrengen, dass ich mithalten kann. Die kennen die Wein-Welt. Die Globalisierung hat beim Wein schon vor Jahren stattgefunden, und der Weinmarkt ist ein sehr dynamischer Markt. Eine Schwäche des Frankenwein-Managements ist, dass man beim Export nachholen muss. Es gibt Betriebe an der Mosel, die 50, 60 Prozent ihrer Weine exportieren. Da haben wir in Franken geschlafen. Vielleicht traut man sich auch nicht richtig. Man ist sich seiner . . .

. . . Qualität nicht sicher?

Sauer: Ich bin mir meiner Qualität auch nie ganz sicher. Man darf sich seiner Qualität nie sicher sein - aber ich muss dahinter stehen, ich muss überzeugt sein von dem, was ich tue.

Sie haben Erfolg, Paul Fürst aus Bürgstadt mit seinen Roten auch, und noch ein paar andere - aber die Mehrheit kämpft mehr oder weniger ums Überleben und für ein neues Image.

Sauer: Ich glaube, wir haben uns auf dem Bocksbeutel zu lange ausgeruht. Es hat uns sehr viel gekostet, dass wir gesagt haben: Hier haben wir unseren Bocksbeutel, also haben wir was Besonderes, da füllen wir den Wein rein. Und dann hat jeder im Bocksbeutel einen Top-Wein erwartet. Da haben wir viel Lehrgeld zahlen müssen. Wobei ich immer wieder sagen muss, und ich tu's den ganzen Tag, auch wenn Sie daran zweifeln: Es tut sich was. Schauen Sie sich doch mal an, wie viele Preise, Medaillen und Auszeichnungen der fränkische Wein in der jüngeren Vergangenheit bekommen hat. Wir sind dabei, uns wieder zu etablieren und können sagen: Franken ist wieder wer! Hey, unsere Weine schmecken mindestens genauso gut!

Haben sich die Franken nicht auch zu sehr abgeschottet und sich vor bereichernden Einflüssen verschlossen?

Sauer: Natürlich müssen wir auch den Markt wieder besser kennen lernen. Aber das dauert halt seine Zeit. Mensch, ich hab' auch lange gebraucht. Ich habe so viele Fehler gemacht, als ich angefangen habe, so viele Anfänger-Fehler, und ich mache ja jetzt noch welche, halt auf einer anderen Ebene. Es gibt zwei Dinge, um weiterzukommen: übers Nachdenken und übers Fehler machen. Fehler tun weh, aber auf diesem Weg findest du dein Ziel, und dann merkst du auch, wie dich der Wein verändert. Wir denken immer, wir verändern den Wein. Aber der Wein hat mich verändert, weil er mich mit Menschen zusammengebracht hat. Und dann hab ich wieder den Wein verändert, und dann hat er mich wieder verändert, das ist wie ein Pingpong-Spiel. Ich bin auf der Suche nach dem großen Weißen.

Den haben Sie noch nicht gefunden?

Sauer: Den werde ich auch nicht finden, glaube ich jedenfalls. Ich bin ständig auf der Suche und werde ihn nie finden. Als junger Mensch habe ich gedacht, ich schaffe einmal den perfekten Wein. Je älter ich werde, umso mehr wird mir klar, dass man den wohl nie schaffen wird.

Wenn es schon nicht den perfekten Wein gibt - was ist ein großer Wein?

Sauer: Ein großer Wein ist ein Wein, der dem Gaumen Geschichten erzählt.

Welche Geschichten?

Sauer: Ein Wein plaudert alles aus. Er sagt was übers Jahr, ich spüre die Sonne, ich spüre auch die Reben, ob sie gelitten haben, ob sie sich wohl gefühlt haben im Berg oder nicht. Ich glaube, man spürt auch, was der Winzer im Keller gemacht hat. Ich merke, ob der Winzer mit Leidenschaft herangegangen ist, ob Begeisterung dabei war, oder ob der Wein nur lieblos gemacht wurde. Man spürt auch, was der Winzer mit dem Wein will. Es ist heute ganz ganz wichtig, einen Wein zu Ende zu denken. Das ist verflixt schwierig - aber spannend und reizvoll.

Schon mal einen großen Wein getrunken, der nicht zu Ende gedacht war, bei dem Sie glaubten: Mensch, da hätte man mehr herausholen können?

Sauer: Ja. Das macht total traurig. Das soll jetzt aber nicht überheblich klingen - ich hab' auch Weine, wo ich sag': Verflixt, da wäre mehr gegangen. Als Winzer hab ich es dann geschafft, wenn ich im Herbst die Trauben probiere und mir diesen Geschmack speichere - und wenn ich dann später im Wein diesen Geschmack wieder spüre, dann hab ich's geschafft. Nach der Lese ist vor der Lese. Ich darf nie sagen: Jetzt hab ich's, jetzt kann ich's. Es gibt kein Schema F. Ich würde heute manches an meinen 2002er-Weine anders machen als ich 2002 gemacht habe, nach den Erfahrungen von 2003. Ich hätte das, was ich 2003 gelernt habe, gerne 2002 gewusst, und so wird es immer weitergehen.

Nicht alle Winzer verströmen eine solche Leidenschaft.

Sauer: Das weiß ich nicht. Das müssen Sie beurteilen. Ich weiß nur, dass Wein so eine schöne Geschichte hat, dass Wein so unwahrscheinlich glücklich macht. Und ich weiß, dass man mit Wein so viel erreichen kann, dass man mit Wein ganz viele Herzen aufschließen kann. Und ich weiß, dass man mit Wein in der Welt so viel erreichen kann, wenn man mit Profis zusammenarbeitet. Aber eigentlich weiß ich über Wein ganz wenig. Der bekannte Wein-Journalist Hugh Johnson hat mal gesagt: Wenn ich jeden Tag Wein probieren würde, jeden Tag mein Leben lang, dann würde ich jeden Tag etwas dazulernen. Genauso ist es.

 
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