Eine Dachterrasse in Midtown Manhattan. Die Sonne blendet. Während die Straßen weit unten wie immer im Schatten liegen, ist es hier oben hell. Und heiß. Vorsichtig balanciert Clarissa Hoffmann zwei Pappbecher mit Milchkaffee. Es ist Sonntagmorgen, im Central Park um die Ecke lassen sich die ersten Touristen des Tages von Kutschern im schwarzen Frack chauffieren. Das Licht spiegelt sich in den Wolkenkratzern und Hoffmanns dunkler Sonnenbrille. Schutz für müde Augen nach einer langen Partynacht. Der Kaffee ist lau, die Backsteinbrüstung warm. Lässig lehnt sich die junge Deutsche gegen die Wand, sagt, sie glaube, dass „in New York alles möglich ist“. Alles – für sie heißt das, Schauspielerin zu werden.
Er scheint allgegenwärtig in dieser Stadt, der Gedanke, vielleicht die Illusion, dass hier Träume wahr werden. Dafür hat Hoffmann ihr Leben in München hinter sich gelassen: Für zwei Jahre besucht sie nun das Stella Adler Studio of Acting, eine der bekanntesten Schauspielschulen der USA. „Ich dachte, wenn es so weit ist, werde ich mir in die Hosen machen und Angst bekommen“, sagt Hoffmann. Als sie Ende August 2013 jedoch in New York City landete, war sie „entspannt“.
Noch ohne eigene Wohnung pendelte sie im ersten Monat zwischen Sofa und Gästebett zweier Freunde. Zeit für Heimweh blieb keine. Der erste Tag an der Stella-Adler-Schule war ein Sprung ins kalte Wasser. Kein Vorbereiten, kein Aufwärmen, sofort rauf auf die Bühne. „Wir sollten einen Monolog halten, 90 Sekunden lang, vor allen Lehrern, Direktoren und Mitschülern“, sagt Hoffmann. Versagen war einkalkuliert; das Konzept der Schule ist es, Menschen zu formen, keine Stars.
Von Marlon Brando bis Christoph Waltz
Seit 1949 verfolgt die von der US-amerikanischen Schauspielerin Stella Adler gegründete Akademie diesen Anspruch. Statt um Aussehen und schnellen Ruhm wie in Hollywood gehe es um das Handwerk, sagt Hoffmann. Sie und ihre Mitschüler erscheinen auch mal in Kapuzenpullover und Chucks zum Unterricht, je „lässiger, desto besser“. In den Räumen des schmalen Hochhauses in der 27. Straße West, nur wenige Meter vom Broadway entfernt, studierten heute berühmte Schauspieler und Musiker – von Marlon Brando und Kevin Costner über Robert De Niro, Sidney Pollack, Benicio Del Toro und Salma Hayek bis zu Diana Ross oder Christoph Waltz. Im Gegensatz zu klassischen Theorien, die das Schauspiel auf persönlichen Erinnerungen aufbauen, steht bei Adler die Vorstellungskraft im Vordergrund. „Man erfindet eine Lebensgeschichte zu der Rolle und agiert in der Szene so, wie man sich tatsächlich in der Situation verhalten würde“, sagt Hoffmann. Echte Emotionen zwischen den Bühnenpartnern sollen entstehen. Immer einfach ist das nicht.
Hoffmann nimmt die Sonnenbrille ab. Die Augen sind wirklich klein. New York kann anstrengend sein. Broadway-Shows, Partys mit Kollegen, das Clubleben. „Am Anfang dachte ich jeden Tag: Wow, ich bin wirklich hier“, sagt sie. Das berauschende Gefühl hielt vier Wochen. Dann wurde die Stadt zu laut, der Alltag zu hektisch. Die Leichtigkeit verschwand. „Ich habe gemerkt, dass ich mich ziemlich übernommen hatte, dass ich nie Nein sagen konnte.“ Hoffmann trinkt einen Schluck aus dem weißen Becher. Der blonde Pony fällt ihr ins Gesicht, sie schiebt die Haare zurück unter einen hellen Strohhut. Sie wurde krank, und zum ersten Mal fehlte die Ruhe ihrer bayerischen Heimat.
Mit neun Jahren zog Hoffmann gemeinsam mit ihrer Mutter und Schwester von ihrem Geburtsort Heppenheim nach München. Nach dem Abitur dort stellten weder ein Sprachaufenthalt in Chile, noch die Tourismusbranche, ein BWL-Studium in Passau oder die Arbeit in einem Kosmetikunternehmen die junge Frau zufrieden. Sie war zurückhaltend, schüchtern, suchte lange eher berufliche Sicherheit als künstlerische Entfaltung. Im Hinterkopf lauerte immer eine Idee: die Schauspielerei.
„Ich habe die Leute beneidet, die auf der Bühne standen und gespielt haben“, sagt Hoffmann. Eine Art Hassliebe sei es gewesen, „ich wollte das auch, unbedingt, hatte gleichzeitig aber panische Angst vor dem Publikum“. Dann schrieb sie ihre Bachelorarbeit, belegte nebenbei einen Anfängerkurs für Schauspieler. Es war das, was sie gesucht hatte. Sie schrieb sich für einen Intensivworkshop an der Filmakademie München ein, begann eine Ausbildung bei Schauspiel München. Bis zum Januar 2013, als sie in Berlin einen Assistentenjob bei der Inszenierung des Stückes „Gerüchte, Gerüchte“ im Theater am Kurfürstendamm übernahm. Als eine Schauspielerin ausfiel, wurde aus der Assistenz ihr erster großer Auftritt.
Es war die Freitagabend-Vorstellung. Die Bühne am Kudamm war ausverkauft. Fünf Tage zuvor hatte der Broadway-Klassiker von Neil Simon Premiere gefeiert, das Theaterdebüt der „Tatort“-Kommissarin Maria Furtwängler wurde in der Presse hochgelobt. Nun erlebte auf der gleichen Bühne Hoffmann ihr erstes Mal. Aufregung, zitternde Hände bis kurz vor dem Auftritt. „Man denkt: Oh nein, jetzt muss ich raus, und alle schauen mich an. Aber sobald ich spiele, ist alles vergessen“, sagt Hoffmann. Sie überzeugte. Als sie die Bühne verließ, jubelte die zierliche Schauspielerin, klatschte sich mit Furtwängler ab. Plötzlich selbstverständlich. „Da wusste ich, die Entscheidung für die Schauspielerei war richtig.“
Für Hoffmann wurde Berlin zum Sprungbrett nach New York. Einer der Regisseure, Adrian Castilla, riet ihr, sich an der Stella-Adler-Schauspielschule zu bewerben. Selbst Absolvent der Akademie, unterstützte er die junge Deutsche, half beim Lernen und Filmen der Bewerbungsmonologe. Dann hieß es warten. Hoffmann reiste zur Ablenkung zu den Internationalen Filmfestspielen nach Cannes. Dort kam die Zusage aus den USA und mit ihr die Unsicherheit. „Soll ich da wirklich hin?“ Die positiven Reaktionen der Schauspieler bei dem Festival in Südfrankreich halfen. Hoffmann entschied sich für New York.
Die Finanzierung war dank mütterlicher Unterstützung und der Teilnahme an einer britischen Filmproduktion schnell gesichert. Knapp ein halbes Jahr lag zwischen dem Entschluss und der Ankunft in Manhattan. Das Appartement mit Dachterrasse wurde die erste Anlaufstelle, wenig später zog Hoffmann in eine Wohngemeinschaft in Brooklyn mit Blick auf die berühmte Skyline, fast wie eine Filmkulisse. Der Alltag begann. Fünf Tage Schauspielunterricht pro Woche, mit Sprechtraining, Gesang, Tanz, Sport, Technikstunden. Eine Art Lebensschule, denn „man lernt unwillkürlich viel über sich selbst, jede Rolle spiegelt eine gewisse Seite“.
Sonnenuntergang am Hudson
Die Angst vor dem Scheinwerferlicht verschwand langsam, eine typische Rampensau sei sie jedoch immer noch nicht, lacht Hoffmann. „Aber vielleicht werde ich dazu trainiert.“ Neben den Pflichtstunden nahm die ehrgeizige junge Frau an Sonntagen zusätzlichen Unterricht, Zeit für die sozialen Projekte der Schule in der Bronx blieb bisher keine. Für Erholung auch nicht. Die Abende gehörten den Bars, Bühnen und Clubs. Die Deutsche tanzte plötzlich neben R&B-Sänger Usher und Mädchenschwarm Robin Thicke, traf Schauspieler Leonardo DiCaprio mit seiner Modelfreundin Toni Garrn. „Surreal, ja, aber realisiert habe ich das alles erst nach und nach“, sagt Hoffmann. „In den ersten Wochen in New York kannte ich mich nicht.“
Fast ein Vierteljahr später. Heimatbesuch, eine Bar in der Nähe des Sendlinger Tors in München. Kalter Wind weht durch die Straßen, Mantelkrägen werden hochgeschlagen. Statt dunkler Sonnenbrille und Flip-Flops trägt Hoffmann einen hellen Daunenmantel und Stiefel. Sie bestellt ein Glas Wein, die Augen blitzen, diesmal kein bisschen müde. Mittlerweile ist das Leben drüben normal geworden.
„Ich habe gelernt, es insgesamt langsamer angehen zu lassen und mir Ruhe zu suchen“, sagt sie. Zum Beispiel an den Piers am Ufer des Hudson. „Wenn man die Sonne dort beim Untergehen beobachtet, vergisst man die Wolkenkratzer hinter sich.“ Ihre Erzählungen holen die Bilder Manhattans zurück, das Staunen und das Gefühl, dass alles möglich ist. Wieder in Deutschland zu leben sei momentan für sie kein Thema, sagt Hoffmann. Sie will sich ihren Traum erfüllen und von der Schauspielerei leben können – und in „Filmen oder Stücken spielen, die Leute dazu ermutigen, das zu tun, was sie wirklich möchten“.