
Es war der 30. Dezember 1981: Fast konspirativ traf sich eine Gruppe engagierter Menschen aus Kitzingen und dem Landkreis nach Einbruch der Dunkelheit im Atelier von Klaus Christof in der Mainstockheimer Straße. Unter Federführung der Naturschutzjugend, der Jungsozialisten und anderer Gruppierungen gründete sich an diesem Abend die „Aktionsgemeinschaft Hände weg von unserem Wald“, die in den Folgejahren für erheblichen Wirbel in Kitzingen sorgte und deren Auswirkungen mit der Gründung der Kommunalen Initiative Kitzingen noch heute die Kommunalpolitik in der Stadt mit prägen.
Nahezu zwei Jahre zuvor, am 12. Dezember 1979, fällte die NATO den Doppelbeschluss, der einerseits die Stationierung neuer mit Atomsprengköpfen bestückter Raketen in Mitteleuropa zum Inhalt hatte und gleichzeitig die Aufnahme von bilateralen Verhandlungen der Supermächte USA und UdSSR über die Begrenzung ihrer atomaren Mittelstreckenwaffen forderte. In Deutschland entstand in der Folge eine breite Friedensbewegung und viele neue und organisatorisch unabhängige Bürgerinitiativen.
In Kitzingen war das die „Aktionsgemeinschaft Hände weg von unserem Wald“. Ein bunter Zusammenschluss unterschiedlichster Gruppen, wie eine erste Informationsbroschüre aus den Frühjahr 1982 zeigt. Unterstützer waren: „Die Bund Naturschutz Jugendgruppe, der Tierschutzverein, die Grünen, die Jusos, die Ökologisch Demokratische Partei, der Bernbeckkreis, der Frankenbund, die evangelische Landjugend und viele freie Mitarbeiter“.
Kahlschlag überall
Kitzingen, so zeigt die Info, ist einer der waldärmsten Landkreise in Bayern. Schon in den frühen 60er Jahren begann mit der Autobahn A 3 der Kahlschlag: 65 Hektar Wald fielen. Es folgten der Kasernenbau in Volkach mit 34 Hektar, Mitte der 70er die A 7 mit 30 Hektar, verschiedene Flurbereinigungen, Weinberge und Industrieansiedlungen mit weiteren gut 80 Hektar Waldrodung.
Und schließlich ab dem Jahr 1977 das Panzerübungsgelände Klosterforst mit rund 100 Hektar, im Jahr 1981 nochmals zehn Hektar für ei-ne Bunkeranlage der NATO. Das wa-ren die Fakten. Und es drohte wei-terer Waldverlust durch weitere Weinberge, den Landeübungsplatz in Reupelsdorf durch die Bundeswehr und die Schießanlage in Volkach mit Munitionsdepot – 83 Hektar, so die Befürchtungen, würden folgen.
Konzentration auf Klosterforst
Schnell konzentrierte sich die Arbeit der Aktionsgemeinschaft auf die Zustände im Klosterforst. Schreiben an die verantwortlichen Kommunalpolitiker, damals Landrat Rolf Bauer und Oberbürgermeister Rudolf Schardt, machten klar: Allgemein wird das Vorgehen im Klos-terforst zwar bedauert, einen Einfluss der Kommunalpolitik gebe es allerdings nicht. Die Zuständigkeit für das Depot liege im Bereich der NATO und somit auch außerhalb der US-Streitkräfte.
Infobroschüren, Podiumsdiskussionen, eine breite Pressearbeit, ein „Wald“-Spaziergang auf dem Übungsgelände – die Arbeit der Aktionsgemeinschaft war vielfältig und brachte einige Überraschungen zu Tage. So sagte der damalige deutsch-amerikanische Verbindungsoffizier Peter Otersen in einer Podiumsdiskussion im März 1982: „Ich möchte Sie warnen, den Klosterforst zu betreten.“ (Kitzinger Zeitung, 19. März 1982) Verlorene Übungsmunition „könne einem Kind schon die Hand abreißen.“ Den Klosterforst nicht zu sperren, so Otersen weiter, sei lediglich ein Entgegenkommen der Amerikaner.
Viel los vor Ort
Und was war tatsächlich los im Waldgebiet östlich von Kitzingen: Der Rodungen mitten im Wald glichen einem Kahlschlag. Im Anschluss daran wurde am NATO-Nachschub-Depot gearbeitet, zusätzlich an der Straße nach Großlangheim ein Phantomdorf gebaut. Und geübt wurde von den amerikanischen Streitkräften natürlich auf dem Übungsgelände und im anschließenden Giltholz.
Dass Otersen mit seiner Einschätzung, das Gelände besser zu meiden, recht hatte, zeigte ein Informationsgang der Aktionsgemeinschaft durch den Klosterforst, an dem, laut Main–Post vom 18. Mai 1982, 200 Menschen teilnahmen: So wurden Reste von Übungsmunition gefunden, bis hin zu allerdings leeren 35-mm-Übungsraketen. Das Foto zum Artikel zeigt ein neues Gesicht in der politischen Landschaft des Kreises, Siegfried Naser, der zwei Jahre später Landrat wurde, damals noch „Pressesprecher des Landratsamtes“.
Für die Kitzinger Mitglieder der Aktionsgemeinschaft war auch schnell klar: Wirklichen Einfluss und mehr an Informationen gibt es nur auf der politischen Schiene. 1983 gründeten sie die Kommunale Initiative Kitzingen und zogen 1984 mit zwei Vertretern in den Stadtrat ein. Keine Eintagsfliege, wie die 30-Jahrfeier im vergangenen Jahr zeigte.
Und das Übungsgelände im Klosterforst: Was der Aktionsgemeinschaft nicht vergönnt war, regelte die weltpolitische Entwicklung, die ab Mitte der 80er Jahre mit Michail Gorbatschow als Generalsekretär der KPdSU entscheidende Schritte zur Entspannungspolitik einleitete. In der Folge wurden die Truppen in Kitzingen nach und nach reduziert, der Übungsbedarf im Klosterforst sank entsprechend.
Und der Kahlschlag entwickelte sich von selber zum interessanten Biotop. Der Wechsel von Feucht- und Trockenflächen auf engstem Raum, der in Teilbereichen immer wieder umgebrochen wurde, brachte eine erstaunliche Fauna und Flora zu Tage. Aber auch dies ist heute wieder bedroht: Bäume wachsen, das Gelände wuchert zu, Gift für die bedrohten Arten.
Die bayerischen Staatsforsten, seit gut sieben Jahren Besitzer der Flächen, lassen derzeit Teile des Areals freischneiden und setzten auch Bagger ein, um ein Verlanden der Feuchtgebiete zu verhindern. In Zukunft sollen dafür Rinder sorgen, die in einem Pilotprojekt die Vegetation niedrig halten sollen.
Der Autor war in den 80er Jahren mitten im Geschehen. Robert Haaß saß über Jahre auch im Kitzinger Stadtrat.



