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Kitzingen
Zeche geprellt, Minibar geplündert, Hotel nicht bezahlt: Wie ein junges Pärchen im Alkoholrausch durch die Nacht stolpert
Eine toxische Beziehung. Leben im Drogenrausch. Häusliche Gewalt. Zehn Jahre Knast. Gewalt gegen einen Polizisten. Wie die Kitzinger Amtsrichterin diesen vertrackten Fall löst.
Die grenzenlose Aggressivität einer 23-Jährigen wurde von einer Bodycam aufgezeichnet. Jetzt, vor Gericht, will sich die Angeklagte die Bilder lieber nicht ansehen.
Foto: Boris Roessler, dpa | Die grenzenlose Aggressivität einer 23-Jährigen wurde von einer Bodycam aufgezeichnet. Jetzt, vor Gericht, will sich die Angeklagte die Bilder lieber nicht ansehen.
Frank Weichhan
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:35 Uhr

Mehr Blödsinn kann man in einer Nacht nur schwerlich anrichten. Das Paar hatte vergangenen Mai im Mainfrankenpark für knapp 90 Euro viel gegessen, noch mehr getrunken und es sich gut gehen lassen. Dass die von Hartz IV lebenden Eheleute kein Geld dabei hatten, schien dabei kein Hindernis. Man tafelte, der Alkohol floss. Als es ans Bezahlen ging, hinterließ die 23-Jährige zwar ihre Daten – gezahlt aber wurde bis heute nicht.

Auf dem Heimweg kam das Paar in Biebelried vorbei – und auf eine weitere dumme Idee: Man hatte weiterhin kein Geld, mietete sich aber kurzerhand in dem dortigen Hotel ein. Zwar verschwand das Gauner-Pärchen noch in der gleichen Nacht und verbrachte nur wenige Stunden in dem Haus – bis dahin hatte es aber jede Menge Schaden angerichtet. Die Minibar war geplündert, es hatte zudem eine Bestellung aufs Zimmer gegeben, die Trinkgeldkasse am Empfang war leergeräumt. Bei seiner Flucht ließen die beiden zudem die Handtücher mitgehen, ebenso den Zimmerschlüssel, der wenig später im Main landete. Schaden alles in allem: 642 Euro.

Zehn Monate später vor der Kitzinger Strafrichterin. Es hat sich einiges verändert. Das Paar hat sich im September getrennt. Die 23-Jährige ist zu ihrer Mutter zurückgezogen und versucht, sich aus dem Sumpf von Alkohol und Drogen zu befreien. Sie kämpft, das macht sie dem Gericht deutlich, um ein normales Leben.

Das Kind wird abgeholt und vom Jugendamt in Obhut gegeben

Der Grund, warum ihr das geglaubt wird, ist ihr Kind. Kurz vor der Trennung des Paares im September wurde das Kind aus der Familie geholt und vom Jugendamt in Obhut gegeben. Auch diese Aktion verlief nicht ohne Schaden, weshalb die 23-Jährige eine weitere Anklage am Hals hat.

Die junge Mutter wollte die Wegnahme nicht akzeptieren – zumindest nicht mit 1,6 Promille im Blut. Sie war kaum zu bändigen, verletzte zwei Polizisten, trat gegen das Dienstfahrzeug und wehrte sich buchstäblich bis aufs Blut. Ähnliches wiederholte sich dann im September. Die Frau geriet vor einem Einkaufsmarkt so stark mit ihrem Ehemann aneinander, dass die Polizei anrücken musste.

Es gab – wieder im Alkohol- und Drogennebel mit 1,9 Promille – Beleidigungen, Bedrohungen, eine zerschlagene Bierflasche. Einem Polizeihauptmeister trat die Frau in ihrer grenzenlosen Aggressivität sogar dorthin, wo es besonders weh tut. Weil das alles mit einer Bodycam aufgezeichnet wurde, liegen Bilder voller Gewalt der Gerichtsakte bei – sehen will die Angeklagte sie lieber nicht.

Dass sie so war, wie sie war, begründet die Frau nicht zuletzt mit ihrer kaputten Ehe. Eigentlich sei ihr Ex "eine tickende Zeitbombe". Wenn er trank und es nicht nach seinem Willen ging, so erzählt sie dem Gericht, seien ständig die Fetzen geflogen. Die Zechprellerei, die Hotelnacht – das alles habe sie nur mitgemacht, weil ihr Noch-Mann sich nicht im Griff habe.

Sie erzählt dem Gericht von häuslicher Gewalt, manchmal hätten die Freunde schon mal gefragt, "ob ich auf Klitschko getroffen bin". Nicht zu vergessen: ein allgegenwärtiger Psychoterror. Zwei schlimme Jahre im Drogensumpf. Dass sie es am Ende immer war, die für Ärger sorgte, sich vergaß und völlig durchdrehte und Polizeieinsätze provozierte, erklärt sie so: "Er wusste genau, auf welche Knöpfe er bei mir drücken musste!"

Die Angeklagte beteuert, es habe bei ihr "Klick gemacht"

Seit der Kindeswegnahme trinke sie kaum mehr Alkohol. Trotzdem wolle sie unbedingt eine Therapie wahrnehmen, um auf der sicheren Seite zu sein. Sie habe einen neuen Freund, der nicht aus dem Milieu stamme. Um ihre Tochter wiederzusehen, sei sie bereit, ihr Leben von Grund auf zu ändern. "Es hat", beteuert die Angeklagte, "bei mir Klick gemacht!"

Fakt ist aber auch: Zu ihrer ersten Verhandlung war die Frau nicht aufgetaucht, weshalb ein Haftbefehl erging und sie nunmehr aus dem Gefängnis, in dem sie seit einer Woche sitzt, vorgeführt wurde.

"Er ist ein Holterpolter, der sich schwer im Griff hat!"
Der Verteidiger über seinen aufbrausenden Mandanten

Während die 23-Jährige offen ist wie ein Buch und sich alles von der Seele redet, sieht es bei ihrem Verflossenen ganz anders aus: Entweder schweigt er und schüttelt den Kopf. Oder er reagiert unbeherrscht und aufbrausend. Sein Verteidiger drückt das so aus: "Er ist ein Holterpolter, der sich schwer im Griff hat!" Dass er Hilfe bräuchte – von dieser Erkenntnis ist der Holterpolter indes meilenweit weg. Etwas hat sich bei dem Mann dann aber doch in den vergangenen Monaten verändert: Er gibt an, eine Arbeit angetreten zu haben. Wobei hier alles auf wackligen Füßen steht, wie sein Betreuer sagt. Der Mann sei "von der Welt überfordert", es laufe deshalb auch ein Antrag auf Betreuung.

Was die beiden Angeklagten wieder gemeinsam haben, ist das trotz des jungen Alters mit vielen Einträgen versehene Vorstrafenregister. Bei der 23-Jährigen ging es 2016 mit Schwarzfahrten los, es folgten Hehlerei, Unterschlagung, Diebstahl und Beleidigung. Sechsmal stand sie vor Gericht. Sie brach die Schule ab, ebenso zwei Lehren. Nach dem Überdosis-Tod ihres Lebensgefährten driftete sie in die Drogenwelt ab, wo sie mit ihrem späteren Ehemann zusammenkam.

Bei ihm sind es fünf Vorstrafen, die es in sich haben: Seit 2010 saß er wegen Diebstählen und Einbrüchen mehrere Haftstrafen ab. Insgesamt zehn Jahre verbrachte der heute 29-Jährige hinter Gittern. Auch er gibt an, aktuell ohne Alkohol auszukommen. Erschwerend hinzu tritt hier eine laufende Bewährungsstrafe: Ende vergangenen Jahres setzte es ein Jahr Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Trotz zahlreicher Vorstrafen glaubt die Richterin an die beiden

Dass am Ende keiner der beiden ins Gefängnis muss, hat verschiedene Gründe. Zum einen erkennt das Gericht durchaus einen gewissen Wandel an. Strafrichterin Ingrid Johann richtet an die beiden Angeklagten den Satz: "Ich glaube an Sie!" Bei der Frau ist es zudem die erste Freiheitsstrafe, die im Regelfall zur Bewährung ausgesetzt wird. Bei ihm geht es enger zu, mit Blick auf die offene Bewährung fordert die Staatsanwaltschaft jetzt eine weitere Gefängnisstrafe. Am Ende überwiegt wohl, dass der Mann erstmals in seinem Leben arbeiten geht und dadurch die Chance besteht, den angerichteten Schaden wieder gutzumachen.

Die Draußenbleib-Chance ist an knallharte Auflagen gebunden. Die 23-Jährige muss sich drei Jahre bewähren, sonst landet sie für zwölf Monate im Knast. Ihr wird ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt, sie muss eine ambulante Therapie antreten. Und: Der angerichtete Schaden ist von ihr zur Hälfte zu begleichen. Außerdem muss die Frau dem verletzten Polizeihauptmeister 800 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Bei dem 29-Jährigen wird die Strafe vom vergangenen Jahr mit einbezogen, weshalb ein Jahr und drei Monate Haft drohen, wenn er sich nicht die nächsten drei Jahre straffrei hält. Auch er muss seinen Teil des Schadens gutmachen, es gibt ebenfalls einen Bewährungshelfer und die Anordnung einer ambulanten Therapie.

Wie die Zukunft aussehen könnte, lässt sich ein bisschen an den Szenen nach der Verhandlung ablesen: Der Mann verlässt wutschnaubend und Türen knallend das Haus, die junge Frau fällt ihrer Mutter in die Arme.

 
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