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Kitzingen
Wort zum Wochenende: Damit die Seele wieder aufatmen kann
Ruth Meili.
Foto: Waltraud Ludwig | Ruth Meili.
Ruth Meili
 |  aktualisiert: 22.03.2025 02:32 Uhr

Liebe Leserinnen und Leser,

in den vergangenen Monaten sind aus unserer Gemeinschaft drei Schwestern innert kurzer Zeit gestorben, in die Ewigkeit gerufen worden. Jede hat da ihre ganz persönliche Lebensgeschichte mitgenommen, eine Geschichte, die sie oft erzählt haben, vor allem die Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg – als Kinder, als Jugendliche. Stichworte, die immer wieder auftauchten: behütete Kindheit – der Vater wird eingezogen – die Mutter mit Oma müssen aufbrechen aus der vertrauten Umgebung – Flucht in verschiedene, fremde Richtungen – eingepfercht in überfüllte Eisenbahnwagen oder zu Fuß vorbei an erschöpft gestorbenen, getöteten oder aufgehängten Soldaten – Angst und Einsamkeit – barfuß – Hunger – Ablehnung durch neue, fremde Nachbarn…

Wie viele Tränen sind damals und jetzt im Nachhinein geflossen, welcher Schmerz wurde spürbar – auch nach so vielen Jahren und jetzt erst recht noch einmal durch den Überfall auf die Ukraine, so nah, so unglaublich ähnlich, so brutal. Plötzlich war alles wieder da, wo doch jede davon gelebt hat, dass diese Zeit vergangen, erledigt, durchlebt verabschiedet wurde, ja mit viel Hoffnung in das Land des Vergessens entschwunden ist.

Was machen wir mit den Erinnerungen – nicht nur aus Kriegszeiten, auch aktuell verletzt, missbraucht, hintergangen – die meist nachts aus dem Dunkel auftauchen und jeden Schlaf zerstören. Manchmal habe ich mich einfach ans Bett gesetzt, eine Kerze angezündet und zugehört, welche Ungeheuer sich wieder breit machten. Manche Erinnerungen waren real, manche erzählt oder erahnt, eingefärbt von aktuellen Nachrichten. Über manche Erfahrungen konnten wir ein wenig lächeln; sie sind in die Lebensgeschichte eingeflossen und hatten nur noch wenig belastende Kraft. Aber die anderen Bilder? Gemeinsam haben wir versucht Gegenbilder zu finden und dazu zu stellen, auch Bilder aus der Lebensgeschichte, die hell, befreiend, ermutigend, frohmachend sind, wertvolle Erinnerungen aus Ferienzeiten am Meer oder in den Bergen, von Wanderungen durch das Watt oder über Stock und Stein, von neuem Miteinander in der Familie mit wiedergefundenen Vätern, von neuen Freundinnen in Jugendkreisen. Vor allem die Entdeckung der Pfadfinderinnen mit Zeltlagern, gemeinsamen Entdeckungen in Wald und Flur, Beten und Feiern im Gebetszelt hat Dunkelheiten in ein neues Licht gerückt.

Durch diese eingesammelten Erfahrungsbilder rutschten die dunklen in den Hintergrund oder in den Abgrund. Die Seele konnte wieder aufatmen, der Leib einschlafen hin zu einem neuen Morgen.

Ähnlich erging es ja bereits den Psalmbetern in der Bibel: Kriegs- und Todeserfahrungen, antisemitisches Leid, tiefe Not – alles wird in diesen Gebeten ausgesprochen, ja hinausgeschrien zu Gott hin, direkt in sein Herz. Und so wird Raum frei für lichtvolle Erfahrungen; sie werden noch einmal verkostet, dankend dem, der diese Geschehnisse schenkte. Und da weben sich die leuchtenden Erinnerungen in die dunklen ein, bestimmen mit den hellen Farben das Gewebe. Die Psalmen beginnen oft mit ergreifenden Klagen und enden in einem Lob, dass es das eigene mitbetende Herz ergreift und in Bewegung bringt.

Und vergessen wir nicht: Unsere Angehörigen und Freunde, die die Schwelle des Todes hin zum Licht überschritten haben, von Gott an der Hand genommen, die das Wort "Komm mit mir!" gehört und bejaht haben, haben ihre je eigene Lebensgeschichte mitgenommen; und sie wurden in heilvolles Licht gestellt, neu gesehen, geordnet und geheilt. Es lohnt sich, die Bibel im Regal zu suchen, in der Mitte etwa die Psalmen zu entdecken und Unheiles durch Heilendes, ja sogar Geheiltes, zu entkräften. Dadurch ordnet sich Ihre und meine Vergangenheit neu ein in die Gegenwart, damit kraftvolle Zukunft wird. Falls Sie nicht weiterkommen, erinnern Sie sich an mich und fragen auf dem Schwanberg nach.

Die Autorin: Schwester Ruth Meili, geboren 1941 am Zürichsee, und ausgebildete Gymnasiallehrerin, trat 1971 in die evangelisch-benediktinische Ordensgemeinschaft Communität Casteller Ring ein. Nach einem Engagement in Schule und Internat auf dem Schwanberg gründete sie mit weiteren Schwestern eine Teestubenarbeit in München-Schwabing. 13 Jahre war sie nach der politischen Wende mit Mitschwestern am Augustinerkloster zu Erfurt. Seit 2010 sind alle Schwestern zurück auf dem Schwanberg in verschiedenen Arbeitsgebieten.

 
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