„Net gschimpft ist globt gnuch“, das ist ein typisch fränkischer Spruch. Trifft das auf Sie zu? Sagen Sie vor allem dann etwas, wenn Ihnen etwas nicht passt? Oder würdigen Sie ausdrücklich auch das Positive? Eng damit verknüpft ist, mit welcher Perspektive man auf das eigene Leben blickt. Gibt es noch Momente des Staunens? Findet man immer ein Haar in der Suppe? Ist das Glas halb leer oder halb voll?
Dass der Blick auf das Negative oder das Unperfekte näher liegt als das Entdecken des Guten, das wir oft als selbstverständlich ansehen, scheint ein verbreitetes menschliches Phänomen zu sein. Hätte sonst der Psalmbeter sagen müssen „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ (Psalm 103,2)? Er sagt es zu sich selbst, spricht es sich in die Seele hinein: „Vergiss nicht.“ Er kennt es offenbar, dass sich das, was nicht so läuft als gedacht, in den Vordergrund schiebt und die Sicht auf das andere verdeckt.
Der Pfarrer und Liederdichter Paul Gerhardt hat sich den Psalmvers zu eigen gemacht. In seinen Liedern führt er sich das Gute vor Augen. Dabei blendet er das Schwere und Krisenerfahrungen nicht aus. Das kannte er auch: Sorgen, Tränen, Mangel, Gefahren. Er führte kein glanzvolles Leben. Er war mit 14 Jahren Vollwaise. Er musste vier seiner Kinder und seine Ehefrau begraben. Die meiste Zeit war er Hilfslehrer. Drei Jahre war er arbeitslos. Und dann die lange Zeit des Krieges. Er war 16 Jahre alt, als der Krieg begann und 46 Jahre alt, als er endete. Viel Tod und Leid hat er gesehen und selbst erlebt. Aber er behält sich den Blick für das Gute und Schöne und will auch andere ermuntern, es ihm gleich zu tun.
Wenn wir seine Lieder singen, werden wir ins Staunen hineingezogen: Über das grüne Kleid, das sich die Erde in jedem Frühjahr anzieht, die leuchtenden Farben der Blüten, das Sonnenlicht, das auf dem Wasser glitzert, darüber, dass wir haben, was wir zum Leben brauchen und so manches Mal an Leib und Seele bewahrt wurden. „Was sind wir doch? Was haben wir auf dieser ganzen Erd, das uns, o Vater, nicht von dir allein gegeben werd?“ Gott ist für Paul Gerhard keine abstrakte Größe, sondern ein „Du“, ein Gegenüber, der Schöpfer und der Erhalter des Lebens. Aus dem Vertrauen zu ihm schöpft er Lebensenergie.
„Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“, das begleitet uns als Wochenspruch durch die nächste Woche. Ein Aufruf zum Loben. Wer lobt, gibt dem Guten Aufmerksamkeit und schätzt es wert. Dabei braucht Gott unser Lob weniger als wir selbst. Der Kirchenvater Augustinus schrieb: „Sieh also zu, wie du dich Tag um Tag innig am Herrn freuen kannst, denn dein Gott entlässt dich nicht, auch wenn dir etwas Trübes begegnet.“
Die Autorin: Kerstin Baderschneider ist seit Dezember 2019 Dekanin für die rund 20 000 Gemeindeglieder in den 21 Kirchengemeinden und 18 Pfarreien im Dekanat Kitzingen.