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Kitzingen
Wie der Kitzinger Hauptamtsleiter nach Kathmandu radelte
Der Trip seines Lebens und immer am Limit: Ralph Hartner ist auf dem Friendship Highway von Tibet nach Nepal gefahren - mit dem Fahrrad. Über eine Herausforderung im Sattel.
„Biking on the Moon – offroad auf 5000 Metern Höhe.
Foto: Ralph Hartner | „Biking on the Moon – offroad auf 5000 Metern Höhe.
Claudia Linz
 |  aktualisiert: 09.01.2020 02:10 Uhr

You're strong, take your time!“ Immer wieder spornt Songa, ein Nepali, den Deutschen an. 23 Kilometer geht es nur bergauf. Die Luft in fast 5000 Metern Höhe ist so dünn, dass Ralph Hartner zum Trinken anhalten muss. Was dem 59-jährigen Kitzinger in solchen Momenten am Limit hilft, ist der Gedanke an den einbeinigen Rikscha-Fahrer, dem er vor Tourbeginn begegnete. „Wenn jemand mit einer solchen Einschränkung sein Leben meistert, indem er Personen und ganze Stapel von Paketen befördert, dann kann ich mit zwei gesunden Beinen doch wohl jeden noch so hohen Berg hinauf radeln.“

Ralph Hartner mit Songa, dem nepalesischen Guide.
Foto: Ralph Hartner | Ralph Hartner mit Songa, dem nepalesischen Guide.

Zehn Jahre vorher: Ralph Hartner liest in einer Zeitschrift von geführten Fahrradreisen auf dem Friendship Highway von Tibet nach Nepal. Sofort ist er fasziniert von der Route, verbindet sie doch seine zwei Leidenschaften miteinander: Sport und fremde Kulturen. „Je exotischer, desto besser.“ Der Gedanke lässt Hartner, Hauptamtsleiter im Kitzinger Rathaus, nicht mehr los. Das höchste Gebirge der Erde wird für ihn zum Sehnsuchtsort, obwohl er schon zweimal zum Trekking dort war. Im Winter 2018 bucht er schließlich den Trip bei einer Agentur in Kathmandu. Und beginnt, sich vorzubereiten.

Vorbereitung im Fitnessstudio – und in den Weinbergen im Landkreis

Zwei oder drei Mal pro Woche geht er ins Fitnessstudio und ist „auf dem Spinning-Rad in Gedanken immer im Himalaya“. Zwei Mal pro Woche müht sich der Hauptamtsleiter noch vor Arbeitsbeginn den Schwanberg hinauf. Abends und an den Wochenenden radelt er durch die Weinberge und in den Steigerwald. Immer besser meistert er den „Kniebrecher“ in Castell, den anspruchsvollsten Anstieg, den der Landkreis Kitzingen zu bieten hat, und gelangt in immer größeren Gängen nach oben.

So kommen im Laufe der Monate fast 3000 Kilometer zusammen – und „die wenigsten führten am Main entlang“. Weil er nicht so viel Zeit gehabt habe, „musste das Training zu spüren sein“, meint Hartner. Irgendwann verzichtete er auf Alkohol und Süßigkeiten und nahm schon vor der Tour fünf Kilogramm ab.

Als es ernst wird, zahlt sich das aus. „Take a rest, eat and drink, you can do it!“ Wieder ist es Songa, der dem Kitzinger Mut macht. Drei Pausen und mehrere Energieriegel später hat sich Ralph Hartner auch die letzten fünf Kilometern der Tagesetappe hoch gestrampelt. Der Marathon, den er als junger Mann lief – ein Klacks im Vergleich zu den Strapazen im Himalaya. „Nach der Feuerprobe im Juli auf den 2450 Meter hohen Flüelapass in Davos habe ich mich gewappnet gefühlt“, meint Hartner rückblickend. Die 1000 Höhenmeter dort habe er recht locker genommen. Doch jetzt weiß er: Sie sind „kein Vergleich“.

„Aufgeben war zu keiner Zeit eine Option.“
Ralph Hartner über seine Fahrt im Himalaya

„Ein Anstieg von 4200 auf 5200 Metern Höhe ist unglaublich viel schwerer.“ Sechs Mal überqueren Songa und er 5000er-Pässe. „Aufgeben war zu keiner Zeit eine Option.“ Songa hat eine Engelsgeduld und drängt nie. Er hat Stoffschuhe an den Füßen und trägt keine Funktionskleidung. In Kathmandu angekommen, wird ihm Hartner seine Klickschuhe fürs Fahrrad und mehrere Kleidungsstücke schenken.

Anstrengung pur - zum Trinken muss der Radfahrer aus Deutschland anhalten.  
Foto: Ralph Hartner | Anstrengung pur - zum Trinken muss der Radfahrer aus Deutschland anhalten.  

Die drei Australier, zwei von ihnen Frauen, und der Japaner, die die anspruchsvolle Tour ebenfalls gebucht haben, radeln meistens einige Kilometer voraus. Alle vier sind Ironman-Athleten. Anfangs in kleinen Hotels, später in Camps trifft man sich mittags und abends wieder. „Meistens hatte die Crew, die die Tour begleitete, die Zelte schon aufgestellt, gekocht und wir mussten uns nur noch an den mit Tischtuch und heißer Suppe gedeckten Tisch setzen“, erzählt Hartner vom wohltuenden Anblick nach den Höhen und Tiefen des Tages. Es gibt Zelte zum Übernachten, aber auch ein Duschzelt mit einem 50-Liter-Bottich heißen Wassers samt Schöpfkelle, ein Toilettenzelt, ein Küchenzelt und ein Speisezelt.

Dreimal am Tag wird Warmes aufgetischt. Morgens Porridge, Eier und tibetischer, salziger Buttertee, mittags und abends Suppen, Nudeln und Reis. „Ich habe so viel gefuttert wie noch nie in meinem Leben und trotzdem weitere sechs Kilogramm abgenommen“, erzählt Hartner.

Einmal kommen Nomaden in dem dünn besiedelten Gelände zu den Zelten. Sie sind neugierig, schauen sich alles an und erzählen bereitwillig von ihrem Leben. Die Touristen erfahren, dass die Familie zu neunt im Zelt wohnt, Yakdung als Brennmaterial zum Kochen sammelt und ihren Kindern den Schulbesuch ermöglichen möchte, diese aber vor Einsamkeit nicht alleine dort bleiben wollen.

Die Biker vor dem Potala, dem Sommerpalast des im Exil lebenden Dalai Lama.
Foto: Ralph Hartner | Die Biker vor dem Potala, dem Sommerpalast des im Exil lebenden Dalai Lama.

Die Begegnungen bleiben dem Kitzinger im Gedächtnis. Mehr noch aber schwärmt er von der unendlichen Weite des Landes. Sie hat ihn schon während der dreitägigen Akklimatisierung auf 3700 Metern Höhe in Lhasa begeistert. „Der Horizont in Tibet ist endlos. Ich konnte mich während der ganzen Reise nicht daran satt sehen.“


1150 Kilometer mit zehrenden Anstiegen und gefährliche Abfahrten

Tagelang verläuft die Route durch das tibetische Hochland auf durchschnittlich 4500 Metern Höhe. 1150 Kilometer teilen sich in 15 Etappen von 60 bis 100 Kilometern pro Tag. Kräfte zehrende Aufstiege und rasante, teils gefährliche Abfahrten wechseln sich ab. Am Wegesrand liegen Achttausender wie der Cho Oyu, der Makalu und der Mount-Everest mit ihren schneebedeckten Gipfeln sowie viele Sechs- und Siebentausender. Mit dem Rad geht es zum 5200 Meter hohen Mount Everest Basecamp, von dem Reinhold Messner 1980 den Aufstieg ohne Sauerstoff wagte.

46 endlose Serpentinen hoch, 64 rasant wieder runter: Ralph Hartner am Pang La-Pass auf 5198 Metern Höhe. Im Hintergrund ist die Straße zu sehen. 
Foto: Songa | 46 endlose Serpentinen hoch, 64 rasant wieder runter: Ralph Hartner am Pang La-Pass auf 5198 Metern Höhe. Im Hintergrund ist die Straße zu sehen. 

Die Radtouristen begegnen Wildpferden, fahren entlang tosender Flüsse, besuchen das Kloster Rongbuk und baden in eiskalten Gletscherseen. „Die Sonne in 4000 Metern ist so stark, dass sie wärmt, obwohl das Thermometer maximal zehn bis 12 Grad anzeigt“, berichtet der Kitzinger. „Man hätte sich dann nackt ausziehen können, ohne zu frieren.“ Nachts dagegen sei es trotz des guten Schlafsacks „alles andere als kuschelig“ gewesen. Und am Everest Base Camp auf 5200 Metern Höhe „bei Frost bitterkalt.“

Ralph Hartner auf dem Weg von Lhasa nach Kathmandu: angekommen im Mount Everest Basecamp. Qomolangma heißt der höchste Berg der Erde auf tibetisch. 
Foto: Songa | Ralph Hartner auf dem Weg von Lhasa nach Kathmandu: angekommen im Mount Everest Basecamp. Qomolangma heißt der höchste Berg der Erde auf tibetisch. 

Nach 16 Tagen erreichen die Fahrradfahrer die Grenze nach Nepal. Ein Erdrutsch und Schlamm verhindern die Weiterfahrt neben dem schwindelerregenden Abhang. Songa organisiert einen Bus, die Crew trägt auf dem schmalen Pfad Gepäckstück für Gepäckstück auf die andere Seite. Nach einer abenteuerlichen Busfahrt zwischen steilen Felsen und tiefen Schluchten ist Ralph Hartner am Ziel.
Nach 15 Etappen am Ziel – und im Fahrzeuggewimmel Kathmandus

„Attitude is everything. Believe in yourself. Never give up.“
Lebensweisheit in Kathmandu

Nach der Einsamkeit in den Bergen jetzt quirliges Hauptstadtleben. Staub, Smog, hupende Autos. Stupas mit Gebetsfähnchen. Hindus, die ihre Leichname am Fluss öffentlich verbrennen. Ein Menschen- und Fahrzeuggewimmel in den Einkaufsstraßen. Unter die schlechte Luft mischt sich der Duft von Curry und Koriander. Arme, bettelnde und oft schrecklich verkrüppelte Menschen kauern am Straßenrand, alte Frauen schleppen schwere Lasten für das Allernötigste.

„Dort wurde mir einmal mehr bewusst, wie dankbar ich für mein privilegiertes Leben sein kann“, sagt der Vater von drei erwachsenen Söhnen. Im Schaufenster eines Trekking-Anbieters in Kathmandu entdeckt er ein Schild mit einer Lebensweisheit, die ihn erneut an den einbeinigen Rikscha-Fahrer erinnert. Und die die anstrengende und bereichernde Reise von Tibet nach Nepal unvergessen machen soll. Nach seiner Rückkehr nach Kitzingen schreibt er sie mit Kreide an die Tafel in der Küche: „Attitude is everything. Believe in yourself. Never give up.“ – „Einstellung ist alles. Glaube an dich. Gib niemals auf.“

 
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