
Sofort klappt es mit einem Gesprächstermin nicht. „Ich muss erst noch Klausuren korrigieren“, sagt Dr. Werner Knaier. Die Antwort des ehemaligen Wiesentheider Bürgermeisters lässt aufhorchen. Ein paar Tage später hat er Zeit für ein längeres Telefonat – und für einen Blick zurück auf ein Jahr, das für eine Niederlage und einen Neuanfang steht.
15. März 2020. Was er an diesem Tag gemacht hat, weiß Dr. Werner Knaier noch genau. Und er wird es auch in vielen Jahren noch wissen. Es war der Sonntag, an dem die Wiesentheider darüber entschieden, wer in den nächsten sechs Jahren die Geschicke der Marktgemeinde leiten wird. Dass es kein Erdrutschsieg für den Amtsinhaber werden würde, war klar. Die „Salatfabrik“ hatte den Ort gespalten, die Debatte darüber, ob in der Gemeinde auf über 17 Hektar eine gläserne Landschaft zur Salatzüchtung entstehen sollte. Trotzdem ist Werner Knaier voller Zuversicht in die Wahl gegangen. Knapp könnte es werden, damit hat er gerechnet. Das war es am Ende wirklich, allerdings anders als erwartet. Gegenkandidat Klaus Köhler bekam bei einer Wahlbeteiligung von 64 Prozent – 2014 war sie noch bei über 80 Prozent gelegen – von 2478 abgegebenen Stimmen zwölf Stimmen mehr. Knaier verlor nach zwölf Jahren seinen „Traumjob“.
Mit Enttäuschung aus dem Amt geschieden, aber nicht im Groll
Über Erfolge zu sprechen, ist leicht. Läuft etwas nicht so wie erwartet, tut man sich schwerer. Trotzdem steht der Wiesentheider auf Nachfrage für einen öffentlichen Rückblick zur Verfügung. Weil er zwar mit Enttäuschung aus dem Amt geschieden ist, aber nicht im Groll. Er hat noch am Wahlabend seinem Nachfolger gratuliert. Er habe Klaus Köhler signalisiert, dass er jederzeit zur Verfügung stehe, wenn der neue Bürgermeister Fragen habe. „Manchmal geht es mit einem Anruf ja schneller, als wenn man lange in den Dateien oder Aktenordnern sucht.“ Köhler habe das Angebot nicht angenommen, sagt Knaier, was aber nicht daran liege, dass Zwist zwischen ihnen herrschen würde. „Wir verstehen uns. Unser Verhältnis ist offen und freundlich.“ Zu vielen Mitarbeitern in Rathaus und Bauhof hält er weiter Kontakt. „Nicht, weil ich mich einmischen will, sondern weil wir uns immer gut verstanden haben.“
Fast ein Dreivierteljahr ist seit dem Wahlabend vergangen, der Schreibtisch im Rathaus ist längst geräumt. Ganz ohne Wehmut ging das natürlich nicht. Einmal eine Gemeinde zu führen, das war seit Jugendtagen das Ziel von Werner Knaier. „Meine ganze Vita baut darauf auf.“ Die Ausbildung und berufliche Tätigkeit im Landratsamt, der Besuch des Abendgymnasiums, der gehobene Dienst, das Jurastudium, das Thema der Promotion: „Verwaltungsmodernisierung der Kommunalverwaltung.“ Zwölf Jahre war er im Gemeinderat, dann hatte er es geschafft, sein Hobby zum Beruf zu machen: Im Mai 2008 trat er das Amt des Bürgermeisters an. 2014 folgte eine zweite Amtsperiode, 2020 war plötzlich Schluss. Dabei hätte er so gerne noch die angestoßenen Projekte mitgestaltet und abgeschlossen. Gerne noch viel für den Ort erreicht. Als Mitglied des Gemeinderates hätte er das tun können. Aber er trat das errungene Mandat nicht an. „Ich will nicht der ewige Besserwisser sein“, sagt er. Etwas anderes aber sei man als ehemaliger Bürgermeister nicht. „Sagt man nichts im Gemeinderat, heißt es, man hätte doch wohl was sagen können. Sagt man was, heißt es, man wisse alles besser.“ Wer Werner Knaier kennt, der weiß: Nichts sagen ist nicht sein Ding. Damit wäre er, dessen ist er sich bewusst, für manchen im Gemeinderat eben jener Besserwisser gewesen. „Es gäbe Kritiker, die sagen würden, der hat wohl nicht gemerkt, dass er nicht mehr Bürgermeister ist.“ Deshalb steht er auch heute noch zur Entscheidung, das Mandat nicht anzutreten. „Ich bin ja trotzdem noch Wiesentheider. Ich bin ja ehrenamtlich noch im Ort aktiv.“
Projekte zu sehen, die er selbst vorantreiben wollte, ist schwer
Der riesige Zeitaufwand aber ist weg. Die Termine am Abend, am Wochenende, im Urlaub. Eine Erleichterung? „Für meine Frau ja“, sagt Werner Knaier. Die Familie, sie muss immer hintenanstehen, wenn einer seinen Job „zu 150 Prozent“ machen will. Für sich selbst tut er sich nicht leicht mit der Antwort. Nach kurzem Zögern sagt er: „Ich sehe es nicht als Erleichterung, weil ich mein Amt mit Herzblut ausgeübt habe. Ich bin ja Bürgermeister geworden, weil ich wollte, nicht weil ich musste.“
Dieses „Herzblut“ hat er durch die Niederlage nicht verloren. Schaut Knaier auf seine Amtszeit zurück, spricht er über die Entwicklung der Gemeinde, dann redet er fast ohne Punkt und Komma. „Wenn ich zu viel rede, müssen Sie es sagen“, streut er zwischen Erklärungen über den Bau der ersten Kinderkrippe im Landkreis („inzwischen müssen die fünf Gruppen schon wieder erweitert werden“), den Mehrgenerationenplatz, die Städtebauförderung, das starke Anwachsen der Steuerkraft („Platz 3 von 31 Gemeinden im Landkreis“), 40 Millionen Investitionen bei 25 Millionen Fördergeldern, Ausbau der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze um 30 Prozent... zack, zack, zack geht es. Um fast ohne Pause auf das zu kommen, was in seiner Amtszeit angestoßen, aber nicht vollendet wurde: Ausbau Balthasar-Neumann-Straße/Schlossplatz, Schulsanierung, Bau der Entlastungsstraße, Sanierung der Kläranlage, sozialer Wohnungsbau am Marienplatz.... „Es ist schwer, wenn man Projekte sieht, und sie selbst nicht mehr mit vorantreiben kann“, sagt Werner Knaier. „Das ist ja nicht, wie wenn man eine Jacke auszieht und sie weglegt.“
Sie könnten es nicht verstehen, dass er sein Amt verloren habe – diesen Satz hat der Wiesentheider direkt nach der Wahl oft gehört. „Manche haben mitleidig getan. Aber das war mir nicht recht“, sagt der 54-Jährige. Denn wer sich einer Wahl stelle, müsse damit rechnen, dass er womöglich nicht gewinnt. Ironische oder gar schadenfrohe Kommentare habe es überhaupt nicht gegeben. Und heute sagen ihm viele Leute, er sehe gesünder, erholter, besser aus als zu seiner Amtszeit. Er merke selbst, dass es für den Körper jetzt viel besser sei als zur Zeit als „Bürgermeister rund um die Uhr“, erklärt er – um sofort nachzuschieben: „Obwohl ich es nie als Stress empfunden habe. Mein Wahlspruch war immer, ich habe keinen Stress, sondern nur viel Arbeit.“ Eine Tür schließt sich, eine andere geht auf – nach diesem Motto hat sich Werner Knaier eine neue Tätigkeit gesucht. In die Rechtsanwaltskanzlei, aus der er bei der Wahl des Bürgermeisters ausgestiegen war, ist er nicht zurückgekehrt. Er hätte sich neu in gesetzliche Änderungen und die Rechtssprechung der letzten zwölf Jahre einarbeiten, einen neuen Mandantenkreis aufbauen müssen. Stattdessen ist er jetzt freiberuflicher Dozent an der Verwaltungsschule und der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, lehrt Verwaltungs- und Kommunalrecht. „Das ist eine Herausforderung, die mir viel Spaß macht.“ Denn wenn er etwas mache, sagt der Wiesentheider, dann immer mit viel Engagement und Freude. Was nicht bedeutet, dass die Tür zur Kommunalpolitik für ihn geschlossen ist. Im Kreistag sitzt er nach wie vor, ist Vorsitzender der CSU-Fraktion. Eine Rückkehr in ein weiteres politisches Amt schließt er nicht aus. „Man muss abwarten, was die Zeit mit sich bringt. Ich bin erst 54 Jahre alt.“