Die Situation ist alltäglich – und doch kommt sie jedes Mal aufs Neue unerwartet: Eine Person bricht auf der Straße zusammen, bleibt bewusstlos liegen. Passanten eilen herbei und versuchen zu helfen. Klar ist: Es wird schnellstmöglich professionelle Hilfe gebraucht. Doch wer hilft eigentlich?
Ob Werktag oder Feiertag – in den Rettungswachen Kitzingen, Wiesentheid und Volkach des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) ist in den Morgenstunden ab 6.30 Uhr der Rhythmus immer der Gleiche: Die Tagschicht löst die Nachtschicht ab und übernimmt den bereitstehenden Rettungswagen. In Volkach beginnen an diesem Tag die Sanitäter Matthias Heckelt und Walter Günther ihren Dienst. Heckelt ist Rettungsassistent und hauptberuflich beim Roten Kreuz. Er ist zugleich der Wachleiter in Volkach. Günther ist ehrenamtlicher Sanitäter und hat sich über die Jahre hinweg im Rettungsdienst freiwillig weitergebildet.
Direkter Draht zur Leitstelle
Zusammen bilden sie ein erfahrenes Team, kennen den Rettungsdienst mit all seinen Facetten seit Jahrzehnten. Routiniert wird das Fahrzeug kontrolliert: Funktioniert das EKG-Gerät? Hat das Beatmungsgerät noch genügend Sauerstoff? Sind die Medikamente komplett? Für alle Maßnahmen gibt es eine Checkliste, die genau durchgegangen werden muss. Nichts darf übersehen werden. „Jeder kleinste Fehler könnte lebensbedrohlich werden,“ erklärt Matthias Heckelt. Mit der morgendlichen Ruhe ist es bald vorbei. Kaum sind die letzten Überprüfungen abgeschlossen, gibt ein elektronischer Melder ein durchdringendes Signal ab. Dann kommt die Durchsage: „Alarm für den Rettungswagen Volkach!“ Jetzt geht alles blitzschnell. In weniger als einer Minute ist der Rettungswagen einsatzklar; mit Blaulicht und Martinshorn verlässt er die Wache.
Auf der Kreisstraße eines Volkacher Ortsteils ist ein Auto in den Straßengraben geschleudert. Ersthelfer sind vor Ort, haben die Notrufnummer 112 gewählt. Sie sind direkt mit der Rettungsleitstelle in Würzburg verbunden. Dort laufen alle Notruf- und Brandmeldungen aus den Landkreisen Kitzingen, Würzburg und Main-Spessart sowie dem Stadtgebiet Würzburg zentral auf. Mehrere Mitarbeiter, Disponenten genannt, betreuen an speziellen Einsatztischen die Land- und Stadtbereiche.
24 Stunden dienstbereit
Wenn eine Notfallmeldung eingeht, zeigt der Computer in Sekundenschnelle das geeignetste und am schnellsten verfügbare Rettungsmittel an. Beispielsweise entscheidet der Disponent anhand der Computerdaten auch, ob der Rettungshubschrauber eingesetzt wird und welche Feuerwehreinheiten gegebenenfalls ausrücken müssen.
Das Team des Rettungswagens ist mittlerweile am Einsatzort. Der alleine im Unfallfahrzeug sitzende Fahrer hat offensichtlich während der Fahrt einen Schwächeanfall bekommen und ist dadurch in den Straßengraben gerutscht. Während ein Sanitäter bei dem Patienten bleibt und eine erste Diagnose erstellt, hat der zweite Mann die fahrbare Trage aus dem Rettungswagen geholt. Es dauert nur kurz, bis der Patient im Rettungswagen weiterbehandelt werden kann. Der Notarzt ist inzwischen eingetroffen. Er ist durch die Leitstelle alarmiert worden, da von Lebensgefahr ausgegangen wurde. Der Patient ist inzwischen gut versorgt, das Rettungsteam arbeitet routiniert. Die gesundheitliche Situation wird als „stabil“ bewertet. Der Arzt nimmt Kontakt mit der Leitstelle auf und bespricht mit dem Disponenten, in welche Klinik der Patient gefahren werden kann.
Denn es ist nicht immer möglich, das nächste geeignete Krankenhaus anzufahren, da dort unter Umständen keine freien Kapazitäten vorhanden sind. Hierzu hat die Leitstelle eine ständig aktualisierte Liste über die Aufnahmekapazitäten aller Krankenhäuser des Dienstbereichs. Der Patient hat Glück: Das Krankenhaus in Kitzingen hat „nicht abgemeldet“ wie es im Rettungsjargon heißt.
Da durch den Notfall in Volkach kein Rettungswagen sofort verfügbar ist, beordert die Leitstelle in Würzburg den Rettungswagen aus Wiesentheid in den Bereich nach Laub. Das ist, geografisch gesehen, die halbe Strecke zwischen den beiden Standorten. Somit teilt sich auch die Anfahrtszeit des Rettungswagens bei möglichen weiteren Notfällen. Solche Positionswechsel sind beim Rettungspersonal nicht beliebt, da man oft stundenlang in seinem Fahrzeug auf einem Parkplatz sitzen muss – sei es im bitterkalten Winter oder an heißen Sommertagen. „Aber es ist halt notwendig“, sagt Heckelt.
Was passiert, wenn alle Fahrzeuge der drei Wachen im Einsatz sind und ein weiterer Notfall passiert? „Dies allein ist noch kein Problem“, erklärt Sven Appold, der Leiter des Rettungsdienstes im Kreisverband Kitzingen. Grundsätzlich sind in den Wachen Volkach und Wiesentheid jeweils ein Rettungswagen 24 Stunden dienstbereit. In Kitzingen sind es tagsüber sogar zwei Rettungswagen.
Sind mehrere Fahrzeuge im Einsatz, entscheidet die Leitstelle, an welchem Absicherungspunkt der nächste freie Rettungswagen positioniert wird. Hörblach zum Beispiel wird ausgewählt, wenn nur noch ein Rettungswagen einsatzklar ist. Von dort aus kann der gesamte Landkreis zeitlich am schnellsten erreicht werden. Ist auch dieser letzte Rettungswagen eingesetzt, ist das laut Sven Appold aber noch nicht das Ende der Rettungskette. Denn an jedem der drei Standorte gibt es sogenannte Unterstützungsgruppen Rettungsdienst. Dort können ehrenamtliche Sanitäter binnen kurzer Zeit einen weiteren Wagen besetzen. Alarmiert werden sie ebenfalls über die Rettungsleitstelle. Zudem gibt es Nachbardienststellen wie Gerolzhofen oder Würzburg, die gegebenenfalls schnell mit einem Rettungswagen aushelfen können.
Sollte ein größeres Unglück geschehen, kann zudem an jedem Standort eine „Schnelleinsatzgruppe“ alarmiert werden, die vor Ort erste Betreuungsmaßnahmen einleitet. „Wie gut das in Bayern funktioniert, hat erst kürzlich das schreckliche Zugunglück in Bad Aibling gezeigt, so Appold.
Die Besatzung des Volkacher Rettungswagens hatte inzwischen mehrere Einsätze. Ihre Wache haben sie seit dem Morgen nicht gesehen. Dann, am frühen Nachmittag, scheint es, dass sie einrücken könnten. Die Leitstelle erteilt per Funk den Auftrag: „Zurück zur Unterkunft“. Als die beiden kurz vor Volkach sind, wird der Wiesentheider Rettungswagen zu einem Einsatz gerufen – und prompt kommt für Heckelt und Günther die Anweisung: „Zur Gebietsabsicherung nach Laub.“
Heckelt hat es irgendwie geahnt. Ob heute pünktlich Feierabend ist? Das weiß keiner so genau. Aber das ist zweitrangig. Anderen zu helfen ist der Job – und nur der zählt.