Eine junge Frau liegt im Krankenhaus, ihre Diagnose: Kopftumor. Gisela Ott besucht sie, um ihr Beistand zu leisten. Sieht, dass die Patientin im gleichen Alter ist wie eine ihrer Töchter. Schluckt. „Da stößt man schon an seine Grenzen“, sagt sie.
Dennoch ist die heute 61-Jährige seit 24 Jahren ehrenamtlich für den Hospizverein Würzburg tätig, seit 1994 in der Regionalgruppe Kitzingen. Und während die stillen Feiertage im November – angefangen bei Allerheiligen über den morgigen Volkstrauertag bis hin zum Totensonntag – für viele die einzigen Berührungspunkte mit diesem Thema darstellen, gehören Trauer und Tod für Gisela Ott zum Alltag dazu.
Zahlreiche Menschen hat sie schon durch die letzten Tage ihres Lebens begleitet. Sich um Trauernde gekümmert, die Freunde oder Familienmitglieder verloren haben oder kurz davor stehen. Frauen und Männer in einer Ausnahmesituation. Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus: Niedergeschlagenheit, Schock, Schuldgefühle, Wut.
Ehrlichkeit und Toleranz sind wichtig
Um einen Zugang zu ihnen zu finden, sind Gisela Ott zwei Dinge wichtig: Ehrlichkeit und Toleranz. „Manche Meinungen muss man einfach akzeptieren. Dasein, aushalten, zuhören“, sagt sie. Denn ein offenes Ohr sei das, was viele Trauernde brauchten. „Wir nehmen uns Zeit. Das ist etwas, was die meisten bei einem Therapeuten vermissen.“
Denn die Trauerphase ist nicht nach zehn Sitzungen a 45 Minuten vorbei. „Trauer ist keine Krankheit, sondern eine natürliche Reaktion, die Zeit und Raum braucht.“ Jeder habe das Recht, sich erst einmal aus dem Alltag auszuklinken. Auszusprechen, dass es ihm nicht gut geht. Und sich Unterstützung zu suchen. Denn Bekannte und Freunde würden sich erfahrungsgemäß schon nach kurzer Zeit zurückziehen. Entweder, weil sie selbst trauern. Oder weil sie im Umgang mit Trauernden unsicher sind, nicht wissen, wie sie mit ihnen reden sollen.
Der Schritt, sich an Hospizhelfer zu wenden, sei für viele Betroffene jedoch schwierig. „Trauer und Tod sind auf jeden Fall noch Tabuthemen“, sagt Ott. Die meisten wollten sofort wieder funktionieren, ohne Hilfe klarkommen.
Lassen sie sich dann doch auf eine Begleitung ein, merkten sie, wie sehr ihnen das helfe. Dass sie mit ihrem Anliegen schon früher hätten kommen müssen.
Ein falsches Wort kann schon zu viel sein
Gisela Ott ist gelernte Krankenschwester. In ihrem Beruf hat sie einen sensibleren und intensiveren Umgang mit Sterbenden oft vermisst. Als sie 1991 von der Gründung des Hospizvereins Würzburg las, engagierte sie sich.
Ein halbes Jahr lang nahm sie einmal wöchentlich an einer Schulung teil. Um auch Familie und Freunden von Verstorbenen helfen zu können, machte sie wenig später noch eine Fortbildung zur Trauerbegleiterin.
„Selbst wenn man sich an die Regeln aus den Seminaren hält, kann in so einem sensiblen Bereich immer etwas schieflaufen“, berichtet Ott. Einmal habe sie einen Mann gefragt, wie es ihm gehe. Ungehalten antwortete er, wie es ihm schon gehen sollte, kurz nachdem seine Frau gestorben ist. „Ich habe gelernt, meine Fragen anders zu stellen“, sagt sie. „Wie geht es Ihnen heute?“
Ständig mit Tod und Trauer konfrontiert zu sein, stellt für die Mutter von fünf Kindern keine Belastung dar. Als Ehrenamtliche hat sie den Vorteil, sich nach einer schweren Begleitung auch mal eine Auszeit nehmen zu können. Denn ihre Aufgabe als Hospizhelferin ist es auch, sich selbst zu schützen. Abstand zu wahren. Mitleiden bringt nichts – stattdessen braucht es ein angepasstes Mitgefühl.
Hospizhelfer stehen unter Schweigepflicht
Manchmal agieren sie und die anderen Begleiter auch als Vermittler. „Angehörige und Schwerkranke unterhalten sich nur wenig über Tatsachen. Erst spät wird zum Beispiel über den Tod gesprochen“, erzählt Ott. Aber auch diese Fakten müssen benannt werden. Schonend zwar. Aber unangenehme Themen zu meiden, bringe niemandem etwas.
Genau wie Ärzte stehen die Helfer unter Schweigepflicht. Irgendwo muss man das, was man gehört hat, aber loswerden. Der Verein rät deshalb allen Aktiven, während einer Begleitung zur Supervision (Beratung) nach Würzburg zu gehen – das ist zwei Mal im Monat möglich. Jedes halbe Jahr kommen Supervisoren auch direkt in die Regionalgruppen. Die Aussprache mit ihnen tue gut, findet die Mainbernheimerin. In den Gesprächen werden Namen von Trauernden aber ebenfalls nie genannt.
„Natürlich gehen mir manche Geschichten nah“, sagt Ott. Denn in der Hospizarbeit gebe es keine Routine, immer wieder stoße sie an ihre persönlichen Grenzen. „Man bewahrt sich einen gewissen Grad an Betroffenheit. Da ist man glaubwürdiger und umso dankbarer für das, was man hat.“