Benzinhahn auf, Zündung und Ton ab: Mit rauem Rasenmäher-Sound erwacht die Rarität in der Garage von Winfried Heinkel – ein Heinkel-Kabinenroller. Der 66-Jährige Gnodstadter und sein schnuckeliges Schmuckstück auf drei schmalen Reifen sind ein Hingucker, auf einer Probefahrt und bald beim Dorffest im Ort. Da gibt's vom 26. bis 29. Mai ein Jubiläumstreffen der Kabinen. Denn der Einzylinder-Viertakter lief vor genau 60 Jahren erstmals vom Band.
Zwischengas, der erste von vier Gängen rastet hörbar ein. Und ab geht's. Mit entschleunigter Beschleunigung. Die hat gleich an der ersten Steigung aus Gnodstadt raus, Richtung B 13, ihre Bewährungsprobe. Zwei Mann auf dem schmalen Bänklein, steile Auffahrt. Mehr als Tempo 30 ist nicht drin. 9,2 PS gehen hörbar an ihre Leistungsgrenze, der Wagen vibriert heftig, aber er packt den Berg.
Tempo 60 ist erreicht. Heinkel packt das Steuer fester. Geradeauslauf ist nicht die Stärke seiner „Kabine“. Das merkte der Rentner vor sieben Jahren schon bei seiner allerersten Ausfahrt. 290 Kilometer an einem Tag: „Da waren beide Arme kaputt.“ Der zweieinhalb Meter kurze Autozwerg ist halt nichts für Warmduscher. Null Knautschzone. Vorne ist nur die nach links aufschwingende Türe. Mit viel freiem Blick. Beispielsweise auf einen überholenden Riesenlaster, dessen Schatten den Kabinenroller fast erdrückt.
Der Heinkel ist ein Straßentester. Die Fahrbahn meldet ihren Zustand fast ungefedert an den Po. Ob kleine Rille oder größerer Hubbel – das Dreirad von 1957 leitet alles in den Innenraum. Der ist, man mag's fast nicht glauben, für vier Leute zugelassen. Zwei Erwachsene vorne, zwei Kinder hinten. Die sitzen auf dem 173 Kubikzentimeter großen Motor.
Die Verbindung des 66-Jährigen mit seiner Kabine ist eng, war aber keine Liebesheirat. „Ich habe von einem Opel GT geträumt“. So einen Sportflitzer hatte Heinkel früher, wollte ihn auch als Oldtimer. Ein naher Verwandter drehte dann die Geschichte. Wegen des Heinkel-Clubs. In dem wollte die Autobauer-Familie Heinkel wenigstens einen Heinkel sehen. Vorschlag des Verwandten: „Kauf dir einen Heinkel-Kabinenroller.“
Winfried Heinkel – übrigens mit der Autobauerfamilie weder verwandt noch verschwägert – spielt mit und schaltete 1995 eine Anzeige. Ein Heinkel-Besitzer aus der Nähe von Köln meldet sich, der Gnodstadter und seine Frau fahren hin und kaufen, „ohne zu wissen, was auf uns zukommt“. Für 3800 Mark (Neupreis: 2750 Mark) wechselt das Auto den Besitzer.
Der Zustand der Kabine, die inzwischen 95 000 Kilometer auf ihrem Motörchen hat, ist damals eher mittelmäßig. Heinkel parkt das neuerworbene Gefährt in diversen Scheunen und macht sich kundig, wie er als Nicht-Schrauber seinen Veteranen in einen Top-Zustand bringen kann. Der Zufall will's: Bei der Oldtimermesse Technorama in Ulm trifft der einstige Edeka-Einkäufer einen zweiten Gnodstadter, Gerhard Kleinschroth.
Der Chef eines Landmaschinenhandels, der auch Oldtimer restauriert, wird zum technischen Beistand.
Die zwei Männer zerlegen das 243 Kilo schwere Kleinauto und bauen es neu auf. Fast ein dreiviertel Jahr lang wird an den Wochenenden geschraubt und gerichtet. Kein billiges Vergnügen: Gut 12 000 Euro steckt Heinkel in rund 20 Jahren in seine Heinkel-Kabine. Auf die ist er stolz: „Ich hab' halt keinen Porsche, aber ich habe eine Kabine.“ Seit der ersten Ausfahrt im Jahr 1999 fährt er mit ihr bis zu 400 Kilometer im Jahr – meist zu Oldtimer-Treffen.
Eine Ausfahrt nach Kassel, wo 2006 der Heinkel-Club den 50. „Geburtstag“ des Kabinenrollers feiert, inspiriert den rüstigen Rentner: „Ich richte den 60. aus“, sagt er damals. Jetzt im Mai wird er sein Versprechen erfüllen. Nur noch 76 Heinkel-Kabinenroller von insgesamt 11 000 deutschlandweit verkauften Fahrzeugen sind heute in Deutschland gemeldet. 16 davon und etliche Roller der Marke sollen an Fronleichnam, am 26. Mai, in Gnodstadt zu sehen sein. Dazu gibt's eine Ausfahrt am Samstag, 28. Mai. Das Dorffest bildet den Rahmen für das große Oldtimertreffen mit 250 bis 300 Fahrzeugen, wie Heinkel erzählt.
Da wird sein Kabinenroller in Himmelblau einer der Hingucker sein. Und sicher auch Hinhörer, wenn Heinkel mit seiner Heinkel – Benzinhahn auf, Zündung an – das Lied vom Einzylinder spielt.
Der Heinkel-Kabinenroller
Kabinenroller: Die Kleinstwagen mit einfacher Technik stammen aus den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als für viele Menschen ein „normales“ Auto nicht erschwinglich war. Hersteller der Gefährte, die häufig mit Motoren aus dem Rollerbau und nur einem Rad im Heck liefen, waren unter anderem BMW (Isetta), Messerschmitt oder eben Heinkel.
Die Geburtsstunde: Im März 1956 gehen die ersten Heinkel-Kabinen in Stuttgart Zuffenhausen in die Serienproduktion. Später produziert die Ernst-Heinkel AG in Speyer. In knapp zwei Jahren produziert das Unternehmen dort – laut Heinkel-Club – rund 11 000 Fahrzeuge. 1958 geht die Produktion nach Irland.
Die ersten Kabinen: Antrieb ist ein überarbeiteter Einzylinder-Rollermotor mit 173 Kubikzentimetern. Das 243 Kilo schwere Gefährt rollt auf drei Rädern. Spitzengeschwindigkeit: 86 Stundenkilometer. Preis: 2750 Mark. Verbrauch: 3,5 Liter Benzin.
Produktion: Rund 25 000 Kabinen wurden laut Heinkel-Club weltweit gebaut. Bis 1958 war Deutschland der Produktionsstandort, später Irland und bis 1964 Südengland. 2000 Kleinstwagen wurden in Lizenz in Südamerika hergestellt. Beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg sind noch 76 Heinkel-Kabinen gemeldet.
Heinkel-Club Deutschland: Der Club, der sich der Erhaltung der seltenen Gefährte verschrieben hat, wurde 1983 gegründet und hat laut Eigendarstellung über 4000 Mitglieder. Der Club kümmert sich besonders um eine Ersatzteilversorgung. mey