Bis heute verbindet Walter Braun (70) aus Nordheim mit Weihnachten die Erinnerungen seines im Jahr 1996 gestorbenen Vaters Alfred Braun. Dieser hat als 32-jähriger Soldat Heiligabend 1941 im Kriegsgefangenenlager Helwan bei Kairo in Ägypten. Sein Sohn, ein Mitarbeiter dieser Redaktion, hat eine Erzählung seines Vaters aufgezeichnet. In diesem Jahr, in dem wegen Corona viele Familien in einem kleineren Kreis als üblich und ohne alle Lieben feiern müssen, gewinnt die Geschichte an Bedeutung und gibt sicherlich Anlass zum Nachdenken und Innehalten, meint der Autor:
"Obwohl in unserem Gefangenenlager in Helwan nahe Kairo nichts, aber auch wirklich nichts auf Weihnachten hindeutete, kreisten an jenem Abend des 24. Dezembers 1941 meine Gedanken all um das, was man in Verbindung mit der Weihnachtszeit bringt. Ich dachte wehmütig an meine Frau und Kinder, die in der Heimat nun vor dem hell erleuchteten Weihnachtsbaum standen und mit Sicherheit beteten, dass ihr Vater doch bald wieder heimkehren möge. All diese Gedanken jagten mir, trotz der hochsommerlichen Temperaturen einen Schauer über den Rücken. Stand ich doch vor einer ungewissen Zukunft, die zu diesem Zeitpunkt alles andere als rosig aussah.
Die Gefangenen trauten ihren Augen kaum
In Gedanken tief versunken, fuhr ich plötzlich hoch, als es außerhalb eines Zeltes, das ich mit anderen Gefangenen teilte, ertönte: 'Sofort antreten!' Vorbei war der kurze Traum, die nackte Wahrheit hatte mich wieder eingeholt. Mit gemischten Gefühlten rafften ich und meine sieben Zeltkollegen uns auf, dem nicht zu überhörenden Befehl der Lagerleitung nachzukommen. Ich traute meinen Augen kaum, als ich mit meinen Kameraden an jenem Platz ankam, der der Lagerleitung tagtäglich als Zählplatz diente.
Auf einem kleinen Podium stand unser Lagersprecher und unmittelbar davor, wir glaubten unseren Augen kaum, stand ein Weihnachtsbaum. Die zirka zwei Meter hohe Fichte war zwar nicht geschmückt und auch die Lichter fehlten. Doch dies war zweitrangig und tat unserer Freude keinen Abbruch. Mit strahlenden Augen vernahmen wir die Worte unseres Lagerleiters, der auf das bevorstehende Weihnachtsfest hinwies. Und ganz ohne vorherige Abstimmung stimmten wir, die deutschen Kriegsgefangenen, ein Lied an, das wir seit unserer frühesten Jugendzeit bestens kannten. So schallte unüberhörbar das Lied 'Stille Nacht, heilige Nacht' an diesem besonderen Abend durch unser Gefangenenlager.
Spontan formierte sich ein Chor
Die weltweit bekannte Melodie ließ auch die englischen Posten auf ihren Wachtürmen keineswegs unberührt. Zumindest für einen kurzen Zeitraum durfte im Gefangenenlager geträumt werden. Es gab zwar keinerlei Geschenke, geschweige etwas Besonderes zu essen oder zu trinken, aber dennoch waren alle rundum zufrieden und hofften auf eine baldige Rückkehr in die Heimat. Ein kleiner Chor, der sich kurzfristig formiert hatte, stimmte noch zusätzlich das Heimatlied 'Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde' an.
Hell glänzten die Sterne, als wir zurück in unsere Zelte schlichen. Jeder mit eigenem Gedanken und viele auch mit Tränen in den Augen, wohl wissend, dass heute in Deutschland 'Weihnachten war' und Millionen von Menschen, ob klein oder groß, das Lied von der stillen heiligen Nacht und vom Frieden auf Erden sangen."
Nur mal so ein Gedanke.