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WÜRZBURG/LANDKREIS KITZINGEN
Vor Gericht: Demenzkranke Seniorin attackiert Tochter mit dem Messer
Woman hand holding big knife       -  Eine demenzkranke, 82-jährige Frau ging im Wahn mit dem Messer auf ihre Tochter los (Symbolbild). Wegen der Tat im Dezember 2021 stand sie nun vor Gericht.
Foto: GETTY IMAGES, Paul Biryukov | Eine demenzkranke, 82-jährige Frau ging im Wahn mit dem Messer auf ihre Tochter los (Symbolbild). Wegen der Tat im Dezember 2021 stand sie nun vor Gericht.
Patrick Wötzel
 |  aktualisiert: 07.07.2022 02:40 Uhr

Zwei Tage lang hat sich die 1. Strafkammer des Würzburger Landgerichts mit der Frage beschäftigt, ob die Allgemeinheit vor einer demenzkranken, 82 Jahre alten Frau aus dem Landkreis Kitzingen geschützt werden muss. Sie hatte im vergangenen Dezember aufgrund von Wahnvorstellungen mit einem großen Küchenmesser auf ihre eigene Tochter eingestochen.

Schon vor Beginn des Verfahrens war klar, dass die Seniorin aufgrund ihrer Erkrankung im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt hat und nicht bestraft werden kann. Daher wurde sie von der Staatsanwaltschaft auch nicht wegen eines versuchten Tötungsdelikts angeklagt. Im sogenannten Sicherungsverfahren ging es nur darum, ob sie dauerhaft in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik untergebracht werden muss.

Eine Woche vor Heiligabend 2021 vermisste die 82-Jährige in ihrer Wohnung eine fünfstellige Summe Bargeld und ging aufgrund ihrer Erkrankung im Wahn davon aus, dass ihre Tochter das Geld entwendet hatte: „Das hat sie nicht zum ersten Mal gemacht; ich hatte keinen Pfennig mehr in der Wohnung“, gab die Beschuldigte nach der Tat beim Ermittlungsrichter zu Protokoll.

Damals war sie noch ansprechbar und konnte Fragen beantworten. Bis zur Verhandlung vor dem Landgericht hat sich die Demenz weiter verschlechtert, so dass die 82-Jährige nichts mehr zur Tat sagen konnte. Ein Sicherungsverfahren kann aber auch bei Verhandlungsunfähigkeit der Beschuldigten durchgeführt werden – das hat der Bundesgerichtshof zuletzt im Februar klargestellt.

„Ich bin ausgeflippt und habe geschimpft wie noch nie“, erzählte die Beschuldigte damals beim Ermittlungsrichter. Deshalb habe sie das Küchenmesser in die Handtasche gesteckt und sei damit zur Wohnung der Tochter in der Nachbarschaft gelaufen. Dort wurde sie vom Schwiegersohn eingelassen, fand die Tochter im Wohnzimmer, nahm das Messer und stach unvermittelt und ohne Vorwarnung auf die 60-Jährige ein, die sich bei der Abwehr zwei ungefährliche Schnittverletzungen zuzog.

Sie rief ihren Ehemann zu Hilfe, der seiner Schwiegermutter das Messer abnehmen konnte und dabei auch leicht verletzt wurde. Wie ausgeprägt die seelischen Wunden bei der Tochter sind, wurde bei ihrer Zeugenaussage deutlich. „Das Schlimme war ihr Gesichtsausdruck, der Hass in den Augen. Ich war doch immer ihr Lieblingskind“, sagte die 60-Jährige.

Das von der Beschuldigten vermisste Geld war nicht von der Tochter entwendet worden: In der Wohnung der Mutter fand ihr Betreuer nach der Tat unter der Matratze 5800 Euro. „Ich verstehe eigentlich nicht, wie sie so etwas von mir denken konnte“, meinte die Tochter, die ihre Mutter als sehr sparsam beschrieb. Überzogene Konten seien undenkbar gewesen, und im Winter habe sie manchmal freiwillig gefroren, weil sie die Heizung nicht einschalten wollte.

In den Monaten vor der Tat hatte die Verkäuferin bereits bemerkt, dass die Erinnerungsfähigkeit ihrer Mutter zusehends nachließ und einfache Tätigkeiten zum Problem wurden. Die 82-Jährige wollte aber nicht zum Arzt gehen – so kam es schließlich zu dem Angriff mit dem Messer: „Der Zweite Weltkrieg war in ihrem Kopf, als wäre es gestern gewesen, aber mit der Gegenwart hatte sie Probleme“, sagte das Opfer. „Als Tochter konnte ich sie doch nicht zwangseinweisen lassen.“

Nach zwei Verhandlungstagen blieb die Frage zu klären, ob von der 82-Jährigen mit hoher Wahrscheinlichkeit in Zukunft ähnlich schwere Straftaten zu erwarten sind. Unabhängig davon, dass sie zusätzlich zur Demenz wegen einer Knöchelverletzung inzwischen im Rollstuhl sitzt und rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen ist, wurde diese Frage vom psychiatrischen Sachverständigen verneint. „Sie ist nicht mehr gefährlich; dazu trägt auch ihr abnehmender körperlicher Zustand bei“, betonte daher Thomas Schuster, der Vorsitzende der 1. Strafkammer.

Die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung war damit vom Tisch. Jetzt geht es darum, dass der Betreuer für die 82-Jährige einen Platz in einer Einrichtung für demenzkranke Menschen findet. Bis dahin kann sie in der gerontopsychiatrischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses in Lohr bleiben.

 
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