Am 14. Februar 1909 stand den Volkachern das Hochwasser bis an die Stadtmauer. Trotzdem herrschte in der Stadt Festtagsstimmung. Nach jahrelangen Bemühungen wurde endlich die Bahnstrecke nach Seligenstadt und damit die schnelle Verbindung Richtung Würzburg eröffnet. Ein jahrelanger Traum ging in Erfüllung, heißt es in einer Pressemitteilung der Interessengemeinschaft Mainschleifenbahn.
Seit 1887 hatten sich ein „Eisenbahn=Comitee“ und der Volkacher Stadtmagistrat um einen Bahnanschluss bemüht. 1897 beschied das in München zuständige Ministerium, dass - falls es überhaupt zu einer Bahn kommen sollte - diese über Seligenstadt, Prosselsheim und Astheim zu führen sei. 1903 schickten die Volkacher wieder eine Petition nach München. Dabei wiesen sie darauf hin, dass die Stadt „in engstem Verkehre mit Würzburg“ stehe: „der ganze Verkehr und Handel der Bevölkerung dieses Landstrichs gravitiert ausschließlich nach Würzburg“.
Zudem hob man die „landschaftliche Schönheit und ihre herrlichen Aussichtspunkte“ hervor. „Die Bahn wäre also auch eine Ausflugsbahn hauptsächlich für Würzburg“ – alles Argumente, die auch 116 Jahre später noch immer so aktuell sind wie damals. Und ähnlich wie in unseren Tagen antwortete das zuständige - 1903 noch königliche – Staatsministerium abwehrend: „Dem Projekte einer Lokalbahn Seligenstadt-Volkach ist eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung nicht abzusprechen. … Dagegen wird sich die Aufnahme des Projektes in den … nächsten Lokalbahngesetzentwurf wohl nicht ermöglichen lassen“.
Die Orte an der Mainschleife ließen sich jedoch nicht beirren, zumal sich Weinbau und Landwirtschaft damals in einer Krise befanden: „Bei jeder Gelegenheit wird von den maßgeblichen Organen Abhilfe versprochen; allein mit Versprechen ist dem Häcker und dem Bauern nicht gedient …; dieselben wollen endlich Taten sehen…“ - Worte, bei denen heute der eine oder andere an das Handeln oder Nichthandeln der Politik angesichts von CO2, Feinstaub und drohenden Dieselfahrverboten denken mag.
Immerhin, die Volkacher blieben hart, an ihrer Spitze der damalige Bürgermeister und Landtagsabgeordnete Johann Baptist Schmitt. Und so konnte dieser schließlich am 18. Juni 1903 um 10.30 Uhr aus dem Münchner Landtag telegrafieren lassen: „Bahnlinie Seligenstadt Volkach genehmigt. Schmitt“. Die Planungen liefen zügig an, 1904 wurden die letzten Details festgelegt. Schmitt konnte den Erfolg seiner Bemühungen jedoch nicht mehr erleben, er starb am 1. Oktober 1906. Aber auf den Tag genau ein Jahr später begannen die Bauarbeiten. Zusammen mit Grunderwerb, Gleisbau, Lokomotiven, Waggons und Betriebsgebäuden kostete alles zusammen schließlich 858 000 Mark, nach heutigem Geld knapp zehn Millionen Euro.
Ausgerüstet war die Bahn seinerzeit mit modernster Technik. Die beiden Stammlokomotiven vom Typ PtL 2/2 – auch „Glaskästen“ genannt - waren die ersten Heißdampfloks, die der renommierte Münchner Lokomotivenhersteller Krauss entwickelt hatte. Im Gegensatz zu den Dampflokomotiven alter Bauart waren sie geradezu „Energiesparloks“. Zudem waren sie noch für den personalsparenden Ein-Mann-Betrieb ausgelegt, eine halbautomatische Feuerung sollte den Heizer ersetzen.
Zunächst pendelte der Zug zwischen Volkach und Seligenstadt dreimal am Tag. Mit Umsteigen betrug die Fahrzeit nach Würzburg damals sensationelle 1 Stunde und 16 Minuten – nur 19 Minuten länger als die Fahrzeit, die 110 Jahre später ein Busreisender zwischen Volkach und dem Würzburger Hauptbahnhof einplanen muss. Zwischen den Kriegen und in den letzten Betriebsjahren gab es sogar direkte Verbindungen nach Würzburg mit Fahrzeiten von nur 53 Minuten.
Schon bald hatte sich in Würzburg herumgesprochen, dass Volkach dank der Bahn ein ideales Ausflugsziel war – und so dauerte es nicht lange, bis der Zug an die Mainschleife das „Säuferbähnle“ genannt wurde. Die Reichsbahn erkannte schnell das damit verbundene Potenzial und fuhr an Samstagen und Sonntagen sogar Spätzüge zurück nach Würzburg. Main und Wein waren es auch, die noch bis in die 1990er Jahre regelmäßig lange Sonderzüge nach Volkach lockten.
Einen ersten großen Rückschlag erlitt die Volkacher Bahnstrecke mit dem Zweiten Weltkrieg und der Sprengung der Mainbrücke bei Kriegsende. Erst 1949 konnte der Personenzugverkehr bis hinüber nach Volkach wieder aufgenommen werden. Schon Ende September 1968 stellte ihn die Bundesbahn wieder ein, diesmal für immer. Viele Pendler wollten damals lieber mit dem eigenen, prestigeträchtigen Kraftfahrzeug in die Arbeit fahren – und die Bahn machte ihnen diese Entscheidung mit mehr als unattraktiven Fahrplänen und alten Waggons auch nicht sonderlich schwer. Um 1978 gab es dann auch Pläne, sogar den Personenzughalt in Seligenstadt aufzugeben.
Güter- und lange Ölzüge rollten aber weiterhin regelmäßig nach Volkach. Industrie, Maintanklager, Baywa und ab 1986 auch die Bundeswehr gehörten zu den treuen Kunden der Bahn. Im Vertrauen auf den Fortbestand des Güterzugverkehrs erneuerte die DB ab 1982 die Schienen zwischen Seligenstadt und Volkach – größere Instandsetzungsarbeiten an der Mainbrücke blieben aber aus. Doch der Güterverkehr ging zurück, das jährliche Defizit für den Streckenunterhalt schwankte zwischen 2800 und 27 000 DM pro Jahr. Als dann wieder eine teuere Brückenrevision anstand, sperrte die Bundesbahn diese mit Ablauf des 30. September 1991 für den Schienenverkehr, aus „technischen Gründen“. Am 28. Mai 1994 wurde die Strecke schließlich komplett stillgelegt – nach gut 85 Betriebsjahren.
Damit hätte eigentlich auch die Streckengeschichte ihr Ende gefunden, rollte seinerzeit doch die letzte große Kahlschlagswelle durch Franken. Ihr fielen fast alle Nebenbahnen zum Opfer, so die Ochsenfurter Gaubahn oder die Strecken nach Bischofsheim, Bad Königshofen und Hofheim. Auch den Auftrag für den Abbruch der Volkacher Strecke hatte die DB bereits vergeben.
Das zweite, damals unerwartete Leben der Volkacher Strecke begann im März 1994. Engagierte Bürger gründeten die „Interessengemeinschaft Mainschleifenbahn“ (IGM). Nach einem ersten Treffen brachte Volkachs damaliger zweiter Bürgermeister Reinhold Reichl mit einem Brief an das Münchner Verkehrsministerium die Dinge ins Rollen. Parallel dazu erarbeitete die IGM mit Unterstützung von Fachleuten ein erstes, fundiertes Reaktivierungskonzept. Gleichzeitig wuchs auch die Zahl namhafter Unterstützer. Zu ihnen gehörten die damaligen Landtagsabgeordneten Franz Brosch (CSU), Volker Hartenstein (Grüne) und Karin Radermacher (SPD) sowie die Bundestagsabgeordneten Michael Glos (CSU) und Frank Hofmann (SPD). Auch der damalige bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu hatte – allerdings nur kurzzeitig - Hoffnungen auf eine Wiederinbetriebnahme der Strecke im Rahmen eines Pilotprojektes gemacht.
Ein vorläufiger Abbaustopp verschaffte der IGM 1995 die entscheidende Atempause. Um zu zeigen, wie moderner SPNV aussehen könnte, schnitten ihre Mitglieder im Sommer 1996 die Trasse behelfsmäßig frei und organisierten am 1. Juni mit dem damals brandneuen Talent-Triebwagen gut besuchte Pendelfahrten zwischen Astheim und dem Würzburger Hauptbahnhof.
Es folgte eine fast endlose Reihe von Gesprächen, bis im Dezember 2000 mit dem endgültigen Freischnitt der Strecke begonnen werden konnte. Ein Jahr später gründete sich das für den Betrieb der Strecke gesetzlich vorgeschriebene Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen, die „Betriebsgesellschaft Mainschleifenbahn“. 2002 gelang es, die Strecke von der DB auf 25 Jahre anzupachten. Nachdem das bayerische Verkehrsministerium und der Landkreis Kitzingen jeweils einen einmaligen Zuschuss von 250 000 DM zugesagt hatten, konnten die restlichen Arbeiten zur betriebsfähigen Wiederherstellung der nun „Mainschleifenbahn“ genannten Strecke vergeben werden.
Insgesamt mussten 4237 ehrenamtliche Arbeitsstunden geleistet werden, bevor am 9. Juni 2003 die neue, alte Bahnlinie den Segen der Behörden erhielt. Seither ist sie als „nicht-staatliche Eisenbahn“ wieder ganz regulär für den öffentlichen Verkehr zugelassen und hat eine Betriebsgenehmigung bis 2052.
Finanziert werden der Erhalt der Strecke und der Fahrzeuge zu 95 Prozent durch Arbeitseinsätze und den Fahrbetrieb des Fördervereins. 2004 hatte dieser seine eigene Schienenbusgarnitur gekauft. Sie fährt seither auf eigenwirtschaftlicher Basis Jahr für Jahr zwischen Mai und Ende Oktober an allen Sonn- und Feiertagen. Die für diesen Tourismusverkehr nötige Infrastruktur ist in den letzten Jahren in Prosselsheim aufgebaut worden. 2011 konnte der Verein die Strecke von der DB kaufen. 2014 wurde der Haltepunkt Astheim an das Brückenhaus vorverlegt und neu gestaltet. Auch wirtschaftlich ist die Mainschleifenbahn schon heute eine kleine Attraktion: alleine ihre von auswärts kommenden Fahrgäste bringen jährlich etwa 200 000 Euro Mehrumsatz in die Region.
Trotzdem hat der Förderverein sein oberstes Vereinsziel nicht vergessen: die Wiederaufnahme eines durchgängigen Schienenpersonennahverkehrs nach Würzburg durch die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG). Im Bayern-Takt wären das täglich 18 Fahrtenpaare - mit einer Fahrzeit von etwa 25 Minuten eine durchaus attraktive, umweltfreundliche Alternative zum Auto. Seit 2013 laufen die Bemühungen um eine Reaktivierung der Strecke wieder. Inzwischen werden sie auch durch die Landkreise Kitzingen, Würzburg sowie die Stadt Volkach und die örtlichen Landtagsabgeordneten unterstützt. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Reaktivierung ist allerdings, dass täglich mindestens 1000 Reisende die zehn Kilometer lange Strecke benutzen. Ein Gutachten des renommierten Würzburger Verkehrsforschers Dr. Konrad Schliephake, das ein Potenzial von 1400 bis 1600 Reisenden vorhersagt, liegt seit 2013 in München vor. Die BEG bestand aber auf einer eigenen Analyse und wollte bereits 2016 damit beginnen. Bislang liegt aber nur ein Zwischenergebnis mit 600 Reisenden aus dem fußläufigen Nahbereich der Haltepunkte vor. Endgültige, amtliche Zahlen, die dann auch Buszubringer, Park&Ride und Radfahrer berücksichtigen, werden nun für 2019 erwartet.
Sollte die 1000er-Schwelle geknackt werden, dann bestehen gute Chancen, dass die einst schon tot gesagte Volkacher Bahn als erste und bislang einzige Strecke in Unterfranken reaktiviert wird. Mit Elektrohybrid-Triebzügen der neuesten Generation könnte diese neue Mainschleifenbahn das umweltfreundliche, komfortable Rückgrat eines leistungsfähigen SPNV zwischen Würzburg und der Mainschleife werden – so wie es ihre Vorgängerin für die Menschen des Jahres 1909 gewesen war.
Auch wenn die Signale für eine Reaktivierung der Mainschleifenbahn heuer auf Grün umschalten sollten, wird der rote Schienenbus noch für einige Jahre weiterrollen. Die Saison 2019 wird am 1. Mai beginnen, aber diesmal bereits am 13. Oktober enden, zeitgleich mit den Mainschleifen-Shuttlebussen.