Wir kennen den Main nur so: meist träge unterwegs, der Wasserstand annähernd gleich, nach fünf bis 15 Kilometer eine Staustufe, hin und wieder ein Schiff so lang und breit, dass es gerade so in eine Schleusenkammer passt. Was unter der Wasseroberfläche los ist? Das interessiert eher die Kormorane, die vom Ufer aus auf Beute lauern.
Unseren Vorfahren bot sich ein anderes Bild, vergleichbar am ehesten mit der Situation am Altmain bei Volkach (Lkr. Kitzingen). Der Fluss wand sich wie eine Schlange, leckte hier am Uferkies, nagte dort an der Sandbank, verdampfte fast in der Sommersonne und suchte sich nach einem Hochwasser einfach einen neuen Weg. Bis Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich wenig, die Fotografie kam gerade noch rechtzeitig, um das Bild von der Landschaft am ungebändigten Main auf Zelluloid zu bannen.
Vom heute kaum vorstellbaren Fischreichtum früherer Tage zeugen Berichte der Lohrer Wilhelm und Franz Höfling. Am 11. Dezember 1881 holten sie mit einem Netzzug 16 Zentner Fische aus dem Main, mit diesem „ungeheuren Segen“ konnten die Lohrer Fischer nichts anfangen und verkauften Karpfen, Hechte und Bräsen nach Frankfurt. 1894, nach einem Eisgang, fischten sie einen ganzen Nachen (einen flachen Kahn) voll Barben, 1899 wurden 44 Hechte an einem Tag gefangen.
Bis vor dem Ersten Weltkrieg gab es allein in Lohr sechs Hauptfischer, schreibt Dr. Hans Stadler in „Die Fische von Unterfranken“ aus dem Jahr 1961. Die Ernte eines jeden betrug im Jahr 50 Zentner Fische, das waren 12 000 Goldmark jährlich, so dass auf den einzelnen 2000 Goldmark entfielen.
Lachswiese und Lachswehr
Lachse sollen einst so zahlreich im Main geschwommen sein, dass sich lange das Märchen hielt, die Dienstboten in Würzburg hätten sich vertraglich ausbedungen, höchstens zweimal in der Woche Lachs essen zu müssen. Laichreviere des Lachses waren noch im vorigen Jahrhundert die Nebengewässer des Mains wie Sinn und Saale. Dort, wo Flurnamen wie Lachswiese und Lachswehr an die Zeit erinnern, sollen die Fische noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts „allwinterlich zentnerweise gefangen“ worden seien, heißt es bei Stadler.
Gelegentlich ging auch ein gewaltiger, „knochiger“ Wanderfisch ins Netz. „Im äußeren Main ist von Schweinfurter Fischer Bürgern ein Stör gefangen worden welcher gewiegt 170 Pfund – anno 1593 am 1. Juni.“ So steht es über der Darstellung des Störs im Alten Rathaus der Stadt. Die beiden letzten ihrer Art sollen 1847 bei Frankfurt und 1855 bei Würzburg gefangen worden sein. Auch Maifisch, Meerforelle und Flussneunauge sind Geschichte – wie der Naturstrom mit seinen reichen Krümmungen, wechselnden Tiefen und Strömungen, großen und kleinen Buchten, die Fischen verschiedenster Gattungen vortreffliche Nahrungs- und Aufenthaltsplätze boten, den Friedrich Zenk 1889 beschrieb, damals Vorsitzender des Unterfränkischen Kreisfischereivereins Würzburg.
34 Mal russisches Roulette
Erst wurde der Main durch Buhenfelder und Treidelpfade eingeengt, dann baute man am Untermain fünf Nadelwehre. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Fluss durch 34 mächtige Staustufen mit 34 Laufwasserkraftwerken zu einer Art Seenkette umgebaut. Schließlich wurde der Fluss erneut vertieft und begradigt, zur Großschiffahrtsstraße, auf der heute Schubverbände und Fahrgastschiffe Tag und Nacht für Wellenschlag und Wirbel an den wenigen verbliebenen Laichplätzen sorgen.
Das hatte und hat natürlich Folgen. „Den Fischbeständen im Main geht es nicht gut“, sagt Dr. Wolfgang Silkenat, Leiter der Fachberatung für Fischerei beim Bezirk Unterfranken. Obwohl die Fischerzünfte und -vereine viel Geld für den Besatz mit Jungfischen ausgeben, geht der Bestand zurück. Eine Grafik zeigt die Entwicklung binnen zehn Jahren anhand der Daten der Koppelfischereigenossenschaft Kitzingen. Anfang des Jahrtausend wurden rund 40 Tonnen Fisch angelandet, 2011 waren es gerade noch 15 Tonnen.
Silkenat kennt die Gründe. Der Main ist kaum durchgängig. Wanderfische haben so gut wie keine Chance, unbeschadet an den Turbinen der Kraftwerke vorbei zu flutschen. „Der Aal muss 34 Mal russisches Roulette spielen“, sagt Silkenat. Auch die Nachtschifffahrt lässt die Fische nicht zur Ruhe kommen. Silkenat klagt über den Freizeitdruck durch kleine Motorboote, die oft ufernah fahren und „harte Wellen“ ans Ufer werfen würden.
Und dann ist da noch der gefiederte Lieblingsfeind der Angler, der mühelos 500 Gramm Fisch pro Tag vertilgt. 2000 Kormorane torpedierten einmal die Fischbestände von oben, heute sind in Unterfranken Silkenat zufolge noch 700 bis 800 der schwarzen Jäger auf Fisch scharf.
Aber der Fischereiberater hat auch positive Nachrichten. Wasserqualität und Nahrungsangebot im Main sind gut, sagt Silkenat, und von den Arten sei bis auf die Langdistanz-Wanderfische „vieles noch da“. Der Zander habe sich etabliert, der Hecht finde wenigstens an der Saale die niedrig überfluteten Wiesen, der er zum laichen braucht. Die Grundel sorgte als unbekannter Einwanderer entlang des Mains zunächst für Sorgenfalten, nun aber haben sich andere Arten auf die Grundel eingestellt. „Es gibt immer schönere Barsche“, sagt Silkenat und preist den fast grätenfreien und schmackhaften Speisefisch. Auch der Wels oder Waller mag die Grundel zum Fressen gern, während die wiederum den Wels-Nachwuchs dezimiert.
Wie wird sich die Fauna des Mains in zehn, 20 Jahren entwickelt haben? Die Gefühlslage des Experten schwankt zwischen Hoffen und Bangen. Silkenat hofft stark, dass die europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) den „guten Zustand“ auch für Fließgewässer nicht nur fordert, sondern am Ende durchsetzen hilft. Moderne Umgehungsbäche ähnlich dem in Randersacker (Lkr. Würzburg) seien gerade für Kurz– und Mitteldistanzwanderer wie Nasen und Barben wichtig. Den Typ einer modernen technischen Aufstiegshilfe sieht Silkenat derzeit am Kraftwerk Rothenfels (Lkr. Main-Spessart) verwirklicht.
Der Klimawandel hingegen bereitet dem Fachmann Sorge. Falls die Sommer noch heißer und trockener werden, sinkt der Sauerstoffgehalt mit jedem Grad Wassertemperatur, das kann zu großflächigem Fischsterben führen, auch in der Teichwirtschaft.