Im Landkreis Kitzingen herrscht nach Definition von Wirtschaftsfachleuten rechnerisch Vollbeschäftigung. Die Arbeitslosenquote lag Ende Juni bei 2,5 Prozent, nach 2,6 Prozent im Juni 2022.Welche Herausforderungen das für den Arbeitsmarkt, für Unternehmen und die Politik bedeutet, skizzierte jüngst Stefan Beil, Leiter der Bundesagentur für Arbeit in Würzburg, vor dem IHK-Gremium Kitzingen.
Jahrzehntelang habe es einen Mangel an Arbeitsstellen gegeben und die Arbeitgeber hätten folglich die Bedingungen diktieren können. Heute könne sich die Arbeitnehmerschaft die Arbeitsplätze aussuchen, erklärte Beil. Das führe dazu, dass Zeitarbeit – früher eher ein prekäres Arbeitsverhältnis – inzwischen attraktiv geworden sei: Im Vergleich zur Stammbelegschaft müsse man nicht deren mitunter starre Rahmenbedingungen für Arbeitszeiten akzeptieren und könne sich beispielsweise attraktive Schichten aussuchen.
Die Folge: Mehr Festangestellte würden freiwillig in Zeitarbeit wechseln. Gerade in Pflegeberufen findet sich laut Beil eine solche Tendenz. Im Gegenzug würden Unternehmen neue Beschäftigte mit Boni locken, selbst schon Azubis: mit bezahltem Führerschein, kostenlosen Tablets oder Verpflegungen.
Beil betonte, dass sich der Arbeitsmarkt auch von der Konjunktur entkoppelt habe und zeigte Jahresentwicklungen von der Finanz- bis zur Corona-Krise aus dem Landkreis Kitzingen. Die Beschäftigungsquote sei – zuletzt auch wegen der Ausweitung von Kurzarbeit – auf einem hohen Niveau geblieben.
Ein Drittel der Beschäftigten arbeitet in Industrie und Handwerk
Beil nannte auch Strukturdaten für den Landkreis Kitzingen. Obwohl Landwirtschaft und Weinbau für die Kulturlandschaft prägend sind, sind sie es nicht bei den Arbeitsplätzen. Bedeutend sei nach wie vor das verarbeitende Gewerbe, also im Wesentlichen die Industrie und das Handwerk. Fast ein Drittel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist solchen Betrieben zuzuordnen (siehe Grafiken). Auch wichtig: Rund ein Viertel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist 55 Jahre alt und älter. Mit Blick auf die Babyboomer-Jahrgänge sagte Beil: "Jeder Vierte geht in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand."
Die Antwort darauf lautet hier wie andernorts: Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen, so die Überzeugung des Arbeitsagentur-Chefs. Deutschlandweit bräuchte man 400.000 Arbeitswillige pro Jahr oder bis Ende der 2030er-Jahre rund sieben Millionen.
Auch der Ausbildungsmarkt sei von mehr Stellen als Bewerberinnen und Bewerbern gekennzeichnet. Wirtschaftszweige wie die Nahrungsmittelbranche täten sich besonders schwer, Nachwuchs zu finden. Bäcker und Metzger können ein Lied davon singen, aber auch Maler- und Lackierer-Betriebe. Die jungen Leute würden angenehme Jobs im Büro körperlich anstrengender oder schmutziger Arbeit vorziehen. Beil sagte zu den anwesenden Unternehmerinnen und Unternehmern: "Die aktuelle Situation erfordert es, Jugendlichen eine Chance auf einen Ausbildungsplatz zu geben, die in der Vergangenheit keine hatten."
Der Agentur-Chef betonte auch, welch großen Stellenwert die Eltern bei der Berufsentscheidung des Nachwuchses hätten. Seine Erfahrung: Das Wort von Papa und Mama wiegt oft mehr als das von Freunden, Schule oder Arbeitsagentur.
Noch immer liegt das Studium im Ansehen ganz oben
Damit hängt zusammen, dass immer mehr junge Leute den Weg übers Abitur ins Studium gehen. Für Beil hat zwar die Duale Ausbildung den gleichen Stellenwert wie ein Studium, doch gesellschaftlich gebe es Unterschiede im Ansehen. Der Referent sagte aber, dass sich die Haltung ändere. Der Facharbeiter- und Handwerkermangel lasse erkennen, wie wertvoll bestimmte Berufe seien.
Ein anderer Faktor, warum nicht ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen: Noch nie gab es so viele Teilzeit-Jobs wie heute. Das nimmt einerseits Rücksicht auf Familien und eröffnet besonders Frauen mehr berufliche Möglichkeiten; andererseits fehlen den Betrieben die Stunden, die sonst eine Vollzeitkraft leisten würde. Ein Hebel an dieser Stelle könne eine flächendeckende Kinderbetreuung sein, um Familien zu entlasten.
Auch die Qualifikation und Fortbildung der Mitarbeitenden sei wichtig, erklärte Beil, da immer mehr einfache Tätigkeiten vom Markt verschwinden. Künstliche Intelligenz und Digitalisierung können inzwischen auch den demografiebedingt steigenden Bedarf an Fachkräften verringern. Auch in Behörden sei mit dem Wegfall bestimmter Sachbearbeiter-Tätigkeiten zu rechnen.
Ohne ausländische Arbeitskräfte werde der Bewerbermangel aber nicht zu beheben sein. "Wir müssen ein Einwanderungsland werden", positionierte sich der Arbeitsagentur-Leiter, betonte aber zugleich: "Wir sind derzeit leider noch nicht die erste Adresse."
Neben sprachlichen Hürden gebe es auch Anforderungen an eine Willkommenskultur, die auf ausländische Arbeitskräfte attraktiv wirken müsse. Und schließlich, betonte der Behördenchef, müsse kräftig Bürokratie abgebaut werden. Die Frage wird sein: Wie lange braucht Deutschland zur Umsetzung?