
Annette Schavan ist tief gefallen – und sanft gelandet. Die langjährige ehemalige Bundesbildungsministerin, die 2013 über unkorrekte Zitate in ihrer Doktorarbeit stolperte, in der Folge den Doktorgrad verlor und wegen der Plagiatsaffäre ihr Ministeramt aufgab, ist jetzt Botschafterin: deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl. In dieser neuen Funktion als Deutschlands Stimme im Vatikan kommt Schavan nach Unterfranken. Wenn die Abtei Münsterschwarzach an diesem Sonntag ihr 1200-jähriges Bestehen feiert, wird sie vor den Münsterschwarzacher Benediktiner-Mönchen, dem Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann und zahlreichen Gästen den Festvortag halten.
Ein Pöstchen im Vatikan gilt seit Jahren als elegante Art, sich unliebsamer Prominenter zu entledigen, die man in Deutschland nicht mehr brauchen kann. Besonders bekannt ist der Fall des Limburger Ex-Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst. Nachdem sich der Kirchenmann eine 31 Millionen teure Bischofsresidenz samt freistehender Badewanne, beleuchteten Treppenstufen und Zierfischteich hatte bauen lassen und damit 2013 einen handfesten Skandal ausgelöst hatte, entsandte seine Kirche den Ex-Bischof nach Rom. Dort darf Tebartz-van Elst seit 2015 als „Apostolischer Delegat“ beim „Päpstlichen Rat für die Neuevangelisierung“ arbeiten.
Aber auch hochrangige Politiker werden gelegentlich in den Vatikan entsorgt. Ältere Semester erinnern sich vielleicht noch an Bundestagspräsident Philipp Jenninger, der 1988 im deutschen Bundestag eine Rede über das „Faszinosum Hitler“ hielt und danach wegen offenkundiger Distanzlosigkeit zur NS-Vergangenheit nicht mehr tragbar erschien. Als Botschafter durfte Jenninger Deutschland aber weiter vertreten – erst in Wien, dann im Vatikan. Der Botschafterposten beim Heiligen Stuhl, den Jenninger bis 1997 innehatte und den Schavan seit 2014 ausfüllt, gilt im Vergleich zu anderen Posten im diplomatischen Dienst mit mehr als 10 000 Euro Grundgehalt im Monat als sehr gut dotiert. Botschafter in Moskau oder Washington verdienen auch nicht mehr .
Doch was genau tut die Ex-Ministerin und jetzige Botschafterin Deutschlands am Heiligen Stuhl? Schwerpunkt der Arbeit sei es, Mitarbeiter der Kurie und der Päpstlichen Universitäten über „Politik, Kunst und Kultur, Bildung und Wissenschaft, Wirtschaft und Diakonie, Kirchen und Religionsgemeinschaften in Deutschland sowie in Deutschland über Entwicklungen im Vatikan zu informieren“, berichtet Schavan auf der Botschafts-Website.
Pater Bernd Hagenkord, Chefredakteur des deutschsprachigen Radio Vatikan, beschreibt die neue Aufgabe von Schavan, die in den letzten Augusttagen nicht erreichbar war, etwas plastischer. Es gehe darum, ganz unterschiedliche Leute, Kirchenvertreter und Journalisten, Künstler und Wissenschaftler, Politiker und Besucher auf der Durchreise „an einen Tisch und miteinander ins Gespräch zu bringen“, sagt Hagenkord.
In den sieben Jahren, die er bei Radio Vatikan arbeitet, hat er schon vier Deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl erlebt. Er kann sich deshalb ein Urteil erlauben: Schavan mache viel; und was sie mache, das mache sie gut. „Ich habe den Eindruck, der Posten macht ihr Spaß. Das ist für sie weit mehr als Aktivität nach der Entsorgung.“
Seine Einschätzung wird von anderen Vatikankennern bestätigt. Als Botschafterin mache Schavan einen sehr „aktiven Job“, sagt etwa unser Vatikan- und Italien-Korrespondent Julius Müller-Meiningen. Schavan sei nahbar; man könne gut mit ihr reden. Dass die abgehalfterte Ministerin an dem abrupten und unrühmlichen Ende ihrer Politikerinnen-Karriere noch schwer trägt, glaubt Müller-Meiningen nicht.
„Sie wirkt in Rom alles andere als verbittert. Ich glaube, sie fühlt sich wohl. Sie wirkt meistens auch sehr locker“, sagt er. Gemeinsam ist es den befragten Vatikankennern, dass sie Schavan als jemanden beschreiben, der aus dem Abschiebe-„Pöstchen“ im Vatikan einen richtigen Posten gemacht hat.
In einer gewissen Weise ist die jetzt 61-Jährige kirchennahe Ex-Ministerin über den Posten im Vatikan auch zu ihren Ursprüngen zurückgekehrt. Schavan hat ja schließlich – neben Erziehungswissenschaften und Philosophie – auch Katholische Theologie in Bonn und Düsseldorf studiert. Als junge Frau hat sie für kirchliche Organisationen gearbeitet – ihren ersten Job hatte sie als Referentin bei der bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk. Später, nach einer Stelle beim Generalvikariat des Bistums Aachen, kehrte sie als Geschäftsführerin zum Cusanuswerk zurück. Daneben war Schavan Vizechefin des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken.
Erst 1995 machte die ledige Rheinländerin Politik zu ihrem Brotberuf. Als Bildungsministerin erst in Baden-Württemberg und später im Bund machte die CDU-Politikerin einen inhaltlich so überzeugenden Job, dass sogar die linke Lehrergewerkschaft GEW sie lobte als „intelligenteste Kultusministerin, die wir je hatten“. Schavan galt sogar mal als „Favoritin für das Amt des Bundespräsidenten“.
Das war 2010. Drei Jahre später war wegen der inkorrekten Zitate in ihrer Doktorarbeit über das „Gewissen – Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ Schavans steile Karriere zu Ende. Bundespräsident wurde statt Schavan 2010 übrigens Christian Wulff.
Bekanntermaßen stürzte Wulff noch tiefer als Schavan. Nach einem Posten, der ihm Spaß macht, sucht er dem Vernehmen nach noch.