Er bezeichnet sich als Anhänger der kontextuellen Fundamentaltheologie. Klingt kompliziert, ist es aber gar nicht. Denn Pfarrer Dr. Daniel Swend kann wunderbar erklären, was es damit auf sich hat. Und das in flüssigem Deutsch. Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht. Daniel Swend kommt aus Polen.
Die Ferienzeit: Sie gilt nicht nur für Schüler und Angestellte, sondern auch für die meisten Pfarrer. Die Diözese Würzburg muss deshalb beizeiten nach geeigneten Vertretern suchen. Sie wird regelmäßig fündig. Pfarrer aus Afrika, Asien und aus mehreren europäischen Ländern tun in den Sommerferien ihren Dienst in den unterfränkischen Gemeinden.
Viele kommen Jahr für Jahr wieder. Kaum einer war allerdings schon so oft hier wie Daniel Swend. „Zum 29. Mal“, erzählt er lächelnd. 1988 ist er zum ersten Mal nach Deutschland gekommen, um in einer Pfarrei auszuhelfen. „Das waren noch andere Zeiten“, erinnert er sich. Der „eiserne Vorhang“ war kein Begriff aus den Geschichtsbüchern, sondern ganz reell, die Wende noch nicht geschafft.
Daniel Swend hat seither viele Veränderungen in Deutschland hautnah miterlebt. Kein Nachteil für den Mann aus Radum, rund 100 Kilometer südlich von Warschau. „Viele Entwicklungen schwappen aus dem Westen nach Polen“, hat der 57-Jährige, der angehende Priester auf ihre künftige Arbeit vorbereitet, in all der Zeit gemerkt. Das gilt auch für religiöse Themen.
Seit 1999 hilft Daniel Swend in den Sommerferien in Wiesentheid und Umgebung aus, selbstverständlich war das auch diesen Sommer der Fall. Seine Beobachtung: Die Kirchen sind hier nicht so voll wie in seinem Heimatland, die Zahl der Gläubigen ist rückläufig. „Bei uns gibt es auch noch genug Geistliche und wir brauchen auch noch keine Pfarreiengemeinschaften“, sagt er, betont dabei aber das Wort „noch.“ Die Zahl der Priesterkandidaten sinkt nämlich auch in Polen seit Jahren. Das hat mehrere Gründe: Familien haben ganz allgemein weniger Kinder als früher, viele junge Leute zieht es nach der Schulausbildung ins Ausland. „Das Weltliche verbreitet sich“, bilanziert Swend. „Das Religiöse ist nicht mehr so im Trend.“ Seine Erfahrung: Mit wachsendem Wohlstand sinkt der Bezug zum Glauben.
Gleichzeitig ist der katholische Glaube in Polen tiefer in der Gesellschaft verankert als in Deutschland. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung gehen regelmäßig in die Gottesdienste, die Zahl ist nach der Grenzöffnung gerade mal um einen Prozent gefallen.
Die Ursache sieht Daniel Swend in der jüngeren Geschichte seines Landes. Die Kommunisten wollten die Kirche unter ihre Kontrolle bringen, zu einem Teil ihrer Propaganda machen. „Das hat nicht geklappt“, freut sich der 57-Jährige. Bei den Arbeiteraufständen nahm die Kirche einen aktiven Part ein. „Sie war eine moralische und finanzielle Hilfe“, sagt der Priester. „Ohne die Kirche wäre beispielsweise Solidarnosc nie so stark geworden.“
Fast 1000 Kilometer legt Daniel Swend jedes Jahr zurück, um in Wiesentheid dabei zu helfen, die Sommerferienzeit zu überbrücken. Er hält Gottesdienste, führt Trauungen und Beerdigungen durch. Und er spricht viel und gerne mit den Menschen.
Die Begegnungen mit den Franken, mit ihrer Kultur und Sprache ist für den 57-Jährigen auch nach so vielen Jahren noch ein Abenteuer. Seine Einstellung zum Beruf hilft ihm dabei, dieses Abenteuer regelmäßig zu bestehen. „Die kontextuelle Fundamentaltheologie bedeutet nichts anderes, als dass ich als Pfarrer spüren muss, in welchem Kontext die Menschen leben, zu denen ich predige“, erklärt er. Wie beim Arzt gehe es um die richtige Diagnose. „Dafür muss ich die Menschen kennenlernen, mich in sie hineinversetzen können“, erzählt er. Oder, um es mit den Worten von Papst Franziskus zu sagen: „Der Hirte muss nach Schafen riechen.“
Eine anspruchsvolle Aufgabe. Als Helfer und Freund müsse er zu den Gläubigen sprechen, ihnen versuchen, die frohe Botschaft zu verkünden. „Gott ist kein Richter, sondern Gott ist die Liebe.“ Davon ist Daniel Swend überzeugt. Gleichzeitig müsse er sich als Priester immer selbst hinterfragen: Habe ich den Menschen wirklich helfen können?
Die Aufgabe eines Pfarrers ist für Daniel Swend dann erfüllt, wenn sich die Gläubigen mit ihm identifizieren. Wenn sie nicht mehr von „dem Pfarrer“ reden, sondern von „unserem Pfarrer.“ Nach 18 Jahren Urlaubsvertretung in Wiesentheid und Umgebung kann man davon ausgehen, dass etliche Gläubige den Mann als Polen zumindest klammheimlich als „unseren Sommerferienpfarrer“ bezeichnen.