Wenn er das Holz hört, ist alles gut. Der Mann, der an diesem Sommertag in der Schreiner-Werkstatt arbeitet, lauscht dem sanften Ton, der entsteht, wenn der Hobel in seinen Händen über die Holzbalken gleitet. „Der Klang verrät mir, ob ich es gut mache“, sagt der Handwerker. Gleichmäßig ruhig bewegt er die Hände über den Stamm. Sein Oberkörper federt dabei hin und zurück, hin und zurück. Die fließende Bewegung, die Sonnenstrahlen, die schräg durchs Fenster fallen, die leise Melodie des Hobels – es ist eine fast meditative Szene. Uralte japanische Handwerkskunst in Kitzingen: Wie passt das zusammen?
Der Mann am Hobel heißt Harald Dill, ist 61 Jahre alt, hat viele verschiedene Berufe – Zimmerer, Performance-Coach, Konfliktklärer, QM-Auditor, Achtsamkeits- und Meditationslehrer – und eine riesengroße Leidenschaft: Er baut in reiner Handarbeit, ohne Schrauben und Nägel, nur aus massivem Holz traditionelle japanische Shinto-Tore. Diese frei tragenden Bauwerke markieren im Shintoismus – frei übersetzt heißt das "Weg der Götter" – den Übergang von der profanen in die spirituelle Welt.
Uralte japanische Handwerkskunst in Kitzingen
Es sind schlichte und zugleich markante Tore aus zwei runden, konisch zulaufenden Grundpfeilern und zwei Querbalken. Nicht nur ihre zinnoberrote Farbe, sondern auch ihre schiere Größe – sie sind oft viele Meter hoch – zieht die Blicke auf sich.
Hauchdünn und durchsichtig sind dagegen die Späne, die sich mit jedem Hobelzug von den Balken lösen. Die Späne rollen sich unter der scharf geschliffenen Stahlklinge wie Schillerlocken. Dills Hände dürfen nicht zu viel Druck geben und nicht zu viel Zug. Sie dürfen sich nicht zu langsam bewegen, aber auch nicht zu schnell. Nur wenn Rhythmus und Kraft im Einklang sind, entsteht nach vielen Wochen in alter Handwerkstradition ein echter Torii.
Als junger Kerl war Harald Dill einer der Revoluzzer beim Bund Naturschutz Kitzingen
Warum aber erschafft ein in Kitzingen geborener Zimmerer, der in Nordfriesland und München gelebt und in Regensburg BWL studiert hat, überhaupt solch mythologische Bauwerke? Dill lächelt bei dieser Frage in sich hinein. Eine schnelle Antwort gibt es nicht. "Unser Leben ist voller Übergänge", sagt er nach einer Weile. "Wir müssen unser Leben immer wieder neu ausrichten. Die Tore sind ein Symbol dafür."
Dill weiß, wovon er spricht – er interessiert sich seit langem für die Shinto-Lehre und hat selbst viele Übergänge und Wandlungen erlebt. "Als junger Kerl war ich ein Ökofuzzi", erinnert er sich an die Zeit, in der er einer der "Revoluzzer" unter anderem beim Kitzinger Bund Naturschutz war. Später ging er nach München, um ökologische Hausbauprojekte zu verwirklichen. "Dann wollte ich raus in die große Welt und wechselte zum konventionellen Hausbau. Das war aber ein Kulturschock."
Mehr und mehr wurde ihm klar: Die Arbeit mit und am Menschen ist wichtiger als die an Gebäuden. "Ich ging in die Unternehmensberatung und absolvierte verschiedene gesprächstherapeutische Ausbildungen." Heute sieht Dill sich in all seinen Berufszweigen als "Aktivator der Selbstheilungskräfte".
Kunden aus Deutschland und Japan
Seine eigenen Selbstheilungskräfte lässt er nicht außer acht. Immer wieder nimmt er sich Auszeiten – um in der Hoheimer Werkstatt, die seinem Onkel Georg Sulzbacher gehört, ein neues Torii zu bauen. "Das ist für mich wie Meditation." Tagelang, wochenlang hobelt der 61-Jährige hauchdünne Streifen von Fichtenstämmen. Mit dem aktuellen Exemplar – 4,8 Meter breit und rund drei Meter hoch – ist er seit anderthalb Monaten beschäftigt. Auftraggeber ist eine Firma aus dem Allgäu. "Aber ich habe auch private Kunden, sowohl Deutsche als auch Japaner."
Sechs große und "viele kleine" Torii, die er bisher handgefertigt hat, stehen an verschiedensten Orten der Welt – manche werden als heilige Shinto-Tore genutzt, andere zur Zierde in Landschaftsgärten oder als Reminiszenz an den "göttlichen Weg", den jeder gehen kann.
"Da steckt viel Liebe drin": Harald Dill hat seinen eigenen Hobel gebaut, für den perfekten Schliff
Dill sagt, er sei einer von kaum einer Handvoll Menschen in Deutschland, die all das nötige Wissen haben, einen Torii originalgetreu zu bauen. Vor sieben Jahren hat er es in Japan unter anderem von einem Obermeister persönlich gelernt. "Er hat mir gezeigt, wie man nur mit Holzverbindungen, ohne Nägel und Schrauben, mit Tsuki Nomi – also Stemmeisen –, Kanna – Hobeln – und einer Richtschnur arbeitet." Am Ende hat sich Dill seinen eigenen Uchimaru Kanna gebaut, einen gebogenen Hobel für den perfekten Stammschliff.
"Da steckt viel Liebe drin", sagt er, während er mit der Hand über den schon fast perfekt geformten Torpfeiler streicht. Ein paar Stunden Arbeit noch, dann wird "selbst ein Erdbeben das Tor nicht beschädigen können".
Der Übergangsspezialist nimmt erneut den Hobel in die Hand. Atem und Muskeln einigen sich auf einen Takt. In wiegender Bewegung glättet Dill letzte kleine Unebenheiten, der Stamm flüstert ihm zu, ob er es gut macht. Harald Dill hört das Holz, alles ist gut.